𓆩 James 𓆪

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Natürlich habe ich eine der Frauen auf dem Foto direkt erkannt, selbst wenn Jahrzehnte vergangen sind, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe.
Müde blickt sie auf dem Foto die jüngere Version von sich an.

Würde Ava nicht auf meinem Schoß sitzen, würde ich aufspringen und laufen, solange bis meine Lungen kollabieren. Ihre Hand tätschelt meinen Rücken als ich langsam begreife was ich da sehe. Das kann unmöglich sein. Ich hebe den Blick und suche Alan, der immer noch mit dem Rücken zu uns steht und aufs offene Meer hinaus starrt. Er spürt meinen Blick auf ihm, dreht sich langsam rum.

"Sie war mit Ele schwanger, als dein Vater sie verkaufte. Ihr Ungehorsam, wie er es definierte weil sie widersprach und sich einmischte, zwang ihn sie los zu werden. Er hatte Angst sein Gesicht vor seinen Geschäftspartnern zu verlieren. Also fuhr er sie an einem sonnigen Morgen weit raus, tauschte sie gegen eine hübsche Summe ein und erzählte allen, sie sei abgehauen.
Nur einer handvoll Menschen machte er weiß, er hätte sie umgebracht." erklärt Alan und beobachtet meine Reaktion genau.

Doch da ist nichts. Ich bin wie erstarrt, fest gewachsen, als wolle mein Körper, meine Stimme mir nicht gehorchen.

"Er hat sie verkauft?" klinkt Ava sich ein. Bei ihren Worten wird mir speiübel.

Alan setzt sich wieder, greift instinktiv nach der Hand von Nikki, die ihn ebenso geschockt anstarrt wie ich es tue, wenngleich auch aus anderen Gründen wie ich vermute.

"Marcello Devill ist bei weitem nicht der Gipfel des Abschaums dieser Welt. Es gibt Männer die noch viel schlimmer sind als er. Er mag ein Sadist sein, doch es gibt Menschen die viel perverser sind. Der Mann, an den er verkauft hat, heißt Ronald Sunders. Nach außen hin ein gepflegter Geschäftsmann, der Immobilien und Luxuskarossen an Höchstbietende verkauft, aber ein völlig anderer wenn er seinen Tätigkeiten in der Unterwelt, dem Menschenhandel und der Prostitution, nachgeht." Alan blickt seufzend zu mir herüber. Er weiß was in mir vorgeht, er kennt mich gut genug.

Ich halte es nicht mehr aus, hebe Ava vorsichtig von meinem Schoß und laufe los. Ihre Rufe ignoriere ich.
Im Haus biege ich direkt ab um zur Front Tür zu kommen, reiße diese auf und renne schneller, so lange bis ich gerade noch rechtzeitig an der Klippe vor mir zum Halten komme. Ich bin 10 km einfach nur kopflos gerannt, will die Bilder die sich in meinem Kopf zusammen brauen zum Schweigen bringen und blicke die Klippen hinab.

Gefühlt stehe ich eine Ewigkeit hier, beobachte die Wellen die an den Klippen brechen, sich neu formieren und das selbe Spiel von vorn wiederholen. Meine Gedanken kreisen wie wild um die beiden Frauen auf dem Foto. Wut vermischt sich mit meiner Konsternation.

Die Hand auf meinem Rücken spüre ich erst gar nicht, doch der zaghafte Druck die sie ausübt ist zweifelsohne Ava zu zu schreiben. Ich drehe mich zu ihr herum, betrachte die wunderschöne Frau die sie ist. Ihr weißes Kleid weht ihr um die Beine.

Trotz allem was sie erlebt hat oder gerade wegen den Dingen die sie durchleben musste, ist sie zu der starken Person an meiner Seite herangewachsen. Ich kann nur hoffen das meine Mutter und meine Schwester ähnlich stark sind.

"Es tut mir leid, James." sagt sie schließlich und kommt mir sehr nahe, so nahe das unsere Gesichter sich fast berühren. Ihre Hand ruht auf meiner Brust. Ich schließe die Augen.

"Sie war die ganze Zeit da draußen, meine Mum.. Aber ich Egoist habe das nicht mitbekommen. Ich hätte selbst nachforschen müssen, stattdessen habe ich meinem Vater alles geglaubt was er sagte, mich nur um mich selbst gekümmert."

Der Schmerz meines Verrats durchzuckt meinen müder werdenden Körper.

"Wusstest Du, das sie schwanger ist? Das du eine Schwester hast?" fragt Ava mich.

Natürlich nicht. Ich wusste nicht, daß meine Mutter ein weiteres Kind erwartet, umso trauriger stimmt es mich das ich so viel in ihrem Leben verpasst habe. Ich hätte beide mit meinem Leben beschützt.

Ava registriert mein leichtes Kopfschütteln, sagt aber nichts weiter.

Alan kommt näher, die Hände in den Hosentaschen vergraben.

"Ich weiß wo sie sind und wo sie arbeiten. Aber bevor ich dir das sage will ich, daß du versprichst nicht los zu laufen und blindlings ins Verderben zu rennen." sagt er mit ernster Miene. Ich nicke ihm zu, nehme Ava bei der Hand und folge ihm zurück zum Haus.

Wenig später sitzen wir wieder wie zuvor unter dem Pavillon. Nur diesmal ist die Stimmung nicht wie zu Beginn ausgelassen. Alle sind angespannt. Besonders ich. Er öffnet die Akte, schiebt das erste Blatt zur Seite und legt das Bild meiner noch lebenden, restlichen Familie in die Mitte des Tisches.

Das nächste Bild welches er hoch hält zeigt Ronald Sunders. Ich kenne ihn nicht. Er ist klein, rundlich, hat eine Glatze und Brille. Eigentlich ähnelt er einem Vertreter für Staubsauger, doch wir alle wissen das der Schein trügen kann.

Die Bilder die darauf folgen halte ich kaum aus. Sie zeigen meine Mutter und meine Schwester in eindeutigen Situationen, auf einigen Fotos prägen dunkle Flecke ihre Gesichter. Als hätte man sie gequält und zum Spaß noch Fotos davon gemacht, die man stolz seinen Kumpels zeigen kann. Es ist widerlich.

Ava schnappt nach Luft, wird erinnert an ihr eigenes Martyrium, doch sie bleibt stark und schluckt es herunter.

"WENN wir da hin aufbrechen..... Brauchen wir einen Plan." sagt Alan.

Verständnislos sehe ich ihn an. "Wenn? Es gibt kein wenn. Wir werden sie da raus holen. Die Frage ist nur wann wir los legen."

"Sofort." wirft Ava ein.

Alle nicken eifrig, was mich nur noch dankbarer werden lässt für die Menschen um mich herum. Sie sind meine Familie.

Dann besprechen wir unsere Möglichkeiten.

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