Dreißig

2 1 0
                                    

Stillschweigend folgte ich dem Weg zu Mailas Praxis, Marik an meiner Seite. Unsere Mutter hatte bemerkt, dass auch er inzwischen von den Ohnmachtsanfällen heimgesucht wurde, und wollte ihn ins Krankenhaus bringen. Aber ich wusste, dass das nichts bringen würde. Also war ich hier, mit Marik im Schlepptau, und es wurde Zeit, mit Maila über all die neuen Entwicklungen zu sprechen.

Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die Tür zu Mailas Praxis. Hannah, ihre Sprechstundenhilfe, stand am Empfang und lächelte uns warm an. Sie war Mitte zwanzig, hatte eine ruhige, freundliche Ausstrahlung und trug ihren typischen dunkelblauen Kittel über einer weißen Bluse. Ihr Haar war zu einem lockeren Dutt hochgesteckt, aber ein paar Strähnen fielen ihr sanft ins Gesicht, was ihrem professionellen Auftreten eine unerwartet weiche Note verlieh. Ihre grünen Augen funkelten hinter einer schlichten Brille, als sie uns entdeckte.

„Maila wartet schon auf dich", sagte sie mit einem freundlichen Nicken. Für Hannah war es nichts Ungewöhnliches, dass ich zweimal die Woche hierherkam, und sie stellte nie Fragen. Zum Glück.

Ich griff Mariks Hand, der neugierig die Praxis musterte, und führte ihn tiefer in den Flur. Im Behandlungszimmer war keine Spur von Maila zu sehen, also ging ich durch den Raum in ihr Büro.

Als ich die Tür öffnete, überkam mich sofort ein vertrautes Gefühl von Ruhe und zugleich eine unerklärliche Anspannung. Der Raum strahlte eine eigenartige Aura aus, die sich wie ein dichter Nebel um mich legte. Es roch nach Lavendel, doch da war ein tieferes, undefinierbares Aroma, das den Raum durchzog.

Die Wände waren mit Bücherregalen gesäumt, die sowohl alte, verstaubte Folianten als auch moderne Werke enthielten. Einige der Bücher trugen fremdartige Symbole, die ich schon einmal in den Texten über Elysia gesehen hatte. Der massive Schreibtisch aus dunklem Holz stand im Zentrum des Raumes, dahinter ein großes Fenster, durch das man auf einen dichten, sanft schwankenden Wald blickte. Auf dem Boden lag ein Teppich, in dessen Mustern Symbole eingearbeitet waren, die nur Eingeweihte deuten konnten.

Maila stand am Schreibtisch und durchforstete konzentriert ihre Notizen. Als ich mich räusperte, sah sie auf.

„Tara", begrüßte sie mich mit einem Lächeln, das sofort etwas von der Schwere im Raum nahm. Sie sah zu meinem Bruder. „Marik. Du bist auch wieder hier."

„Mama wollte ihn ins Krankenhaus bringen", erklärte ich rasch. „Aber ich hab ihr gesagt, dass du ihm helfen kannst. Sie denkt, seine Ohnmachtsanfälle sind ein medizinisches Problem."

Maila nickte, ihre Miene ernst, aber verständnisvoll. „Natürlich. Ich werde sehen, was ich tun kann." Ihr Blick wanderte zurück zu mir. „Und Ara? Wie geht es ihr?"

Bevor ich antworten konnte, platzte Marik dazwischen: „Tara hat sie geheilt! Es war unglaublich. Ein helles Licht ging von ihr aus, und Ara wurde gesund. Sie ist noch schwach, aber die Verletzungen sind weg." Seine Augen leuchteten, als er sprach, doch die Bedeutung seiner Worte ließ mich nur nervös auf der Stelle treten.

Mailas Blick wurde schärfer, ihre Aufmerksamkeit war nun ganz auf mich gerichtet. „Ein helles Licht?" Ihre Stimme klang ruhig, aber ich konnte das Interesse und die Besorgnis darin hören.

Ich nickte und schob die Hände in meine Taschen, meine Gedanken rasten. „Ja, es war anders als sonst. Es fühlte sich an, als hätte ich etwas geweckt. Es war nicht wie die anderen Male, als ich meine Kräfte benutzt habe."

„Das könnte bedeuten, dass deine Verbindung zu Elysia stärker wird." Mailas Stimme war leise, aber ihre Augen verrieten, dass sie tief nachdachte. „Vielleicht hast du Zugang zu Kräften, die du bisher nicht kanntest."

Ein kaltes Frösteln kroch meinen Rücken hinauf, doch ich versuchte, meine Nervosität zu verbergen. „Es wäre nicht das erste Mal, dass meine Kräfte mich überraschen. Aber du hast recht, sie werden stärker. Und sie scheinen nicht mehr nur auf Elysia begrenzt zu sein."

Mailas Augenbrauen zogen sich zusammen. „Was meinst du damit?"

„Ich habe dir doch von dem Netz erzählt, durch das ich Tierra beobachtet habe", begann ich und sah, wie Maila nickte. „Lavea hat mich vor ein paar Tagen darüber kontaktiert – aber hier, in dieser Welt. Es war wie ein Videoanruf. Ich konnte sie sehen und hören, aber ich war nicht in Elysia. Mein Anhänger hat dabei geleuchtet, und ich habe dieses Kribbeln gespürt, das ich immer fühle, wenn ich meine Kräfte benutze."

Mailas Stirn legte sich in Falten. „Das ist... faszinierend und beunruhigend zugleich." Sie legte die Notizen beiseite und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bisher waren deine Fähigkeiten klar an Elysia gebunden. Wenn du sie nun auch hier nutzen kannst, könnte das bedeuten, dass die Grenzen zwischen den Welten brüchiger werden."

Marik, der bis jetzt still gewesen war, schnaubte. „Das klingt doch praktisch. Jetzt kann Tara einfach mit Leuten aus Elysia sprechen, wann immer sie will."

„Es mag nützlich erscheinen", entgegnete Maila ruhig, aber man konnte die Anspannung in ihrer Stimme hören. „Aber jede Macht, die über ihre Grenzen hinausgeht, birgt Risiken. Was, wenn die Verbindung instabil wird? Oder wenn die Räuber der Elemente diese Schwäche in den Barrieren ausnutzen?"

Ein Schauer lief mir über den Rücken. „Glaubst du, es könnte gefährlich sein, dass ich meine Kräfte jetzt auch hier nutzen kann?"

Maila sah mich ernst an. „Die Nebel, die mit jeder Generation zunehmen, sind ein Zeichen, dass die Kräfte der 8 Generationen auf diese Welt ausstrahlen. Sollte die Barriere brüchig werden, könnten die Auswirkungen verheerend sein. Aber wenn der Stern dir die Möglichkeit gibt, diese Kräfte hier zu nutzen, dann verfolgt er möglicherweise einen Plan."

Ich biss mir auf die Lippe, mein Kopf fühlte sich plötzlich schwer an vor all den Fragen. „Aber was sollen wir tun? Ara ist noch zu schwach zum Kämpfen, und Lavea sagte, es gibt hunderte von Räubern. Wie sollen wir gegen sie ankommen?"

„Leute...", murmelte Marik leise, aber wir reagierten nicht auf ihn.

Maila lächelte sanft. „Der Stern wird euch leiten. Ihr müsst Vertrauen haben."

„Leute!" Mariks Stimme wurde nun energischer, fast panisch.

Wir drehten uns zu ihm um. Er zeigte auf das Plakat an der Wand, das den Stern darstellte. Langsam, fast wie in Zeitlupe, begannen sich die Zacken des Sterns zu teilen. Feuer, Wind und Wasser spalteten sich, die Erde gar in drei Teile – aber meine Zacke blieb unverändert.

Mir stockte der Atem. „Was bedeutet das?"


Hallöchen. Überraschung, Überraschung dieser Roman ist nun zu Ende und es wird einen zweiten Teil geben. Mir sind beim Schreiben noch so viele Ideen gekommen das ich die Unmöglich in ein Buch verpacken kann, also wird bald der zweite Teil erscheinen. Liebe Grüße eure Vivi


Die Legende der Elemente - Das Erbe der AuserwähltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt