02. Family

432 71 355
                                    

„Music was my first love

And it will be my last

Music of the future

And music of the past

To live without my music

Would be impossible to do

In this world of troubles

My music pulls me through"

                  John Miles – Music


< N I A L L >


Acht Wochen war es bereits her, seit ich meine Bewerbung abgeschickt hatte und bisher erfolgte keinerlei Antwort. Jeden Tag fragte ich Nan, ob Post für mich da sei, doch sie schüttelte immer den Kopf.

„Das kann dauern, Niall", sprach Agnes jedes Mal, wenn wir uns sahen. „Verliere nicht den Mut."

Ich versuchte positiv zu denken, obwohl mir das mit jedem Tag schwerer fiel. Auch gestaltete sich mein restliches Leben nicht gerade wie das Schlaraffenland. In der Schule kam ich zwar gut mit, aber das war eher dem Umstand geschuldet, dass ich aufgrund meiner früheren Faulheit ein Jahr hatte wiederholen dürfen. Der meiste Lehrstoff kam mir bekannt vor und anstatt im Unterricht vor mich hinzudösen, strengte ich mich nun an. Ich wollte den Abschluss nicht nur schaffen, sondern einigermaßen gute Noten erzielen.

Da ich mehr Zeit für das Lernen und für das Pianospielen aufwendete, war es schwierig, noch einem Nebenjob nachzugehen. Das Geld fehlte irgendwo, aber Nan bestand darauf, dass ich mich auf die Schule und vor allem auf die Musik konzentrierte, anstatt nebenbei zu arbeiten, wie Colin es gerne gesehen hätte.

Doch ohne Louis würde mein Leben noch düsterer aussehen.

Mindestens einmal pro Woche holte ich ihn bei seiner neuen Arbeit ab, einem italienischen Restaurant in Little Italy. Als er sich vor sieben Wochen dort vorstellte, gab man ihm die Chance und ich freute mich riesig für ihn.

„Kannst du Spagetti kochen, aber so, dass sie al dente sind?", hatte ihn der Chef, Massimo Brambilla, damals gefragt.

Als Louis bejahte, durfte er zum Probekochen gleich dableiben und Massimo zeigte sich begeistert. Seitdem werkelte Louis heftig in der dortigen Küche und wenn er etwas Neues ausprobierte, schrieb er mir vorher und ich durfte zum Probeessen antreten.

Auch heute hatte ich eine Nachricht von Louis erhalten und machte mich gegen neun Uhr abends auf den Weg nach Little Italy. Es war kühl draußen, ich trug nur eine Jeansjacke und damit ich nicht noch mehr fror, joggte ich zur Bushaltestelle. Dabei liefen mir allerlei Gestalten über den Weg.

Drogendealer, die ihren Stoff loswerden wollten. Hehler, die geklautes Zeug jeglicher Art verkauften. Jugendliche, viele jünger als ich, die sich Joints reinzogen. Aber auch Menschen, die von der Arbeit heimkehrten.

Nachts erwachte die South Bronx ein zweites Mal zum Leben und wie so oft war ich ein Teil davon.

An der Bushaltestelle steckte ich mir die In-Ears in die Gehörgänge und stellte die Musik auf meinem Handy an. Und zwar laut genug, dass diese meine Umgebung vollkommen ausblendete. Ich hatte keinen Bock auf das Geschnatter der Frauen oder auf die bekifften Typen, die anfingen zu singen oder zu grölen.

Es dauerte fast vierzig Minuten, bis der Bus an seinem Ziel ankam und als ich ausstieg, schlug mir heftiger Regen ins Gesicht.

Ein wenig umständlich zog ich die Kapuze meines Hoodies über den Kopf, steckte die In-Ears in meine Jackentasche und eilte im Laufschritt über die Straße. Dabei kollidierte ich beinahe mit den Müllsäcken, die überall am Gehweg standen und nur darauf warteten, abgeholt zu werden. Beim Ausweichen landeten meine Füße in einer riesigen Pütze und meine Converse waren pitschnass.

SOUTH BRONXWo Geschichten leben. Entdecke jetzt