Kapitel 7.3

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~Seth

Ich wusste nicht, wie ich die kommenden Tage überlebte. Als ich auf der Krankenstation erwacht war, hatte ich nichts gefühlt. Nur schwarze Leere. Die Leere hatte mich durch die Woche begleitet. Ich sprach nicht mehr als nötig, wich den üblichen 'wie geht es dir?'- Fragen aus. Bei den Göttern, ich konnte es nicht mehr hören. Beschissen. Mir ging es beschissen. Ich verdrängte das Geschehene so gut es ging, ich funktionierte- irgendwie. In mir wohnte eine Kälte, die kein Feuer dieser Welt erwärmen könnte. Eine klaffende Lücke, die nie wieder geschlossen wurde. Schnitte, Kratzer und blaue Flecken überzogen seit Tagen meinen Körper. Physischer Schmerz war so viel angenehmer als psychischer. ,,Nimm dir eine Auszeit", sagten sie zu mir, ,,nimm dir die Zeit, die du brauchst." Doch genau das wollte ich nicht. Am schlimmsten waren die Momente, in denen ich allein mit mir selbst war. Mit der ganzen Wut, dem Hass, dem Schmerz. Ich hatte versucht, meine Wut auf die Rebellen zu projizieren, aber es funktionierte nicht. Denn ich wusste, dass an dem Tod meines Freundes niemand anderes Schuld war, als mir selbst. Aber diese Wut, dieser Hass waren schwer zu tragen. Sie übertrugen sich von mir auf die Götter, die ihn mir genommen hatten. Auf Hades, der seine Seele eingefordert hatte. Meinen Vater, der mich alleine mit meinem toten Freund gelassen hatte. An dieser Wut auf die Götter hielt ich mich fest. Wut war so viel erträglicher als Schmerz.

Meine Faust krachte in den Boxsack. Ich begrüßte den Schmerz, der in meinen Fingerknochen pochte, schlug erneut zu. Wieder und wieder. Das Material platzte unter meinen Schlägen auf. Jeder Schlag war geladen mit Emotionen. Die Musik, die aus meinen Kopfhörern schallte, schien mich komplett von der Außenwelt abzuschotten. Ich war alleine mit meinen Gefühlen und Emotionen. Mit dieser Wut. Sie feuerte mich an, obwohl mein Körper schon lange nach einer Auszeit verlangte. Ich vermied Schlaf, da ich ihn in meinen Träumen sah. Ich war wie ein Zombie, der dringend Hirn benötigte. Bei jedem Menschen, der an mir vorbeilief, überlegte ich mir, wie sich wohl seine Seele anfühlen würde. Und das war krank. Versuche nicht zu verdrängen, was du bist, Seth. Irgendwann wirst du daran zu Grunde gehen. Das hatte der blauhaarige Rebell zu mir gesagt. War Matt gestorben, weil ich verdrängt hatte, was ich war? Weil ich wieder und wieder gegen mich selbst ankämpfte?

Like some kind of monster, some kind of freak
I feel there's an evil no longer asleep

Ich schlug fester zu. Wollte den Schmerz in meinen ohnehin schon aufgeplatzten Fingerknöcheln spüren. In mir brodelte das Feuer, wie ein eigenes Wesen, das in meinem Körper wohnte. Es hatte Hunger und gleichzeitig wollte es bei der erstbesten Gelegenheit aus mir herausbrechen. Wie an jenem Tag, als ich ihm vollkommen die Kontrolle überlassen hatte.

Like some kind of monster, breaking the chains
I feel there's a darkness, that poisons my veins

Vor meinem inneren Auge tauchten Bilder auf. Bilder von dem Tag, an dem ich Matt das erste Mal gesehen hatte, von all den Dingen, die wir zusammen durchgemacht und erlebt hatten. Er war immer für mich da gewesen. Wie ein kleiner Bruder, der hin und wieder unerträglich nervig war, den man aber trotzdem lieb hatte. Er hatte mich in den Arm genommen, als ich Esme getötet hatte. Aber nun war kein Matt hier. Mein Herz krampfte sich zusammen. Der Damm, den ich zwischen sämtlichen Gefühlen und mir selbst aufgebaut hatte, brach und der Schmerz überrollte mich. Meine Beine gaben nach und ich klappte einfach zusammen. Ich versuchte nicht, den Sturz abzufangen, sondern spürte ihn in jeder Zelle, als mein Kopf auf den Boden aufschlug.

Have you felt, how much power lies deep in you?
Do you know, what a body like this can do?

Kraftlos zerrte ich mir die Kopfhörer aus den Ohren und richtete mich mit pochendem Schädel mühsam wieder auf. Ich musste verdammt nochmal damit aufhören, meinen Schmerz ständig mit physischem Schmerz in den Griff kriegen zu wollen. Vielleicht sollte ich auch damit aufhören, jeden Abend nach Hades zu brüllen. Er war nicht erschienen und würde es auch nicht tun. Ich musste mich damit abfinden, dass ich Matt nie wieder sehen würde. Mit den Händen schob ich mich langsam zurück, bis ich mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Ich lehnte den Kopf dagegen und schloss die Augen. Götter, wie ich diese kleine Nervensäge vermisste. Mit den Fingern tastete ich nach meinem Handy und griff danach. Ohne darüber nachzudenken, schaltete ich es an und scrollte durch meine Galerie. Mein Finger verharrte über Videos, die mir vor einer Weile geschickt worden waren. Ich hatte früher nie verstanden, weshalb Leute sich Bilder von Verstorbenen ansahen, aber in diesem Moment konnte ich es nachvollziehen. Bilder und Videos waren alles, was einem neben den Erinnerungen noch blieben. Ich steckte mir die Kopfhörer wieder in die Ohren und startete mit zitternden Händen das Video. Ich sah Matt, wie er sich bewegte, wie er sang, wie er lebte. Seine Finger glitten über Gitarrensaiten und seine Stimme klang jener von Billy Joe, seinem absoluten Idol, verdächtig ähnlich. Ich musste lächeln, gleichzeitig bildete sich ein Kloß in meinem Hals und mein Sichtfeld verschwamm. Mit den Fingern umfasste ich die Kette um meinen Hals und blinzelte angestrengt die Tränen fort. Mein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen, trotzdem konnte ich nicht den Blick vom Bildschirm abwenden. Ich wünschte mir nichts auf dieser Welt so sehr, wie diesen kleinen, durchgeknallten Emo noch einmal zu sehen. Ich sah mich selbst auf dem Bildschirm, wie ich mich neben Matt stellte und ihm grinsend durch die Haare wuschelte. Säße ich nicht bereits auf dem Boden, wäre ich wohl wieder zusammengeklappt. 21 Guns. Hätten wir nicht etwas Fröhlicheres spielen können? Pleasure to kill zum Beispiel? Dann müsste ich jetzt vielleicht weniger dagegen ankämpfen, mich in einen Springbrunnen zu verwandeln. Ein Schauer erfasste mich, während ich wie gebannt auf den Bildschirm starrte. Es war schön, Matt so zu sehen. Ohne Blut. Nicht so furchtbar blass. Dennoch zwang ich mich dazu, das Handy zur Seite zu legen, als der Song zu Ende war. Ich schloss die Augen, als ich hörte, wie sich mir Schritte näherten. Jemand setzte sich neben mich und legte einen Arm um mich. Mein Blick wanderte einen kurzen Moment zur Seite. Cat. Sie legte den Kopf gegen meine Schulter und schwieg. Sie war einfach nur da und ich sog ihre Wärme in mich auf. Früher hätten meine hyperaktiven Hormone vermutlich einen Freudentanz über diese Nähe, diese Berührung aufgeführt, jetzt aber ließ es mich erstaunlich kalt. Genauso wie mich ihre plötzliche Nähe zu Dawson der letzten Tage kalt gelassen hatte. Ich verdiente sie nicht. Ich hatte Matt nicht verdient. Ich verdiente es nicht zu leben, während er tot war.

,,Hör auf damit." Ihre Stimme war leise, aber bestimmt.

,,Womit?", fragte ich scheinheilig, obwohl ich mir sicher war, dass ich wusste, worauf sie anspielte.

,,Hör auf damit, dir die Schuld an allem zu geben. Hör auf, dich selbst zu bestrafen."

Ich senkte den Blick und schwieg. Was sollte ich auch dazu sagen? Ich bin sehr wohl am Tod meines besten Freundes Schuld, weil ich geil auf Seelen bin ?

Sie richtete sich auf, griff nach meinem blutverkrusteten Arm und hielt ihn hoch. ,,Verdammt, Seth, ich sehe doch, was du dir antust! Warum tust du das?"

Ich starrte den Arm an, als würde er nicht zu mir gehören. Schnitte, blaue Flecken und Kratzer überzogen die Haut. Sie hatte recht. Ich würde niemals unabsichtlich so viele Schläge kassieren.
,,Ich bin Schuld", flüsterte ich. ,,Ich bin Schuld daran, dass mein bester Freund tot ist."

,,Nein, das bist du nicht." Cat ließ meinen Arm los. ,,Matt hat dich geliebt. Er hat sich so entschieden und ist für dich gestorben. Aber er ist nicht wegen dir gestorben."

Aus ihrem Mund klang das ganz logisch. Aber das war es nicht. Denn wäre ich nicht abgelenkt gewesen, hätte sich die Situation nie ereignet. Matt hätte sich nicht für mich und gegen sich selbst entscheiden müssen. Er würde noch leben. Schweigend starrte ich den Boxsack an.
Cat seufzte frustriert. ,,Verdammt, ich vermisse ihn auch. Es ist okay zu trauern. Aber du bist nicht Schuld daran."

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Kochend heiße Wut flammte in mir auf und sie traf ausgerechnet Cat, die absolut nichts dafür konnte. ,,Ich bin ein Gott", fauchte ich sie an. ,,Es hätte niemals eine Situation geben dürfen, in der ich gerettet werden muss."

Cat zuckte zusammen, als hätte ich sie geschlagen. Es tat mir leid, dass ich sie anschrie. Aber ich hatte mich nicht unter Kontrolle. Ich wusste nicht, was ich eigentlich von ihr wollte. Vermutlich, dass sie ging und mich hasste, weil ich genau das verdient hatte. Aber das tat sie nicht. Stattdessen griff sie nach meiner Hand und fuhr mit dem Daumen beruhigend über meine Haut. ,,Was verheimlichst du mir nur?", sagte sie leise. Ich wünschte, ich könnte es ihr sagen. Aber ich schwieg und starrte an die gegenüberliegende Wand. Auch Cat sagte nichts mehr. Sie nahm mich einfach nur in den Arm, hielt mich und ich versank vollkommen in ihrer Wärme. Ihre Anwesenheit füllte die Kälte in mir aus und für einen Moment fühlte ich mich besser. Als wäre alles wie früher. Ich schloss die Augen, das erste Mal ohne dabei Matts leblosen Körper vor mir zu sehen. Ich atmete tief durch, dann löste ich mich aus der Umarmung und richtete mich auf. Ein Schauer fuhr mir über den Rücken, als ich aufstand und meine verkrampften Schultern lockerte. Vor der Tür blieb ich noch einmal stehen. ,,Ich bin Schuld, Cat. Und du hast ja keine Ahnung, wie sehr."





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Zitat: Beyond The Black - Some Kind Of Monster

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt