Sechsundzwanzig

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Der kühle Wind umhüllte mich, gefolgt von dem vertrauten Gefühl der Schwerelosigkeit. Es war das untrügliche Zeichen, dass ich gleich in der anderen Welt ankommen würde. Eine Welt, in der ausgerechnet Ara, die Sanftmütige und Gerechte, verletzt worden war. Es war nicht so, dass Tierra, Lavea, Ivy, Lani oder ich selbst es mehr verdient hätten. Doch Ara, die immer das Herz am rechten Fleck hatte und stets gerecht zu allem war, schien der Knotenpunkt unserer Gruppe zu sein. Sie hielt alles zusammen, auch wenn das eigentlich meine Aufgabe gewesen wäre.

Mit einem leisen Aufprall landete ich unsicher am Rand des Waldes der wechselnden Jahreszeiten, wo die Bäume ständig ihre Farben änderten und uns eine schützende Zuflucht boten. Ich warf einen prüfenden Blick hinter mich und stellte fest, dass Marik auch dieses Mal mit uns gesprungen war. Aras qualvolles Wimmern drang sofort wieder an meine Ohren und ließ mich zusammenzucken. Langsam ging ich in die Knie und hockte mich neben sie.

Ihre blauen Augen starrten mich an, voller Schmerz. Der Anblick jagte mir einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter. „Tara, mach, dass es aufhört", flehte sie.

„Es wird bald besser, Ara", sagte ich, obwohl ich selbst wenig zuversichtlich war. „Du sagst doch immer, wir müssen dem Stern vertrauen." Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihre Wange.

Die anderen standen etwas abseits, um uns herum, und schwiegen. Uns tat es allen sehr leid, dass es ausgerechnet Ara erwischt hatte. Ich strich ihr sanft über das Gesicht und bemerkte, wie sie ruhiger wurde. Doch noch bevor ich wirklich begreifen konnte, was geschah, spürte ich ein vertrautes Kribbeln auf meiner Haut, das sich rasch zu einer intensiven Energie aufbaute. Mein Anhänger, den ich um den Hals trug, begann plötzlich und unkontrolliert zu leuchten. Ein helles, intensives Licht strömte von ihm aus und hüllte uns beide ein.

Aras Augen weiteten sich vor Schreck, als sie spürte, wie sich etwas in ihrem Körper veränderte. „Tara... was...?" Ihre Stimme brach ab, als die Energie plötzlich auch auf sie überging. Ihre kleine Hand krallte sich in meine, während ihr Körper zu beben begann. Zuerst wollte ich zurückweichen, Angst stieg in mir auf. Doch es war, als hätte der Stern selbst meine Hand geführt. Ich konnte nicht aufhören, die Energie floss unaufhaltsam weiter.

Das Licht, das von meinem Anhänger ausging, wurde immer stärker, bis es schließlich so hell war, dass es die Farben des Waldes ringsum erblassen ließ. Ich konnte das Pulsieren der Magie in meinen Adern spüren, es fühlte sich an, als würde das Licht direkt aus meinem Herzen kommen und durch jede Faser meines Körpers strömen. Mein Atem ging schwer, meine Glieder zitterten, aber ich konnte nicht aufhören. Der Stern zwang mich, weiterzumachen.

Unter meiner Berührung begann Ara ruhiger zu werden, ihr Körper entspannte sich langsam. Das Zittern ließ nach, und mit einem Mal sah ich, wie die Wunden an ihrem Körper in einem warmen, goldenen Licht zu leuchten begannen. Zuerst nur schwach, dann immer intensiver, als ob die Heilung von innen heraus käme. Das Leuchten wurde so stark, dass es beinahe blendete, und ich konnte förmlich spüren, wie ihre Schmerzen nachließen, wie die Verletzungen langsam heilten. Es war, als würde sich ihr kleiner, geschundener Körper unter meinen Händen regenerieren.

Die Magie, die durch mich floss, wurde allmählich schwächer, und mit ihr auch das Leuchten. Die Wunden auf Aras Körper zogen sich zusammen, wurden blasser, bis sie schließlich ganz verschwanden. Ihre Atmung war wieder ruhig, und ihr Gesicht hatte seine Farbe zurückgewonnen. Ich konnte fühlen, wie meine Kraft rapide nachließ, und schließlich brach ich keuchend zusammen, meine Hand löste sich von Aras Wange, als ich rücklings gegen einen Baumstamm sank.

„Tara!" Ivy war sofort bei mir, doch ich konnte ihre Worte nur verschwommen wahrnehmen. Mein Blick war starr auf Ara gerichtet, die immer noch regungslos am Boden lag. Hatte ich sie geheilt? Oder hatte ich ihr noch mehr Schaden zugefügt?

Für einen endlos scheinenden Moment passierte nichts. Dann, langsam, fast wie in Zeitlupe, öffnete Ara ihre Augen. Sie blinzelte, als würde sie versuchen, sich zu orientieren, bevor sie sich vorsichtig aufsetzte. „Tara?" Ihre Stimme war schwach, aber da war keine Spur von Schmerz mehr darin, nur Erstaunen und eine vorsichtige Freude.

Erleichterung durchströmte mich, aber mein Körper fühlte sich schwer an, als wäre jede Energie aus mir herausgesogen worden. „Alles in Ordnung", brachte ich keuchend hervor, während Ara sich auf mich zubewegte.

Als sie mich erreichte, zögerte sie kurz, bevor sie ihre kleinen, zitternden Hände nach meinen ausstreckte. Ihre Berührung war warm und fest, und ich konnte sehen, wie Tränen in ihren Augen schimmerten. „Du hast mich geheilt", flüsterte sie ungläubig, und ihre Stimme zitterte vor Emotion. „Tara... ich... ich weiß nicht, was ich sagen soll."

„Es... es war der Stern", murmelte ich, obwohl ich selbst nicht ganz verstand, was gerade geschehen war. „Er hat mich... er hat uns beide geführt."

Für einen Moment schien Ara sprachlos, dann schloss sie ihre Arme um mich und zog mich in eine feste Umarmung. „Danke", hauchte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Die anderen Mädchen hatten uns umringt, und ihre Gesichter spiegelten eine Mischung aus Erleichterung und Staunen wider. Marik stand ein Stück entfernt und sah uns mit großen Augen an, den Mund leicht geöffnet vor lauter Bewunderung.

„Das war so unglaublich", flüsterte er ehrfürchtig. „Ich... ich wusste nicht, dass du so stark bist, Tara."

Ara löste sich langsam von mir, und in ihren Augen lag ein neuer Glanz. „Du hast nicht nur meine Wunden geheilt", sagte sie leise. „Ich fühle mich... stärker, lebendiger. Als hätte der Stern mir mehr gegeben als nur das Leben zurück."

Ich nickte, immer noch etwas benommen von dem, was gerade passiert war. „Vielleicht... vielleicht hat er uns alle stärker gemacht", sagte ich, meine Stimme heiser.

Ara lächelte mich an, und in diesem Lächeln lag eine Wärme, die tief in mein Herz drang. Es war ein Lächeln voller Dankbarkeit, Hoffnung und vielleicht auch neuem Vertrauen in unsere Fähigkeiten. „Was auch immer passiert, wir werden es zusammen schaffen", flüsterte sie, und zum ersten Mal seit Langem spürte ich, wie der Glaube an unsere Mission wieder in mir aufkeimte.

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