Kapitel 25

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Joyces Sicht

Er zog mich durch den Gang, wieder in den Hauptraum der Bar. Weshalb hatte er Reezy geschlagen? Reezy war nicht der Typ, der mich belästigt hatte. Hatte ich das Jason nicht gesagt? Ich schaute mich die kurze Zeit, in der ich noch im Laden war, nach der Frau um, die ich vorher gesehen hatte. Heute waren einfach zu viele Dinge passiert. Ich sah sie nicht mehr. Es schien mir auch, als wären Stunden vergangen, auch wenn es vielleicht nur zehn Minuten waren. Etwas schien mich an diesem Ort festzuhalten. Und ich glaubte, es war mehr diese Frau, die mir so ähnlich sah, als diese Fettsäcke, die alle auf meinen Hals starrten. Doch die Wunde an meinem Hals war nicht die einzige. Als sich die Tür hinter mir schloss fielen kalte Regentropfen auf meine Haut. Wir rannten zum Auto. Meine Hand riss ich aus seiner, sobald ich gemerkt hatte, dass er sie hielt. Ich stieg in das Auto.

Obwohl ich Wut, Verwirrung, Schmerzen und Adrenalin durch meine Adern flossen sass ich einfach nur auf dem Beifahrersitz und starrte in die Ferne. Jason sagte auch nichts. Gegen die Windschutzscheibe klatschten die Regentropfen. Doch Jason startete den Motor nicht. Ich lehnte mich an das Seitenfenster und schaute zu, wie die Regentropfen hinunterkullerten. Eine nach der anderen. Dann startete er den Motor. Während der ganzen Fahrt probierte ich meine Gedanken auszuschalten und die Regentropfen zu beobachten. Irgendwie klappte es. Trotzdem war ich sehr erleichtert, als er vor einem Hotel stoppte. Ich nahm meine Tasche aus dem Kofferraum und trat in die Eingangshalle. Im Seitenblick immer Jason, denn ich wollte nicht plötzlich alleine stehen. Es war wiedermal so ein Luxusding. Nachdem wir den Schlüssel bekamen, wollte ich in den Fahrstuhl steigen.

"Geh schonmal vor. Ich muss noch was erledigen.", rief mir Jason zu und war dann auch schon verschwunden.

Einerseits war ich froh, einen kleinen Moment für mich zu haben. Andererseits wollte ich nicht alleine in einem Hotelzimmer sein, das aufgebrochen werden konnte und bierbäuchige... Ich stoppte meine Gedanken und redete mir ein, dass das nur Schockerscheinungen waren. Diese Gedanken. Ich schloss das Zimmer auf. Ich wollte duschen, diese Errinerungen von mir wegschrubben. Doch die Chemikalien würden an meinen offenen Wunden brennen wie Feuer. Doch ich nahm das in Kauf. Ich stellt mich unter die Dusche. Das Wasser prasselte auf meinen Körper. Meine Wunde auf meiner Brust blutete. Es war eine grössere Schürfung. Was er alleine mit seinen Fingern angestellt hatte. Nachdem ich mich vorsichtig eingerieben hatte mit irgendeinem Mittel, das gut schmeckte, trocknete ich mich ab und zog mir meine ehemalige Lieblings-Jogginghose an. Ehemalig. Nicht, dass sie es nicht mehr war. Doch es war alles anders. Mein ganzes Leben hatte sich komplett verändert. Früher hatte ich Probleme, ob ich genug Münzen für eine Fahrkarte in der Hosentasche hatte. Heute musste ich aufpassen, nicht erschossen zu werden. Ich würde nie wieder unbeschwert auf meinem Skateboard stehen. Mit Becca an den Strand gehen und über die Welt philosophieren. Es würde nie wieder so sein, wie es war. Ich hielt meine Tränen zurück. Heute Abend würde ich nicht weinen.

Ich stellte mir vor, dass das Wasser, das auf meine Augen drückte zurückfliessen würde, woher es kam. Doch anstatt wegzufliessen, floss es mir über die Wangen. Nur eine kleine Träne, eine einzige. Ich erlaubte mir nicht mehr rauszulassen. Keine Gefühle. Ich lehnte mich nach hinten, an die Wand, warf eine Decke über meine Beine und hielt alles weit von mir weg. Gefühle, Errinerungen, Menschen. Die Wand an der anderen Seite des Zimmers schien mir sehr sympathisch. Sie war weiss. So unberührt. Das konnte man über mich ja nicht mehr sagen, nach diesem Abend. Und diese Wunde an meinem Hals begann wieder zu brennen.

"Es ist alles in Ordnung.", sagte die Stimme in meinem Kopf. "Gar nichts ist in Ordnung, red' dir nichts ein!", sagte die andere.

Ich zog die Beine an meinen Körper und legte meinen Kopf in die Knie. Und auf einmal kam mir alles so gross vor. Und ich war so unendlich klein. Ich konnte mich nicht mal aus den Armen eines betrunkenen Mannes befreien. Was da noch passiert wäre, wenn Reezy nicht gekommen wäre. Ich durfte nicht daran denken. Wenn ich nicht mit Jason hier wäre, sondern alleine, würde ich schon lange nicht mehr leben.

Trotz meiner Wut hätte ich gerne, er wäre hier. Wo war er überhaupt? Ich hoffte er würde bald wieder kommen, denn Gedanken konnte ich im Moment sowieso nicht ordnen. Also beschloss ich auf den Balkon zu gehen. Ich setzte mich auf einen der beiden Stühle. Man sah die Skyline einer Stadt. Wiedermal wusste ich nicht wo ich war, doch es machte mir nichts aus. Ich war ziemlich weit über den Dächern. Es regnete immernoch. Zu meinen Gunsten war der Balkon so gebaut, dass ich nicht nass wurde.

Es war kalt, doch ich war schlichtweg zu faul mir eine Decke zu holen. Und ich schaute in die Ferne. Ich sah die Lichter, der Stadt. Die ganzen leuchtenden Plakate und Aufschriften. Und irgendwo da unten war vermutlich Jason unnd er war da unten nicht sicher. Würde ihm etwas zustossen... Ich wüsste nicht, wie weiter. Er hatte das ganze Geld, das Auto. Und ich hatte niemanden und nichts. Die Polizei suchte bestimmt irgendwo nach mir. Ohne Anhaltspunkt. Doch sie könnten mich nicht nach Hause bringen. Ich hatte nämlich kein Zuhause. Etwas wurde über meinen Körper geworfen. Eine kurze Atempause meinerseits. Bierbauch, schoss es mir durch den Kopf. Dann die Erleichterung, als ich bemerkte, dass es nur eine Wolldecke war und Jasons Stimme:

"Du musst doch frieren." Dann sass er auf den anderen Stuhl. Ich wusste ehrlichgesagt nicht, ob ich wütend auf ihn sein sollte. Nicht heute.

"Wo warst du?" Es klang vorwurfsvoller, als es gemeint war.

"Ich hab' Verbandsmaterial geholt in der Apotheke. Das Geld von Louis auf meine Karte geschoben und ein neues Handy gekauft." Er sprach so monoton, als wäre es irrelevant, was er getan hatte.

"Wie geht es dir?", fragte er mit ernster, besorgter Stimme.

"Keine Ahnung." Ich wusste es wirklich nicht. Er verliess den Balkon. Inständig hoffte ich er würde wieder kommen. Und das tat er. Mit einem Plastiksack. Dann rutschte er mit seinem Stuhl ganz nah an meinen.

"Zeig deinen Hals." Ich strich mir die Haare auf eine Seite und legte den Kopf schief. Mit zusammengebissenen Zähnen zog er Luft ein.

"Das wird jetzt ein wenig brennen. Aber es muss sein." Ich wusste wie sich das anfühlte. Ich war schon x-mal mit meinem Skateboard verunfallt. Mit einem feuchten Wattetüchlein berührte er die Wunde. Und sofort wurde aus dem Glimmen eine Stichflamme. Ich biss meine Zähne auf einander und schloss die Augen so fest ich konnte. Das Feuer wurde mit einer klaten Salbe erstickt. Darüber band er einen Verband. Um meinen ganzen Hals. Ich wusste nicht, ob das gefährlich war. Doch er liess es so locker wie möglich. Es errinerte mich an die Situation im Auto, als ich ihm den Verband um das Handgelenk gebunden hatte.

"Das heute. Es tut mir Leid, dass ich nicht da war, als du mich gebraucht hast.", sagte er aus dem Nichts. Was sollte ich schon sagen? Dass er recht hatte und nicht da war.

"Du bist nicht für mich verantwortlich. Du bist nicht verpflichtet mich zu beschützen." Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und streckte die Füsse auf den kleinen Tisch vor uns. Kurze Stille.

"Weisst du... Reezy. Er hätte extrem gefährlich werden können. Er ist aus einer anderen Gang. Er hätte alles mit einem Schuss beenden können.", sagte er dann. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort.

"Ich hätte einfach weg sein können. Wer hätte sich dann um dich gekümmert. Dann hättest du niemanden, der mit dir durch das Land reist." Und da hatte er recht. Ich wusste nicth wie es weitergehen würde.

"Weshalb machen wir das ganze überhaupt? Ich meine... mit welchem Ziel?", fragte ich ihn. Er nahm sich einen Teil meiner Decke und legte sie über sich sich,s odass wir beide unter der gleichen Decke waren.

"Wir haben kein Ziel. Wir versuchen nur das Ende hinauszuzögern." Er legte seinen Arm um meine Schulter. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Er sollte mich nicht mehr los lassen. Nie mehr.

"Und was ist das Ende?" Eine Frage von der ich die Antwort wusste. Leider. Er antwortet nicht, weil er wusst, dass ich es eigentlich wusste. Sie wollten unser Ende. Entweder seines oder meines. Und voher würden sie und nicht gehen lassen.

"Ich will das nicht.", flüsterte ich.

"Denkst du ich will das?", lachte er. Und ich lachte auch. Weshalb?

"Wir sind so gut wie tot, Jason.", brachte ich es ziemlich auf den Punkt.

"Wir würden sowieso irgendwann sterben. Und nach dem Tod spielt es keine Rolle, wie lange man gelebt hat." Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter. Ich mochte es eigentlich nicht über den Tod zu reden.

Falls ich sterben sollteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt