Kapitel 12

308 20 2
                                    

Wir gingen durch die Glasdrehtüre. Dann traten wir auf weissen Marmor. Über uns hing ein pompöser, goldener Kronleuchter, den man fast mit einem Fernrohr bewundern musste, weil die Decke mindestens 30 Meter hoch war. Jason liess sich im Gegensatz zu mir von dem ganzen Prunk nicht beirren und ging mit grossen, selbstbewussten Schritten auf die pompöse Rezeption zu. Ich war zwar gewöhnt in solchen Hotels zu schlafen wegen meinem Vater, doch diesesmal sah ich den ganzen Luxus mit anderen Augen. Als ich die in einem Anzug gekleidete Frau sah wurde mir erst bewusst, dass ich hier in einer Jogginghose herumlief. Ich beschleunigte mein Tempo, sodass die Theke meine Joggingshose verdeckte.

"Ich vermute ein Zimmer für zwei.", stellte die junge Frau mit einem aufgesetzten Lächeln fest.

"Ja.", bestätigte Jason ohne mich zu fragen ob es mir recht sei. Ich hatte es ja vermutet, dass ich wohl nicht alleine in einem Zimmer einschlafen werde. Nachdem sie unsere Daten aufgenommen hatte gab sie und einen Schlüssel mit der Nummer 711 an einen Anhänger geschrieben. Der Schlüssel war golden, so wie wohl die meisten Dinge in diesem Hotel.

"Stock 13. Einen schönen Aufenthalt.", sagte sie und zwinkerte mir zu. Ich hätte ihr am liebsten gesagt, dass ich und Jason kein Paar waren, doch das hätte nichts an der Situation geändert. Wir traten in den Aufzug, welcher natürlich auch mit goldenen Details verziert war. Der Türknopf unseres Zimmers war ausnahmsweise auch golden. Jason drehte den Schlüssel um und wir betraten unser Hotelzimmer. Es war mir rotem Teppich verkleidet. Die Wände waren schlicht weiss. Gegenüber dem riesigen Doppelbett stand eine dunkle Kommode mit einem grossen Flachbildfernseher darauf, sowohl auch ein Telefon und einige Unterlagen. Abgegrenzt vom Raum gelangte man durch eine weitere Türe in das Badezimmer, welches wohl das Thema Regenwald hatte. Wenn ich mit meinem Vater in ein Hotel gefahren wäre hätte er wahrscheinlich rumgemeckert, dass die Decke nicht hochgenug sei oder die Trinkgläser nicht auf dem Kopf standen, wie es sich gehörte. Doch die Tatsache, dass ich nicht mit meinem Vater in einem Hotel war schien mir andere Augen zu verleihen. Ich war für einen kurzen Moment glücklich. Doch dann hörte ich, wie sich Jason auf das Bett fallen liess und mein Magen drehte sich um. Das Problem war nicht, dass sich Jason auf das Bett schmiss, sondern die Tatsache, dass ich mit ihm diese Nacht im gleichen Bett schlafen musste. Nicht Jason war das Problem, sondern ich. Ich hatte eine Abneigung dafür entwickelt, mit einem Jungen in einem Bett zu schlafen. Als ein Kumpel von mir - Marco - bei mir übernachtet hatte ist er immer näher an mich ran gerutscht und hatte sich dabei wohl mehr als nur schöne Träume erhofft. Die Geschichte war wohl der Grund dafür, weshalb ich nun seit acht Minuten vor dem Spiegel stand und meine Zähne putzte, in der Hoffnung, Jason würde einschlafen, bevor ich ins Bett ginge.

- Jason's Sicht -

Joyce war noch im Badezimmer, während ich schon im Bett lag. Ich hatte sie nie gefragt, ob es für sie in Ordnung war im gleichen Bett zu schlafen. Ich hoffte sie würde es mir nicht übel nehmen. Ich tippte in mein Handy eine Nachricht an Kyle. ‚Yo Bro. Was lief bei euch? Will Louis uns verfolgen? Ruf an, wenn du mal alleine bist...' Ich drückte auf Senden. Im gleichen Moment kam Joyce in einer kurzen Pyjamahose und einem Top aus dem Bad. Ich musste mich zusammenreissen sie nicht von oben bis unten zu mustern. Ohne etwas zu sagen legte sich auf ihre Seite des Bettes. So wie es schien möglichst weit von mir weg. Ich setzte mich hin und lehnte an der Wand an.

„Alles in Ordnung bei dir?" Sie drehte sich zu mir um und setzte sich auch hin.

„Ja.", log sie mich an. Natürlich ging es ihr nicht gut. Einfach so ihr Leben hinter ihr zu lassen war bestimmt nicht einfach für sie. Das Leben ist eine leere Fläche. Jeder Mensch baut sich eine Burg mit starken Mauern, mit Leuten die man mag und fühlt sich sicher dort drin. Sie wurde aus dieser Burg herausgezogen und auf eine leere Fläche gesetzt. Ich war wohl der einzige, der bis jetzt auf ihrer neuen Fläche stand. Ich sah sie mit wissender Miene an.

„Nein.", änderte sie ihre Antwort. Ich merkte, dass es sie nervös machte, dass ich oberkörperfrei dort sass. So stand ich auf und zog mir ein T-Shirt über. Dann lächelte ich sie neckend an. Sie musterte mich nervös.

„Ich hab doch nicht... ähm... Du musst nicht... Es ist nicht nö..."

„Du musst nichts sagen.", erlöste ich sie von ihrem Gestottere. Ihre Augen sahen mich dankbar an. Die meisten Konversationen, die wir bis jetzt geführt hatten liefen über Körpersprache. Ich glaubte, dass wir uns besser so verständigen konnten als über Worte. Nachdem ich mich wieder neben sie gesetzt hatte, hätte ich sie gerne in den Arm genommen. Sie schien sich alleine zu fühlen. Doch ich war mir sicher, dass das alles nur schlimmer machen würde.

„Woher kenn' ich dich?", fragte sie mich schliesslich.

„Du hast mich beim Maskenball kennengelernt und dann bist du mit mir in ein Au..." Ihr Blick schnitt mir den Satz ab. Ich wusste nicht, ob es eine gute Idee war sie an die Begegnung im Park zu erinnern.

„Vor knapp 10 Jahren auf der Parkbank. Der Typ, dem du die Waffel da gelassen hast und mir somit so gut wie mein Leben gerettet hast. Jetzt kann ich mich revanchieren." Ungläubig schaute sie mich an.

„Das bist du? Das ist eine Ewigkeit her... Ich bin danach wieder zu meinem Vater gelaufen und hab' ihm gesagt ich hätte die Waffel schon gegessen." Wir mussten beide Lächeln.

„Damals war das Leben noch so... einfach.", stellte sie fest. Doch dieser Fakt traf auf mich nicht zu. Wir diskutierten noch eine Weile über unsere erste Begegnung, bis wir beide nichts mehr dazu zu sagen hatten. Nach einer Weile Schweigen blickte Joyce gedankenversunken an die Wand.

„Über was denkst du nach?", fragte ich nach. Sie drehte ihren Kopf in meine Richtung. Dann senkte sie ihren Blick.

„Becca."

„Wieso über Becca?" Sie schaute mich mit fassungslosem Blick an. „Du musstest deine beste Freundin zurücklassen... Für euch weiblichen Wesen ist das wahrscheinlich viel schlimmer. Tut mir leid." Sie sah mich mit einem noch fassungsloseren Blick an. Ich verstand nicht. Ein unbehagliches Gefühl schlich in mich, als sie verwirrt auf die Decke schaute und dann wieder zu mir, als ob sie wissen wollte ob ich es ernst meinte.

„Wann bist du aus dem Raum gegangen?", fragte sie mich nun, als ob das einen Unterschied machen würde.

„Ähm... Als du zu Becca gerannt bist hat mir Kyle einen Blick zugeworfen, dass er alles regelt. Dann bin ich raus gerannt. Wieso?" Als ich zu ihr schaute, waren ihre Augen mit Tränen gefüllt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, obwohl ich nicht wusste was ich getan hatte. Ich hätte sie gerne in den Arm genommen, doch falls es Tränen der Wut waren, wäre das keine gute Idee gewesen.

„Joyce, ich...", wollte ich beginnen doch sie schnitt mir das Wort ab.

„Sie wurde zehn Sekunden darauf erschossen, Jason."

Sie schrie mich förmlich an. Nicht laut, trotzdem mit diesem Unterton, der Häuser zum einstürzen bringen würde. Ich realisierte.

„Das tut mir wahnsinnig leid." Es war das erste Mal seit langem, dass ich einen Menschen weinen sah, weil jemand anderes gestorben ist. Als ich klein war hatte Madlene - ein Mädchen aus dem Kinderheim - mal geweint, weil ihr Bruder verstorben war. Ich wusste zwar, dass es gewöhnlich war zu weinen, wenn jemand stirbt. Doch erst jetzt begriff ich, dass mein Job daraus bestand Menschen zum Weinen zu bringen. Dieser Fakt liess mich meine Vergangenheit plötzlich zehn Mal schlimmer wirken. Ich rappelte mich auf um Joyce ein Taschentuch zu bringen. Mein Verstand flüsterte mir, dass ich nicht ein Mädchen - welches mich kaum kennt - nicht einfach so trösten sollte. Doch mein Bauchgefühl war stärker. Also nahm ich sie in den Arm. Sie duftete nach irgendeiner Frucht. Vielleicht Apfel oder so. Jedenfalls roch sie gut. Wenn es irgendein anderes Mädchen gewesen wäre, hätte ich jetzt wahrscheinlich das Timing ausgenutzt und es geküsst in der Hoffnung es würde nicht nur beim Küssen bleiben. Doch ich hatte das Gefühl ich sei es Joyce schuldig nicht einfach so über sie herzufallen. Ich hätte Situation schamlos ausnutzen können, das kann niemand verneinen. Sie entspannte sich langsam in meinen Armen. Noch immer hielt sie das Taschentuch so krampfhaft fest, dass man sehen konnte wie angespannt ihre Hand war.

„Ich brauch frische Luft.", wisperte sie und hob ihren Kopf von meinem von Tränen durchnässtem Shirt.

„Geh'n wir auf den Balkon.", bot ich ihr an. Sie löste sich ganz aus meinen Armen, was mir unbewusst wohl nicht gefiel, denn ich hatte sofort den Impuls sie wieder zu umarmen um ihr zu zeigen, dass sie nicht alleine war. Als ich dieses Gefühl realisierte, merkte ich, dass das wohl mit meiner Kindheit zu tun hatte.

Falls ich sterben sollteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt