Kapitel 2

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"Bruder, das wird mir langsam zu kitschig hier..." Ich hatte total vergessen, dass ich am erzählen war. Nun wieder bei vollem Bewusstsein fuhr ich fort.

"Seit diesem Tag träume ich jede Nacht von ihr. Zuerst sehe ich nur ihre Augen mit dem durchbohrenden Blick. Dann sehe ich wie sie ermordet wird. Entweder wird sie von einer Brücke geschubst, erschossen, erstochen, erhängt, ertrunken oder erwürgt. Danach wach ich schweissgebadet auf. Und das immer um Punkt vier Uhr früh. Immer 4:00."

"Warum immer um 4?" Das war typisch Kyle. Anstatt auf die ganze Sache inzugehen nimmt er sich ein kleines unwichtiges Detail raus und studiert daran herum.

"Weiss ich nicht. Ist einfach so.", meinte ich.

"Und wie hiess sie?"

"Heisst sie! Sie lebt noch!", verbesserte ich ihn ungewollt laut. Verdattert beobachtete mich Kyle aus dem Augenwinkel. "Joyce Willson." Mein Körper durchfuhr ein Kribbeln bei dem Namen. Aus dem Augenwinkel sah ich wie Kyle nickte. Langsam wurde mir die ganze Situation ein bisschen unangenehm. Klar, Kyle war mein bester Kumpel, aber wir redeten nicht oft und auch nicht besonders viel über solche Dinge. Kyle schaute sich um, als ob er sich sicher sein wollte, dass uns niemand hörte.

"Was war das heute? Warum sollen wir die Crips provozieren? Louis weiss ganz genau wie scheiss gefährlich diese Typen sind! Vorallem sind es einfach doppelt so viele! Unser Revier ist doch genug gross! Wir hatten nie Problemen mit den Crips... Doch Louis muss das alles kaputt machen, nur weil er ein an grössenwahn leidender Bastard ist." Er hatte recht. Ich wusste wie es war, wenn man die ganze Wut mal herauslassen muss, besonders in letzter Zeit.

"Ich geh runter in den Trainingsraum. Willst du mitkommen?", fragte mich Kyle mit einem roten, wutverzerrten Gesicht. Nicken erhob ich mich und wir stiegen die schmale Treppe hinunter. In der Grotte waren alle verteilt. Einige am Poker spielen, andere kontrollierten die Waffen oder telefonierten. Wir wollten in den unteren Stock, indem sich alle Fitnessgeräte befanden, doch Louis kam mit dem Mobiltelefon in die Halle. Er beendete das Gespräch.

"Alle herkommen!", rief er durch die Halle. Wir standen schon so gut wie neben ihm. Die restlichen trotteten langsam zu uns. Ich musterte Louis unauffällig. Sein kantiges, hässliches Gesicht war mit Narben geprägt. Seine Nase war schief von einer heftigen Schlägerei. Er war ein richtiger Kasten. Er war mit Abstand der muskulöseste von allen.

"Wir haben einen neuen Auftrag.", riss er mich aus meinen Gedanken.

"Wir sollen einer Firma das Ende bereiten. Ein Konkurrent von der Waschmittelfirma Sunil, die ihr bestimmt alle kennt, hat mich angerufen. Wir sollen dem Firmagründer ein bisschen Proleme einbrocken." Mit Probleme meinte er, dass wir ihn erledigen sollen. Zuerst würden wir ihm nur die Reifen zerstechen bishin zum Durchschneiden seiner Kehle. Die Firma war in der Nähe des Kinderheims. Ich war oft dort in der Gegend rumgeschlichen.

"Doch der Firmenbesitzer würde freiwillig sein Leben riskieren für seine Firma, denn seine Tochter könnte sie später übernehmen. Seine Firma bedeutet ihm offensichtlich sehr viel. Wir werden sehen ob er auch das Leben seiner sechzehnjährigen Tochter aufs Spiel setzen würde. Wir werden ihm bisschen Druck machen." Das sagte er oft und es hiess soviel wie: die Kleine wird nicht mehr lange Leben. Ich hasste ehrlichgesagt meinen Job, was ich aber nie laut aussprechen werden würde, denn die anderen würden mich killen. Und das war kein Witz, das würden sie wirklich tun. Unsere Gang ist echt nicht ohne. Leider wird diese Familie das auch noch erfahren. Einige haben sich auch schon umgedreht und waren drauf und dran ihren Beschätigungen wieder nachzugehen. Ich ebenfalls.

Doch ich blieb stehen als Louis sagte: "Bleibt nicht zu lange wach. Morgen früh werden wir den Willsons den ersten Besuch abstatten." Ich erstarrte zur Salzsäule. Kyle hatt ganz schön was im Kopf, das musste man ihm lassen. Er musste wissen, dass wenn er nicht fragen würde ich es tun würde. Und mit meinem momentanen wohl geschocktem Gesichtsausdruck würde sogar Louis merken, das was nicht stimmt.

"Wie heisst der Typ?", probierte Kylemöglichst unauffällig zu fragen.

"Marcus Willson. Wieso?", gab Louis zur antwort.

"Habs nur nicht ganz verstanden." Der Typ hat schauspielerisches Talent. Unauffällig gab er mir einen Stoss in die Rippen, was mich zum weiterlaufen brachte. Mein Magen drehte sich um. Zum Glück erst, als ich mich am Treppengeländer festhalten konnte. Mir wurde schwarz vor Augen bevor dieser Blick mit ihren blauen Augen vor meinem Gesicht auftauchten. Nur ein Name: Joyce Willson. Kyle stiess die Tür auf und liess sich im Fitnessraum auf den Boden sinken. Ich hatte ihm nur einmal von ihr erzählt, doch er musste wohl gemerkt haben wieviel es mir bedeutete. Er ahnte wohl was ich mir dachte.

"Ey Bruder, egal was du machen wirst... Ich werde immer auf deiner Seite stehen. Tu das, was du für richtig hälst." Ich nickte dankend. Ich sah schon vor meinen Augen, wie meine Albträume zur Realität wurden.

Ich fasste einen Entschluss: Auch wenn es das Letzte sein wird, was ich tue. Diesem Mädchen wird nicht von Louis oder jemandem anderen Schaden zugefügt solange ich lebe. Louis würde herausfinden, wann sie auf dem nach Hause Weg von der Schule oder Arbeit weden würde und wann sie sich mit wem verabreden würde. Ich musste sie warnen. Vor jeder Aktion würde ich sie warnen müssen. Kyle ahnte wahrscheinlich, was ich dachte, denn er nickte und senkte seinen Blick, denn Tatsache war, dass ich nicht mehr lange zu Leben hatte. Sobald ich was gegen die Aktionen unternehmen würde, wäre Louis nicht mehr an dem Auftrag interressiert, sondern nur noch daran meinem Leben den Rest zu geben.

Falls ich sterben sollteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt