❁ Ava ❁

520 21 4
                                    

Schockiert starre ich den Mann vor mir an, den ich immer für meinen Vater hielt. Bob Sheera, ein groß gewachsener, starker Mann sitzt mit Tränen in den Augen und gefalteten Händen vor mir.

"Ava..", seine Stimme bricht. "Für mich warst du immer meine Kleine. Daran wird sich nie etwas ändern. Ich gab dir, was immer du dir gewünscht hast. Du warst stets sicher bei mir und genau darum geht es. Um deine Sicherheit."
Mit verschränkten Armen richte ich den Blick weg von dem Menschen, der mir gerade den Boden unter den Füßen entriss.

"Ich glaube dir nicht. Das kann nicht sein." Meine Stimme trieft vor Verachtung und Wut.
Heute, an meinem 20. Geburtstag muss ich erfahren das alles auf einer Lüge aufgebaut ist. Das nichts von dem was ich hatte und nichts von dem was ich glaubte zu wissen, der Wahrheit entsprach.
Der Brief, der all die Dinge offenbaren sollte, die ich nicht wusste, lag wie ein drohendes Unheil in der Mitte des Tisches zwischen uns. Bob streckt die Hand nach dem Brief aus und beginnt ihn zu lesen.

"Mein liebes Kind, meine Ava. Ich kann dir gar nicht sagen wie schwer es mir fällt diese Zeilen zu schreiben und zu wissen das Du sie erst dann lesen wirst, wenn es mich schon lange nicht mehr gibt.
Seit es dich gibt, habe ich versucht alles richtig zu machen, ein guter Mensch und Vater zu sein, aber ich habe versagt.
Deine Mutter starb als du noch sehr klein warst und es ist meine Schuld das sie viel zu früh aus ihrem Leben gerissen wurde. Ich habe mich mit den falschen angelegt. Habe zugelassen, daß sie sie mir nehmen. Aber ich schwor ihr, Dich stets zu schützen. Und das tue ich. Mein engster Freund und stets treuer Gefährte ist Bob. Ihm vertraue ich mein Leben an und nun auch deines. Die Männer, die für den Tod deiner Mutter verantwortlich sind, kommen nun auch mich holen. Wenn sie dich finden, werden sie dir unsagbar schreckliche Dinge antun, das kann ich nicht zulassen. Bob wird dich mit sich nehmen. Er wird sich um dich kümmern und dich groß ziehen, dir alles ermöglichen was in seiner Macht steht. Und wenn du eines Tages bereit bist, wird Bob dir von mir erzählen. Von deiner Mutter. Es tut mir leid das ich nicht selbst bei dir sein kann, dich begleiten kann. Du wirst immer in meinem Herzen sein, über den Tod hinaus.
In Liebe, dein Vater. "

Ich schlucke schwer, kämpfe mit aller Kraft dagegen an in mich zusammen zu sacken und zu weinen. Bob faltet den Brief vorsichtig und schiebt ihn mir rüber. Er spricht nicht weiter, möchte mir Raum geben.

"Ava, ich...", beginnt er, stoppt jedoch als er meine Hand in der Luft sieht, die ihn stumm auffordert zu schweigen.

"Was hast du Dir dabei gedacht? Hast Du angenommen ich würde das einfach so wegstecken, verkraften das alles eine Lüge ist und weitermachen wie bisher!?".
Ich schreie ihn an aber das ist mir egal. Ich bin wütend, ich bin voller Zorn und zum allerersten mal in meinem Leben bin ich komplett verloren und hoffnungslos.

Bob schüttelt den Kopf und erhebt sich. Als er sein Portemonnaie hervor holt und öffnet, fischt er ein Bild heraus und zeigt es mir.

"Das sind Kathrine und Marcus de la Russo. Deine Eltern. Du bist ihre einzige Tochter, Ava de la Russo. Ich gehörte zu den engsten Vertrauten deines Vaters, der illegale Geschäfte mit legalen verwob und dadurch eine Menge Geld scheffeln konnte. Eines Tages legte sich Marcus jedoch mit den falschen an, einem viel zu großen Fisch in der Unterwelt. Zur Strafe wurde Kathrine entführt, vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Ihre sterblichen Überreste legte man vor euer Haus. Ich fand sie."

Er schaut mich an, beobachtet meine Reaktion. Mit aufgerissenen Augen schaue ich mir das Bild an, bin schockiert was er erzählt. Mit einem Ruck springe ich auf und marschiere davon. Ich kann mir das nicht länger anhören.

"Ava! Wir müssen darüber reden. Du musst die Wahrheit erfahren!"

Abrupt bleibe ich stehen. Ich zittere am ganzen Körper. Bob kommt näher, lässt jedoch eine Armlänge Platz zwischen uns.

"Dein Vater hat gelitten, sehr. Doch anstatt Rache auszuüben entschloss er sich, daß ganze anders zu regeln. Durch einen Trick gelang es ihm, diese Menschen eine Falle zu stellen und involvierte die Polizei.
Natürlich wussten alle, wer dahinter steckt und so schworen sie ihm, dich zu holen und versprachen das dich das selbe Schicksal ereilt wie einst deine Mutter.
Deshalb schickte dein Vater dich weg. Er beauftragte mich damit, für den Rest meines Lebens für dein Leben zu sorgen, weit weg von all der Kriminalität und Brutalität. Und hier sind wir jetzt."

Ich breche in Tränen aus. Verstehe die Welt nicht mehr. Wie konnte von jetzt auf gleich alles so dermaßen außer Kontrolle geraten?

In meinem Zimmer angekommen, nehme ich nur schemenhaft meine Umgebung wahr. Alles um mich herum fühlt sich kalt und leer an. Mein Spiegelbild verhöhnt mich. Wütend werfe ich das erst beste was ich greifen kann in Richtung des Spiegels, höre wie er zersplittert und sinke auf meine Knie. Ich lasse meinen Kopf sinken und meine langen schwarzen Haare hüllen mein Gesicht ein, verstecken es.

Bob ist mir gefolgt, weint leise auf der anderen Seite der Tür. Er sagt nichts, denn er weiß das es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt wäre. Und auch ich schweige, verharre in dieser Haltung. Und irgendwann reißt mich dieser komplett verrückte Irrsinn des heutigen Tages in einen unruhigen Schlaf.

Ich erwache wenig später in meinem Bett. Irritiert und fragend schaue ich mich in dem dunklen Zimmer um und nehme Bobs Gestalt wahr, die in dem Sessel neben dem Fenster sitzt.

"Wie lange sitzt du schon da?" frage ich, doch ich kenne die Antwort bereits. Er hat über mich gewacht. Die ganze Zeit. Er hat mich ins Bett gebracht und zugedeckt. Wie früher.

"Ich wollte dich nicht allein lassen. Das wäre nicht richtig, auch wenn ich weiß das ich nicht gutmachen kann, was geschehen ist. Du wirst mir nie verzeihen das ich es dir solange verschwiegen habe. Aber ich bin bereit dir jede Frage über deine Eltern zu beantworten. Das sollst du wissen, Kleine."
Er spricht ruhig und leise, als hätte er Angst man könne uns belauschen. Das riesige Haus, das ich all die Jahre mein Zuhause nannte, liegt still und bedrohlich hoch oben auf dem Berg, umgeben von Bäumen und einem hohen Zaun.

"Marcus sagte, du würdest mir von ihnen erzählen, wenn ich bereit wäre. Und du dachtest ich sei nun bereit?" Meine Stimme klang anklagend.

"Hast du dich nie gefragt wieso ich darauf bestand das du von Security bewacht wurdest? Hast du dir nie Gedanken darüber gemacht, wieso ich wollte das du einen Selbstverteidigungskurs belegst?"

Seine Stimme ist klar und direkt, so wie ich sie kenne. Und er hat Recht. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wieso ich in einer Festung lebte, wieso er so besessen von meiner Sicherheit ist. Jetzt verstehe ich..

"Sie suchen nach mir." sage ich, und nehme im Augenwinkel wahr, wie er zusammen zuckt.
Er antwortet zögerlich.

"Nachdem dein Vater uns wegschickte, zogen wir hierher. Ich dachte Redfield sei ein sicherer Ort, weit weg von all den Problemen in Richfield. Aber eine gewisse Schuld verjährt nicht. Sie haben lange gebraucht um herauszufinden das ich dich versteckt habe. Das ich Beamte geschmiert habe und dir meinen Namen gab."

Angst erfasst mich. Was soll ich jetzt bloß tun?

Dark Temptation - Im Schicksal vereint Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt