Teil 59

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Manchmal unterschätze man die Schwierigkeit der Aufgabe, die vor einem lag. Mir erging es mit diesem verdammten Funkgerät so. Eigentlich hatte ich angenommen, dieses unförmige, klobige Gerät könnte nicht schwer zu bedienen, geschweige denn aufzubauen sein. Diese Annahme war definitiv falsch. So falsch, dass sie gar nicht falscher sein konnte. Die letzten Sonnenstrahlen verabschiedeten sich und die bodenlose schwärze der Nacht brach herein, ohne dass ich es geschafft hätte, das Funkgerät überhaupt zum laufen zu kriegen. Fluchend hockte ich auf dem Boden herum und der einzige Fortschritt, denn ich vorzuzeigen hatte, war die Tatsache, dass das Stromkabel in der Steckdose steckte. Angelockt von meinem Gefluche wagte Pixel sich doch nach oben und in meiner neu aufflammenden Wut über diese beschissene Technik sah ich großzügig über Pixels eigentliche Nervigkeit hinweg. Also versuchten wir uns zusammen an dem Gerät und eine Stunde vor Mitternacht brachten wir es dann tatsächlich zum Laufen. Nur war nun das neue Problem, dass Marsi schon im Bett war. Wie alle Uptownkinder ging sie immer sehr früh ins Bett, eine sonderbare Angewohnheit. Aber die Leute im Uptown mussten auch nicht vor der Hitze in die Nacht fliehen wie wir hier unten, sie hatten Klimaanlagen. Der einzige der auf meinen Funkspruch reagierte, war ein gutgelaunter Steuermann, der mir munter erklärte, dass sie diese Nacht endlich im Uptown angelegt hatten, dass das Schiff in die Werft gehen würde und die junge Marsi mit ihren Großvater Morgen in ihr kleines Häuschen am Meer ziehen würden. Er würde Marsi aber sicher ausrichten, dass ich versucht hatte sie zu erreichen, sie würde sich dann im Laufe des morgigen Tages bei mir melden. Zugegebenermaßen war das nicht gerade das, worauf ich gehofft hatte. Marsi schlief schon, und ich konnte nicht wissen, wann sie sich Morgen melden würde. Mit einen Seufzen richtete ich mich auf, riss das Handtuch vom Fenster weg und ließ die kühle Nachtluft durch die zerbrochene Scheibe ins Zimmer wehen. »Das läuft alles gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe« erklärte ich Pixel betrübt »Wie hast du es dir denn vorgestellt?« In der Dunkelheit konnte man nur noch seine Augen, die blauen LED Lämpchen, ausmachen die im Dunkeln glühten. »Ich weiß es nicht, irgendwie dachte ich, ich komme Nachhause, Nikki wartet schon und ich erzähl ihr alles, wir gehen zu Marsi und Heikir und befahren dann einfach immer die Weltmeere. Aber nie hätte ich gedacht, dass sie einfach so verschwunden ist. Nikki war zwar immer schon mal weg gewesen, aber nie länger als ein oder zwei Tage, weißt du? Ich mach mir Sorgen.« Kurz schwieg Pixel, wie als wollte er abwägen ob er sprechen sollte oder nicht. Dann ertönten seine leisen, metallisch klickenden Schritte auf dem alten Holzboden, als er neben mir strich und sich auf die Hinterpfoten stellte, den Blick mit mir aus dem Fenster gerichtet, raus auf das Meer. »Hast du das wirklich geglaubt? Ich meine ja nur, du warst wirklich lange weg. Und Nikki wusste nicht, wo du warst. Oder ob du überhaupt noch lebst. In ihren Augen bist du einfach im Nebel verschwunden.« »Wie in einem Horrorfilm« lächelte ich träge und Pixel nickte leicht »Sie hat sich sicher genau so Sorgen um dich gemacht, wie du jetzt um sie. Ganz bestimmt hat sie alles nach dir abgesucht. Tage, Wochen vielleicht sogar Monatelang. Vielleicht sucht sie jetzt noch immer nach dir?«

Ob das stimmte? Suchte Nikki noch nach mir, nach all der Zeit? Würde ich in so vielen Monaten noch nach ihr suchen? Vermutlich schon. Auch wenn mir jeder davon abraten würde, man hörte ja an jeder Ecke, man sollte nicht der Vergangenheit nach hängen. Das Leben gehörte der Zukunft, das Vergangene war für die bestimmt, die Tod waren oder im Sterben lagen. Aber jeder kluger Mensch klammerte sich an die Zukunft. Aber eine Zukunft ohne meine beste Freundin, dass wäre einfach keine richtige. »Ja, möglich. Aber warum kommt sie nicht ein einziges Mal Nachhause? Und warum ist Nox abgeschaltet? Ach Pixel, ich weiß einfach nicht mehr, was ich tun soll« meine Stimme wurde brüchig und ich merkte, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Nikki hatte mich immer dafür geschellt, dass ich so leicht zu weinen anfing. Derartige Gefühlsausbrüche ließen einen nur schwach wirken, und schwach durften wir nicht sein. Eben weil die ganze Welt dachte, dass ein Paar Waisenkinder schwach wären, mussten wir stark sein. Ärgerlich wischte ich mir mit dem Ärmel über die Augen, aber dass änderte auch nichts daran, dass ich mich merkwürdig leer fühlte. Wie als hätte man alles aus mir heraus gerissen, was eigentlich drin sein sollte. »Wir werden es Morgen einfach nochmal versuchen. Und dann wieder und wieder. Irgendwann müssen wir ja« »SH! Hörst du das nicht?« unterbrach Pixel mit einen zischen meinen kleinen, mit schwacher Hoffnung gespickten Vortrag. Ich verstummte Augenblicklich und horchte in die Stille des verlassenen Hauses. Erst konnte ich nichts hören, aber einige Sekunden später nahm ich es doch war. Ein ganz leises Gerumpel, schleifendes Kratzen und dumpfe Töne, die vorsichtig gesetzte Schritte sein könnten. »Vielleicht hat Imp, der elende Feigling, sich endlich zusammen gerafft?« schlug ich vor, wenn auch noch mit immer flüsternder Stimme. »Imp ist klein und leicht, der macht nicht so schwere Schritte« gab Pixel nicht weniger leise zurück. »Nikki?« kam mir die zweite Vermutung, aber auch dazu schüttelte Pixel den runden Kopf »Es sind mehrere.« Mehrere Personen? In unserem Haus? Das konnte nur eines bedeuten ... »Einbrecher« knurrte ich und verengte die Augen. Als Hausherrin war es meine Pflicht, dass Haus und vor allem unsere Besitztümer darin vor genau solchen Grobianen zu schützen. Und das brachte mich wider mal zum üblichen Problem meines jungen Lebens: Ich war klein und schwach. Mit einem konnte ich mich vielleicht noch anlegen, wenn ich den Überraschungsmoment auf meiner Seite hatte. Aber gegen mehrere? Keine Chance. Gerne hätte ich es so gemacht wie das Kind in einem der unzähligen Filme, die Nikki und ich in einer unruhigen Nacht, in einem überhitzen Zimmer angesehen hatte. Das Kind war auch ganz alleine Zuhause gewesen und sehr schlau. Es hatte das ganze Haus mit Fallen bestückt, sodass die Einbrecher gar keine Chance hatten. Nur fehlte mir dafür die Zeit, denn die Einbrecher waren ja schon da, da konnte ich nichts mehr aufbauen. Und ich hatte hier auch nicht so viele Sachen, aus denen sich trickreiche Fallen basteln ließen. Also, was dann tun? Hätte ich mehr Zeit gehabt, wäre mir ganz sicher etwas eingefallen. Aber genau daran mangelte es. »Sie kommen hoch!« winselte Pixel und versuchte vergeblich, sich unter der alten Decke zu verstecken, während bedrohliche, schwere Stiefel die Treppe hoch polterten. Ich war noch schlau genug, die Tür fast lautlos ins Schloss gleiten zu lassen, aber dass würde die Banditen nicht aufhalten. Ich hörte schon jetzt, wie sie alle Türen aufrissen. Also blieb mir nichts weiter übrig, als cool zu spielen. Verstecken brachte ja nichts und zum weglaufen war es längst zu spät. Aber als ängstliches Opfer durfte ich mich nicht geben, dass hatte ich von Nikki gelernt. Am besten setzte ich also darauf, als abgebrüht und unerschrocken zu gelten. Ich hockte mich noch schnell auf den Boden, zog meine Taschenlampe und ein Comicheft hervor und tat so, wie als würde ich völlig ruhig darin lesen, gerade noch rechtzeitig, als die Tür aufgetreten wurde.

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