Kapitel 4

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(Immernoch Joyces Sicht)

Nachdem er mich losliess trottete er wieder zum Tisch.

"Was ist Dad?", fragte ich misstrauisch. Ich setzte meine Schultasche ab bevor ich mich zu ihm an den Tisch gesellte.

"Nichts.", log er mich unverkennbar an.

"Spucks aus!" Er liess sich einige Momente Zeit. Ich setzte mich an den kleinen Tisch gegenüber auf einen Stuhl.

"Es ist nicht schlimmes, Joyce. Die Reifen meines Autos wurden zerstochen. Und in meinem Büro fand ich einen komischen Brief vor. Wahrscheinlich irgendein unbedeutender Streich der Konkurrenz. Du weisst ja wie die sein können. Und genau an diesem Tag kommst du zu spät." Er drückte ein unechtes Lachen hervor. Im Laufe der Jahre hatte ich gelernt, wie er tickte und somit, dass hinter diesem Brief noch mehr steckte als es auf den ersten Blick schien.

"Was für ein Brief?" Die Frage versuchte ich möglicht unauffällig zu stellen, denn in mir kam das ungute Gefühl auf, dass mein Zettel etwas mit dem Brief zu tun haben könnte. Ich wollte ihn schliesslich nicht beunruhigen.

"Hm?", fragte er nach, als ob er es nicht verstanden hatte. Er wollte nur Zeit schenden.

"Du hast mich verstanden.", meinte ich vielleicht einen Ticken zu schroff.

"Hab ich was von einem Brief gesagt?" Verwundert schaute er mich an.

"Dad, sag's doch einfach!" "Etwas geschäftliches. Nichts weiter." Er sah mich warnend an. Es war nun besser das Thema zu wechseln. Ich wollte nicht, dass er wütend wurde. Denn seine Wut hatte er schon einige Male an mir ausgelassen.

Ein Wort mehr konnte ein Wort zu viel sein. Seine Hand könnte ihm ausrutschen.

"Hast du den Brief für Mom abgegeben?" Als ich acht war, hatte sie uns verlassen und seitdem hatte ich sie nicht wieder gesehen.

Mein Vater hatte mir immer erzählt, dass sie dort nur für einige Zeit Urlaub machen würde. Zu Beginn hatte ich ihm das sogar noch geglaubt, doch kurz darauf wurde mir bewusst, dass es sich nicht um einen Urlaub handelte. Ich schrieb ihr mindstens ein Mal im Monat, doch es kam noch nie ein Antwort... Vielleicht lebte sie gar nicht mehr.

"Ja."

Auf irgendeine Weise hatte mein innerstes Gefühl den Verdacht, dass er log. Dieses Gefühl verdrängte ich aber ohne es selber wahrzunehmen.

"Danke.", sagte ich höflich. Ich wollte weg von ihm. Nicht, dass ich Angst hätte oder so. Es war Respekt.

"Ich hab keinen Hunger, darf ich nach oben gehen?"

Er nickte.

Erschöpft und augewühlt liesss ich mich auf mein riesen Bett fallen. Bevor ich mir Gedanken machen konnte über die Erreignisse schlief ich ein. Nachdem mich mein Wecker aus dem Schlaf gerissen hatte raffte ich mich auf und liess das Wasser aus meiner Regendusche über meinen Körper fliessen. Als ich mich anzog vibrierte mein Handy. 'Bist du schon unterwegs', las ich auf meinem Display.

'Schon so gut wie. Um 10 beim Caffee, wie abgemacht.', schrieb ich Becca zurück.

"Bye Dad.", rief ich meinem Vater zu als ich aus dem Haus stürmte. Ich schlug hinter mir die Tür zu.

An der Mauer stand mein Skateboard und spontan griff ich danach. Ich verliess unser Grunstück und setzte meinen rechten Fuss auf das Brett um mich mit dem linken Fuss von der Stelle wegzuschieben. Doch anstatt zu rollen fiel ich nach vorne. Ein brennender Stich durchfuhr mein Handgelenk, als ich am Boden aufprallte.

"Shit!", fluchte ich, als ich mich aufrichtete.

Leicht verwirrt wandte ich den Blick meinem Board, das noch an der gleichen Stelle stand wie vorhin schon. Eigentlich sollte es doch nach hinten weggerollt sein. Da erblickte ich etwas braunes an Achse.

Ich rutschte zu meinem Board bevor ich es umdrehte. Die Achsen waren mit einer braunen Masse verklebt, die sich bis zu den Rollen erstreckte.

"Was soll das?", flüsterte ich mir selbst fragend zu.

Ich fasste etwas unsicher an die braune Masse. Sie war hart wie Stein. Nun fiel mir der Schriftzug auf, der mit schwarzer Farbe auf meinem Brett stand. 'rotes Haus neben dem Hotel Exelsior', entzifferte ich. Ich kannte das Hotel. Es war zu Fuss bestimmt eine halbe Stunde entfernt. Doch ich konnte Becca nicht einfach warten lassen. Leider war das Hotel und somit auch dieses mysteriöse rote Haus genau in der entgegengesetzten Richtung. Doch ich konnte nicht widerstehen.

Aus dem Keller hinter unserem Haus holte ich mein altes Skateboard. Bevor ich losfuhr kontrollierte ich die Rollen und schrieb Becca, dass ich mich verspäten würde. Während ich die Strassen entlang fuhr wurde mir klar wie unglaublich strub diese ganze Sache war.

Jemand verklebt mein Skateboard und steckt mir einen Zettel in die Tasche. Was wollte diese Person von mir? Oder waren es mehrere? Ich blieb vor dem grossen Hotel stehen. Eine Gruppe von Jungs in meinem alter liefen mit einem Pfeifen an mir vorbei. Ich verdrehte die Augen. Ich hatte nun wirklich andere Sorgen. Ich sah mich nach einem roten Haus um. Doch alle Häuser waren grau oder braun... Was soll das denn? Warum versucht eine Person mich an Orte zu führen, die nicht existierten? Ich entschloss mich in der Gegend ein bisschen umzusehen, vielleicht war dieses rote Haus ein wenig entfernt. Ich fuhr auf meinem Board in der Gegend rum.

Ich überlegte mir, ob ich einige Leute fragen sollte, ob sie wussten wo dieses rote Haus war. In Manhatten war das keine Seltenheit, dass man angesprochen wurde oder jemanden anspricht... man würde sich in so einer Grossstadt sowieso nicht mehr begegnen. Mir fällte aber das Selbstvertrauen einfach jemanden anzuquatschen. Nach dem ich fast eine ganze Stunde irgendwo in der Gegend herumgefahren war gab ich auf.

Falls ich sterben sollteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt