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6 Monate später, Vernon C. Bain Correctional Center


< N I A L L >


Tief atmete ich durch, als ich vor dem Eingang der Strafanstalt stand.

Es war jedes Mal ein beklemmendes Gefühl, dort hineinzugehen und obwohl ich reichlich Erfahrung damit besaß, Angehörige im Knast zu besuchen, würde sich ein Teil von mir nie an die bedrückende Atmosphäre gewöhnen.

„Ausweis", verlangte der dickliche Beamte mit braunem Schnauzbart und Glatze, „und Registrationsnummer."

Beides überreichte ich ihm stumm. Vor jedem Besuch musste man sich registrieren und mittlerweile konnte ich all das im Schlaf. Das Procedere war in jedem Knast gleich, auch die Vorschriften, was man als Besucher anziehen durfte.

Hoodies waren generell verboten, aber da es ein warmer Septembertag war, reichte mir ein T-Shirt vollauf. Dazu trug ich meine einzige Jeans, die keine Löcher besaß, denn auch das war verboten.

Der Beamte übergab mir meinen Ausweis, nickte mir zu und ich durfte das Gelände betreten. Das Vernon C. Bain Correctional Center war kein normales Gefängnis im Sinne eines Gebäudes, sondern ein Gefängnisschiff. Von daher überquerte ich einen riesigen Platz, gemeinsam mit anderen Besuchern. Wir wurden von zwei bewaffneten Beamten begleitet und bevor das Schiff erreichten, kamen wir in den Genuss, die Drogenhunde an uns schnüffeln zu lassen. Natürlich fanden sie bei mir nichts, denn mit Drogen hatte ich noch nie was am Hut.

Als wir das Schiff erreichten, gingen wir über einen Steg, der letztendlich den Zugang zum eigentlichen Gefängnis gewährte. Die Stege befanden sich in einer Art blechernen Schleuse und bei jedem Schritt hallte der Klang der Füße, die auf dem Boden aufkamen, in meinen Ohren.

Nochmals wurden unsere Registrierungsnummern sowie die Ausweise kontrolliert. Mittels eines Handscanners überprüfte ein Beamter, ob ich metallene Gegenstände bei mir trug. Lediglich der Hausschlüssel piepte und ich musste ihn aus der Jeanstasche herausholen und zusammen mit meinem Handy und der Geldbörse in einem Schließfach deponieren. Nur das Münzgeld entnahm ich und steckte es in meine Hosentasche. Anschließend wurde ich abgetastet und durfte dann endlich weitergehen, in Richtung Besucherbereich. Dort wartete ich ungeduldig auf Liam und als man ihn hereinführte, begannen wir beide synchron zu grinsen.

„Hey, Kleiner, alles fit?" Obwohl Liam nur zwei Wochen älter war als ich, nannte er mich immer so. Er war größer, keine Frage und auch massiger in seiner Gestalt. Man sah, dass er fleißig trainierte, denn dies war auch im Knast möglich. Es gab sogar verschiedene Basketball Teams, die sich geformt hatten und in einem von ihnen spielte Liam regelmäßig mit.

„Ich soll dir Grüße von Nan ausrichten und von Louis", sprach ich nach unserer Begrüßung, die wir stets mit einem coolen Faustcheck absolvierten.

„Danke." Liam grinste schon wieder und ich fragte mich, wie er hier, in diesem tristen Umfeld, so gechillt sein konnte.

„Erzähl, was gibt's Neues da draußen?", wollte er wissen und ich druckste ein wenig herum.

„Nancy und ich haben Schluss gemacht, in gegenseitigem Einvernehmen."

„Oh, das tut mir leid."

„Schon okay. Ich denke, es gibt gerade Wichtigeres in meinem Leben."

Sofort blickte Liam auf: „Und das wäre?"

Ich schluckte und blickte ihn an: „Es ist mein letztes Jahr auf der High School und danach muss etwas passieren. Ich möchte weder auf der Straße landen noch Gelegenheitsjobs ausüben oder Drogendealer werden."

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