❁ Ava ❁

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Bob, Alan und ich haben Crocktown verlassen.
Zu groß war die Gefahr, daß man uns doch eines Tages hier finden würde.

Wochen vergehen und ich habe mich immer noch nicht richtig im neuen Haus in Stanton eingelebt. Alles ist sehr steril und minimalistisch eingerichtet, versprüht bei weitem nicht die Wärme und Geborgenheit wie das Haus in Crocktown.

Ein paar Monate sind vergangen und Bob und Alan haben mich täglich richtig hart schuften lassen. Vom Ausdauer Training mit 20kg Gepäck mehrere Stunden über Täler und Bäche, bis hin zu den Trainingseinheiten im heimischen Fitness Raum war alles dabei, was einen körperlich an seine Grenzen bringt.

Bob steht vor mir und hält mir eine Pistole hin. Immer wieder in den vergangenen Tagen habe ich sie auseinander gebaut und wieder zusammen gesetzt. Er möchte das ich alle Bestandteile der Waffe kenne, sagt, sie muss ein Teil von mir werden.

"Du musst dich konzentrieren. Du hast in einer Notlage keine Optionen abzuwägen und du musst treffsicher sein. Kopfschüsse sind effizient, du musst aber auch wirklich treffen." Ernst sieht er mich an.

"Außer du willst jemanden nur bewegungsunfähig machen." sagt Alan, der langsam auf uns zu kommt. Er sieht mürrisch aus, so kenne ich ihn gar nicht.

Beide stellen die von ihnen präparierten Ziele auf. Jedes einzelne Ziel hat einen Punkt an einer anderen Stelle und ich muss alle treffen.

Ich entsichere die Waffe, halte sie fest mit beiden Händen. Ich schließe die Augen und sehe wie jede Nacht im Traum den Moment, als James von der Kugel getroffen wird und zu Boden geht. Als ich meine Augen wieder öffne hebe ich die Waffe und schieße. Der leichte Rückstoß jedes einzelnen Schusses federe ich leicht ab, verschieße das gesamte Magazin. 14 Schuss.
Bob nickt, steht mit verschränkten Armen direkt neben Alan und beobachtet mich. Als sie zur Auswertung zu den Zielen schlendern, senke ich die Waffe und lege sie zur Seite.

"10 Ziele. 9 von 10 wären rein theoretisch tot, wenn man die Einschusslöcher so sieht. Du hast aber einen außer Acht gelassen. Der könnte dich das Leben kosten!" grummelt Bob.

"Alter Mann, beruhig dich. Deine Augen funktionieren nicht mehr so wie sie sollen." neckt ihn Alan und verweist bei dem Ziel welches ich angeblich verfehlt habe auf den Kopf.

"Sie hat zwar nicht deine Markierung getroffen... Aber dafür hat sie 5 Kopftreffer gelandet."

Ein bißchen stolz bin ich schon auf mich, zeige es aber nicht. Ruhig und mit gefalteten Händen stehe ich da.

Anerkennend pfeift Bob, er weiß wen ich bei diesem Ziel vor Augen hatte. Das Training hat sich ausgezahlt, ich bin bereit. Ich werde James Vater und jeden der sich mir in den Weg stellt töten.

Beim Abendessen schweigen wir alle. Jeder ist für sich in Gedanken vertieft. Frisch geduscht und mit dem Shirt von James und seiner Jogginghose bekleidet sitze ich da und stochere in meinem Essen herum.
Wir haben nie wirklich über die Dinge geredet die passiert sind und ich habe versucht, sie zu unterdrücken, zu verdrängen. Doch jeden Tag schleichen sie sich mehr und mehr an die Oberfläche.

Alan bemerkt als erstes, wie lieblos ich mein Essen behandle.

"Willst du drüber reden?"

Bob hebt den Kopf und beide schauen mich gespannt an.

"Als der Mann ins Zimmer kam, mit seinem Elektroschocker.... Ich... Ich hab nie an den Teufel geglaubt oder an Gott. Aber in diesem Moment wollte ich, daß Gott mir hilft. Ich habe gefleht das er mich beschützt. Denn dieser Mann war eindeutig der Teufel."

Resigniert legt Bob sein Besteck weg. Ihm ist der Hunger vergangen. Auch Alan verzichtet darauf, weiter zu essen. Er faltet seine Hände und sieht mich an.

"Ich kann das erledigen. Dieser Mann wird keinem Menschen mehr Schmerz zu fügen. Du musst nur was sagen."

"Was ist mit dem anderen Schwein?" fragt Bob schließlich und ich sehe ihn stirnrunzelnd an.
"Sie müssen beide bezahlen für das, was sie ihr angetan haben."

Verwirrt blicke ich von dem einen Mann am Tisch zum andern. Dann geht mir ein Licht auf.

"Ihr wusstet es."

Schuldbewusst sehen Sie mich an. Ich bin fassungslos. Ich stehe auf, will den Raum verlassen. Da hält Alan mich auf.

"James. Er hat es uns erzählt als wir ihn befreit haben. Keiner von uns wollte taktlos sein und dich mit Fragen löchern. Deswegen haben wir nichts gesagt."

Tränen sammeln sich in meinen Augen. Bei dem Gedanken das James alles miterlebt hat wird mir ganz schlecht.

Alan's Handy klingelt. Genervt, weil der Anrufer ein echt schlechtes Timing hat, starrt er aufs Display.

"Da muss ich ran. Sorry. Bin gleich wieder da."

Mit dem Handy am Ohr verlässt er den Raum. Bob steht auf und kommt auf mich zu. Zögerlich legt er seine Arme um mich, drückt mich an seine Brust. Ich schließe die Augen, beiße mir auf die Zunge. Ich will nicht weinen, bin aber kurz davor.

Schweigend stehen wir eine Weile so da, dann nimmt Bob mich an der Hand und führt mich zu meiner Zimmer Tür.

"Schlaf etwas. Es wird dir gut tun." sagt er und will gerade den Rückzug antreten.

"Du kannst es nicht aufhalten, weißt Du. Ich weiß Du wolltest in den letzten Wochen, das ich einknicke, das ich aufgebe. Deswegen hast du mich so hart trainieren lassen."

Er atmet hörbar aus und es dauert eine Weile bis er spricht.

"Du bist meine Tochter, auch wenn du es nicht bist. Was passiert ist, ist das schlimmste was einem Menschen passieren kann. Mich hat es auch sehr mitgenommen und beschäftigt.
Aber ich kenne diese Welt, die dunkle Welt. Die Grenze, die du überschreiten wirst, wenn du jemanden tötest, ganz gleich ob er den Tod verdient hat oder nicht, wird dich verändern."

Mitleidig betrachte ich Bob. Er will mich immer noch beschützen.

"Ich verstehe wieso du es tun willst. Und ich sehe an deinem Verhalten das du dich bereits verändert hast. Dass das, was dir passiert ist einen Teil von dir genommen hat, der nie wieder zurück kehren wird.
Aber..." er stockt, als wolle er sich seine nächsten Worte genau überlegen.

"Selbst wenn du Devill tötest, wird James nicht wieder lebendig. Das ändert nichts an seinem Tod. Und du nimmst in Kauf in Gefahr zu geraten, vielleicht wieder im Verlies zu landen oder schlimmeres. Weil du keinen Respekt mehr übrig hast für dein eigenes Leben oder ausreichend Angst vor dem Tod."

Seine Worte treffen mich hart. Wortlos gehe ich in mein Zimmer, schließe die Tür und lasse ihn stehen.

Dark Temptation - Im Schicksal vereint Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt