~Seth
Das Tattoo glühte noch immer, als ich Ray, Kain und Lysanna auf den Gang folgte. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und ich fühlte mich, als würde ich jeden Moment zusammenklappen. Bei den Göttern. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Kain musterte mich prüfend von der Seite. ,,Bist du dir sicher, dass du dich nicht zuerst ein bisschen ausruhen möchtest? Mir sind hier schon genug Leute umgekippt."
Das glaubte ich ihm gerne. Ich schüttelte den Kopf. ,,Mir geht's gut."
,,Wir sind stolz auf dich!", flötete Lysanna- und patschte erneut auf das Tattoo. Der Schmerz ließ mich zusammenzucken. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Es kostete mich sämtliche Selbstbeherrschungskraft, sie in keine andere Galaxie zu katapultieren. Ich war zwar angeschlagen, aber das würde ich noch hinbekommen.
Ray musterte mich. ,,Du bist bereit, vor eine Bande von Schulabbrechern zu treten?"
,,Absolut." Ich deutete auf das Tattoo auf meinem Hals. ,,Jetzt seh ich selbst wie einer aus."
,,Eigentlich sahst du schon vorher wie ein Schulabbrecher aus", warf Lysanna ein. ,,Aber du hast Recht, mit dem Tattoo bekommst du bestimmt keinen anständigen Job mehr."
Ich seufzte dramatisch. ,,Das war's dann mit meiner Karriere bei der Bank."
Wir gingen eine Treppe hoch, wo ein weiterer weißer Gang mit unzähligen Türen auf uns wartete. Ich runzelte die Stirn. ,,Wie viele Rebellen beherbergt ihr hier eigentlich?"
,,In diesem Gebäude etwa dreihundert", erwiderte Ray. ,,Aber nicht alle kämpfen aktiv für uns. Viele finden einfach nur nicht gut, was der Rat tut und unterstützen uns anderweitig- als Köche, Handwerker und so weiter."
Das war am Internat ähnlich. Ein eigenes, in sich geschlossenes System. Ray räusperte sich. ,,Und wo wir von Handwerkern sprechen... Wir haben aktuell zu wenig Wohnungen. Wasserschaden, weil irgendein Vollpfosten beim Training eskaliert ist. Ich kann dir eine WG mit mir, Kain oder Lysanna bieten."
Hätte ich das gewusst, hätte ich mir einen anderen Tag für meinen Seitenwechsel gesucht...
,,Ich glaube, die Wahl zwischen Pest und Cholera wäre angenehmer", warf Kain ein. ,,Komm zu mir. Ich hab keine Lust, in ein Appartement mit Ray gesteckt zu werden."
,,Aber Schatz!", kam es von Ray.
Mein Blick wanderte über die Truppe. Bei Lysanna wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass einer von uns morgens mit einem Messer im Rücken aufwachen würde. Ray... konnte ich noch nicht einschätzen. Und Kain hatte immerhin einen netten Musikgeschmack und er schien in Ordnung zu sein, obwohl er mich mit der Tattoopistole gefoltert hatte. ,,Ich nehme an", sagte ich.
Ray lachte leise. ,,Das wird er spätestens dann bereuen, wenn er ins Bad möchte und Kain es zwei Stunden blockiert."
Wie... wunderbar.
,,Ich habe meine Bad-Zeit schon auf eine Stunde reduziert! Immerhin muss er bei mir keine Angst haben, morgens mit rosa Haaren aufzuwachen", gab Kain zurück.
Ich seufzte. Was hatte ich mir nur eingebrockt? Vielleicht sollte ich mich zum Schlafen einfach unauffällig nach Hau- ans Internat teleportieren. Blöd nur, dass mich wohl jeder Idiot im Umkreis von einem Kilometer spüren konnte. Ein stundenlang blockiertes Bad war mir allerdings immer noch lieber als rosa Haare oder ein Messer im Rücken, dementsprechend hatte ich wohl eine gute Entscheidung getroffen. Hoffte ich.
,,Dann penn ich bei dir", sagte Lysanna zu Ray. ,,Ich bräuchte sowieso mal wieder eine Farbauffrischung."
Während wir weiterliefen, deutete Ray hin und wieder auf eine Tür und erklärte mir, was sich dahinter befand. Trainingsräume, Küche, noch mehr Trainingsräume... Ich konnte mir ohnehin nichts davon merken. Vermutlich bräuchte ich GoogleMaps, um mich in diesem Haus zurechtzufinden.
Schließlich stieß Ray eine der Türen auf und schob mich in den Raum. Ich erblicke eine Art Kantine, Tische und Stühle, an denen Rebellen saßen. Viele von ihnen. Etwa hundert, vielleicht etwas mehr. Die Gespräche verstummten, plötzlich herrschte Totenstille im Raum. Sämtliche Blicke richteten sich auf mich. Doch auch hier waren sie nicht feindselig. Neugierig, erstaunt, aber nicht abwertend. Ich atmete aus. Was zur Hölle hätte ich getan, wenn man mich hier nicht aufgenommen hätte?
,,Hallo Jungs und Mädels, danke, dass ihr so spontan Zeit gefunden habt." Rays Stimme klang plötzlich ganz anders, irgendwie älter, bestimmter. Er legte mir eine Hand auf die Schulter und schob mich weiter nach vorne. ,,Das ist Seth, für alle, die das nicht ohnehin schon wissen. Er ist der dreizehnte Gott. In der Vergangenheit war er uns vielleicht nicht unbedingt wohlgesinnt, aber er hat es begriffen. Er kann in diesem Kampf unser Game Changer sein." Er machte eine bedeutungsschwere Pause. ,,Somit haben wir einen Gott. Sie haben keinen. Wir wissen alle, dass die Götter nicht die Eier dazu haben, sich in diesen Kampf einzumischen."
Das Rebellionszeichen glühte und brannte unter meiner Haut. Ich konnte es nicht sehen, aber ich wusste, dass sie es sahen. Jeder von ihnen. Ich war nun ein Rebell. Ein Teil von ihnen, ihr Joker- wenn sie es zuließen. Ray sagte nichts mehr, erwartungsvolle Blicke richteten sich auf mich. Bei den Göttern, hätte mir niemand sagen können, dass man eine Rede von mir erwartete? Umständlich strich ich mir mit der Hand durch die Haare, die sich wild um mein Gesicht lockten und legte eine Hand in den Nacken. ,,Ich habe Leandros getötet. Das ist kein Geheimnis. Es hat 'nen Haufen Leben gekostet, bis ich es begriffen habe, aber jetzt bin ich hier. Ich kenne das System, ich weiß, wer die wichtigen Leute sind und wenn ihr bereit seid, mir zu vertrauen, bin ich ebenfalls für jede Schandtat bereit."
Darauf folgte Getuschel. Angespannt ballte ich die Hände zu Fäusten, während ein Kerl mit gebräunter Haut und halblangem schwarzem Haar aufstand. ,,Woher wissen wir, dass wir dir vertrauen können? Dass du kein Spion bist, der das alles von innen heraus zerstören möchte?"
Irgendwie beruhigte es mich, dass hier wenigstens einer ein gesundes Misstrauen an den Tag legte. Er hatte Recht. Es gab keinen Grund, mir zu vertrauen. Ich strich mein T-Shirt glatt und richtete den Blick auf ihn. ,,Das wisst ihr nicht." Ich öffnete die Hand und schwarzrotes Feuer flammte auf. ,,Aber wenn ihr mir vertraut, gehören diese Kräfte euch. Ich habe eine Rechnung mit den Göttern offen. Das ist meine Mission. In der Zwischenzeit helfe ich euch mit den Internaten."
Lysanna stellte sich neben mich und legte einen Arm um meine Schulter. ,,Seth hat mich aus dem Gefängnis befreit und hierher gebracht, obwohl er das nicht hätte tun müssen. Er trägt unser Zeichen unter der Haut. Ich bin alles andere als leichtgläubig, aber wenn wir das ganze Ding von wegen neues Zeitalter, der Beginn einer neuen Ära blabla wirklich durchziehen wollen, ist ein zugelaufener Gott das Beste, was uns passieren konnte."
Das waren wohl die freundlichen Worte, die sie jemals über meine Existenz verloren hatte. Es überraschte mich, dass ausgerechnet Lysanna mich verteidigte, aber wie sie bereits gesagt hatte; ich war ein Gott. Ich konnte das Puzzlestück sein, das ihnen die ganze Zeit gefehlt hatte. Der Blick des Schwarzhaarigen traf auf meinen. Er musterte mich prüfend, sein Blick blieb an meinem Tattoo hängen. ,,Sorge dafür, dass wir das nicht bereuen."
Ich ließ das Feuer erlöschen und verschränkte die Arme vor der Brust. Lysannas Arm ruhte noch immer auf meiner Schulter, ich spürte die Wärme, die von ihr ausging.
,,Ihr werdet es nicht bereuen. Das schwöre ich."
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Nummer 13 - Todessohn II
Fantasy|| Klappentext für Band II. Kann Spoiler beinhalten, wenn Band I noch nicht gelesen wurde || Leandros ist besiegt- doch die Rebellion ist es nicht. Mit unveränderten Zielen und angestachelt vom Tod ihres Anführers, beginnen sie, die Internate anzugr...