Kapitel 22

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Joyces Sicht

Nein. Das war unmöglich. All die Briefe, die ich ihr geschrieben hatte. Sie hatte nie geantwortet, vielleicht hatte mein Vater sie nie abgeschickt. Ich redete mir zu, dass es nicht stimmte und dass nicht sie es war, die im Lokal sass. Nervös schaute ich in den Spiegel. Ich war bleich. Es konnte nicht sein, dass ich sie einfach so dort sass. Schon knapp zwölf Jahre hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Mehr als zehn Jahre hatte ich sie nicht nicht gesehen. Doch die kleinen, verblassten Errinerungen, die ich noch besass, trafen exakt auf sie zu. Ich senkte meinen Blick und schaute passiv, das mit kalk verdreckte Waschbecken, an. Sie hatte diese tiefschwarzen, gekrausten Haare, die diese Frau in meinen Errinerungen hatte. Diese kleine Stubsnase, die ich auch hatte. Um nochmals sicherzugehen, dass ich die gleiche Nase hatte, hob ich meinen Kopf. Doch im Spiegel blickte mich nicht nur das Mädchen mit der Stupsnase an, sondern auch ein verschmitz, lächelndes Gesicht mit einem Dreitagebart. Einer der Männer von der Bar. So verwirrt und verblüfft wie ich war, stand ich einfach nur da. Er beugte sich zu mir vor und flüsterte von hinten in mein Ohr:

"Süsse, was schaust du so überrascht. Ich hab' deine Blicke vorhin schon gesehen." Ich konnte im Spiegel sehen, wie er die Worte mit seinen ausgetrockneten Lippen formte. Der Geruch von Alkohol und Tabak stieg in meine Nase. Doch anstatt wegzurennen oder zu schreien, stand ich einfach nur da und betrachtete das Geschehen im Spiegel, wie eine dritte Person. Eine Stimme in mir schrie, dass ich schreien oder mich bewegen sollte. Doch erst als seine Zunge mein Hals berührte begann mein Körper zu realisieren, was mein Geist schon längst wusste. Ich öffnete meinen Mund um etwas zu sagen, doch seine Hand lag auf meinen Lippen, was es mir unmöglich machte zu sprechen. Sein Gewicht liess es nicht zu, mich aus seinem Griff zu lösen.

An meinem Rücken spürte ich etwas hartes, was mich kalt den Rücken hinunterlaufen liess. Ich wollte gar nicht daran denken, was als nächstes geschah. Ich zwang mich, mich zu konzentrieren. Doch seine Zunge, die sich nun meinem Ohr zu schaffen machte, trug nicht dazu bei, klar denken zu können. Meine Atemzüge hatten sich verkürzt, mein Puls raste.

"Ach komm schon, du willst es doch auch...", flüsterte er mir ins Ohr.

Seine linke Hand hatte sich um meinen Hals geschlungen, die meinen Mund zuhielt. Seine Hüfte drückte mich an das Waschbecken, was es unmöglich machte, mich zu entfliehen lassen. Seine rechte Hand fuhr meinen Rücken hinauf, drückte sich zwischen mich und ihn und bewegte sich langsam Richtung der Öffnung meines BHs. Seine Zunge wendete sich wieder meinem Ohr zu, während ich panisch meine Augen weitete. Ich musste hier raus. Mit einer Handbewegung hatte er den Verschluss offen und nahm die Hand von meinem Rücken. Doch es wurde nur schlimmer, er strich mein T-Shirt nach oben und fuhr langsam mit seiner Hand unter den Stoff. Seine verschwitzten Finger kreisten auf meinem Bauch, doch bewegten sich immer weiter nach oben. Mit jedem Zentimeter stieg auch meine Angst. Sein Schweiss am Bauch drückte durch mein T-Shirt an meinen Rücken. Irgendetwas schien ihn anzutreiben. Seine Hand griff nach meinem Busen. Seine Fingernägel bohrten sich in meine Haut. Ich wollte aufschreien, doch er steckte seinen Finger in meinen Mund, was einen Kotzreiz auslöste. Wo war Jason? Er biss mir in den Hals, was mich nur noch mehr aufschreien lassen wollte. Heisses Wasser stieg mir in die Augen. Für einen kurzen Moment wurde es schwarz. Ich durfte jetzt nicht wegtreten. Seine Zähne verliessen meinen Hals und er leckte mir über das Schlüsselbein. Seine Fingernägel bohrten sich in mein Fleisch. Zumindest fühlte es sich so an. Der Gestank von Alkohol und Zigarette wurde nun mit dem seines Schweisses gemischt. Mit jeder seiner Berührungen verschwand auch die Hoffnung ein Stückchen mehr. Seine Hand wanderte wieder über meinen Bauch, doch kurz vor den Hosen strich wechselte er die Richtung und fuhr mit dem Finger wieder rauf. Er spielte ein Spiel mit mir, inwelchem ich nur das Spielbrett war. Langsam verschwand meine Hoffnung in einem schwarzen Loch. Ich schloss die Augen, in der Hoffnung, es würde aufhören, wenn ich es nicht mehr sah. Etwas riss mich zum Boden. Ich löste mich aus dem Griff des Mannes, der mit mir auf den Boden geknallt war. Doch bewegte sich nicht. Angsterfüllt kroch ich über den Boden und starrte den bewusstlosen Körper des Mannes ungläubig an. Neben ihm stand eine schwarzgekleidete Person. Er rieb sich die Faust. Das Gesicht der Person errinerte mich an jemanden.

"Shit, hatte keinen weichen Schädel, der Brocken."

Als ich realisierte, dass der schwarzgekleidete Typ in meinem Alter, also nichts böses von mir wollte, griff ich mir unter mein Shirt, um meinen BH mit einem gekonnten Griff zu verschliessen. Ich zog meine Beine an meinen Körper und wusste nicht, ob ich mich auf den Typen konzentrieren sollte oder auf meinen Körper. Ich fasste mir leicht an den Hals, der mir mit einem brennen antwortete. Zitternd nahm ich meine Hand runter und warf einen ängstlichen Blick auf meine Finger. An ihnen klebte Blut. Zwar nicht viel, doch es war da. Ich blutete am Hals. Der Bierbäuchige, nun bewusstlose Mann, hatte mir in den Hals gebissen. Dies war auch der Moment, indem ich realisierte, dass es kein Traum war, sondern die traurige Wahrheit.

"Sieht nicht gut aus.", sagte der schwarzgekleidete Typ und machte einen Schritt auf mich zu. Mein Körper zuckte unkontrolliert zusammen. "Keine Angst." Er streckte seine Hand aus, wie man es bei einem Tier tat, wenn es ruhig bleiben soll. Er kniete sich zu mir nieder:

"Lass mich mal sehen." Ich hatte keine Kraft mehr, mich an diesem Tag noch irgendjemandem zu widersetzen, also strich ich meine Haare zur Seite, sodass er die Wunde direkt sah. Sein Blick verharrte einige Sekunden. Kyle. Er sah Kyle extrem ähnlich. Ich hätte ihn gerne nach seinem Namen gefragt, doch das wäre in dieser Situation sehr unpassend gewesen.

"Was für ein dreckiger Mistkerl.", murmelte er.

Da hatte er recht. Meine Gedanken schweiften zwischen diesem Typen, der Frau in der Bar, dem Bierbäuchigen und Jason. Schritte im Gang liessen mich wieder auftauchen aus dem See meiner Gedanken, in dem ich zu ertrinken schien. Die Tür wurde aufgerissen und Jason kam herein. Sein Blick ruhte kurz auf mir und dem Typen. Sein Blick wanderte von meinen Augen auf meinen Hals. Eine leise Vorahnung liess mich meine Hand sofort auf den Hals klatschen. Ein brennender Schmerz durchfuhr mich. Doch er hatte das Blut gesehen. Sein Kiefer spannte sich an. Alles passierte in wenigen Sekunden. Sein Blick wanderte auf den Jungen, der Kyle ähnlich sah und seine Pupillengrösse veränderte sich, seine Fäuste ballten sich. Der Junge stand langsam ruhig auf und wollte etwas sagen, doch die Faust von Jason traf das Gesicht des Typen. Dieser fiel auf den Boden. Ich schrie innerlich auf, wollte erklären, dass es nicht er war, doch Jason hatte diesen Blick, der zeigte, dass man sowieso nichts ändern konnte an seinen Handlungen. Der geschlagene junge Mann lag auf dem Boden, rollte sich zusammen und hielt sich die Hände an die Wange.

"Jason! Er war es nicht!"

Doch meine Worte halfen nichts. Er schien besessen zu sein.

Falls ich sterben sollteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt