~Seth
Der Traum von letzter Nacht verfolgte mich in den darauffolgenden Tag. Etwas hatte Hades -wenn er wirklich von ihm stammte- tatsächlich erreicht. Ich zweifelte an meiner Entscheidung. Aber wann tat ich das nicht? Ich hatte alles zurückgelassen und ich... ich wusste noch immer nicht, was das für mich bedeutete. Dafür war ich noch nicht lange genug hier.
Umso seltsamer war es, mich am Nachmittag das erste Mal in Rebellenrüstung zu sehen. Kain hatte mich davon überzeugt, dass das eine gute Idee war- und so stand ich in einem der tausenden Räume und starrte mein Spiegelbild an. Schwarze Hose, ebenfalls schwarzes Oberteil. So betrachtet war es nicht allzu aufsehenerregend, das Material fühlte sich jedoch seltsam an. Dehnbar beim Bewegen, hart wenn man daraufschlug. Interessant. Nietenbesetzte, fingerlose Handschuhe aus schwarzem Leder umfassten Hände und Handgelenke, meine Füße steckten in meinen üblichen Doc Martens. Sie hatten mir jedenfalls immer gute Dienste geleistet. Das auffälligste an der Rüstung war und blieb der ausladenden Vampirumhang, der mich umhüllte. Fehlte nur noch der Fledermaus-Kragen.
,,Ich sehe aus wie Graf Dracula", stellte ich fest.
,,Du siehst aus wie Graf Wischmopp", korrigierte mich Lysanna.
Ich warf ihr einen genervten Blick zu. Allerdings hatte sie nicht Unrecht. Meine Haare schienen meine allgemeine Identitätskrise widerzuspiegeln; sie lockten und wellten sich ganz besonders motiviert in alle Richtungen und streiften meinen Kieferknochen. Ich schob sie zurück und widmete mich wieder meinem Spiegelbild. Ich sah aus wie ein möchtegern-Held aus einem Kindercomic, aber -und das musste ich zugeben- wesentlich göttlicher als in Jeans und T-Shirt.
Mein Blick wanderte zu Lysanna. Sie trug ebenfalls die Rüstung. Ihr hatte sie schon immer gut gestanden, sie sah aus wie eine Todesgöttin- eine Todesgöttin mit frisch gefärbtem und frisiertem Haar.
,,Im Gegensatz zu dir hatte ich wichtigere Dinge zu tun, als mich frisieren zu lassen", brummte ich und zupfte an dem Umhang herum.
,,Immerhin habe ich im Gegensatz zu dir eine Frisur." Sie trat neben mich und glättete eine Falte in meinem Umhang. Sie für ihren Teil hatte die ärmellose Variante gewählt, wodurch ihr Tattoo zur Schau gestellt wurde. Das hatte ich nicht nötig- das Zeichen glänzte unübersehbar an meinem Hals. Auffälliger wäre nur noch die Stirn gewesen.
Ray, der unsere Streitigkeiten bisher still verfolgt hatte, räusperte sich. ,,Ihr seht beide bezaubernd aus, Kinder. Wollen wir uns darauf einigen?"
,,Nein!", kam es von uns beiden gleichzeitig. Unwillkürlich musste ich grinsen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sich fünfjährige Kinder niveauvoller stritten. Mein Blick wanderte wieder zum Spiegel. ,,Aber mal im Ernst, was soll dieser Umhang? Das ist total unpraktisch und ausladenden und-"
,,Aber es sieht episch aus", warf Ray ein.
,,Jeder Vollpfosten kann dich daran festhalten", ergänzte ich.
,,Aber es sieht episch aus", wiederholte Ray. Ich rollte mit den Augen. ,,Im Ernst?"
Ray lächelte. ,,Im Ernst. Jeder Vollpfosten kann dich daran festhalten, aber jeder Vollpfosten erkennt auch auf den ersten Blick, was du bist."
Da hatte er allerdings Recht. Nur Rebellen sahen aus wie unterbelichtete Vampire, die vom Twilight-Filmset geflohen waren. Nicht, dass ich diese Filme jemals gesehen hätte...
Ich schlug den Umhang zurück. Zugegebenermaßen- es sah episch aus. Die ganze Zeit über hatte ich nicht gewusst, welche Art Gott ich war, aber als ich mich in diesem Moment in dieser Rüstung sah, hatte ich das Gefühl, meine Bestimmung gefunden zu haben. Gott der Rebellion. Gott der Vasanisten. Der Gott, der das System verändern würde.
Mein Ego schien noch voll funktionstüchtig zu sein.
Lysanna warf mir einen Blick von der Seite zu. ,,Lass uns kämpfen, Hadessohn. Du musst dich daran gewöhnen mit Rüstung zu kämpfen und ich könnte ein bisschen Training vertragen."
Ich drehte mich in ihre Richtung. ,,Sicher, dass du nicht noch einen Termin bei der Maniküre hast?"
Sie hob den Mittelfinger. Ray lachte. Tatsächlich fand ich ihre Idee nicht schlecht, ich könnte ebenfalls ein wenig Training gebrauchen. Praktischerweise diente dieser Raum auch als Trainingsraum. Weiter hinten lag eine Matte, sowie eine Wand, an der verschiedenste Dolche befestigt waren. Der vordere Bereich, in dem wir uns gerade befanden, diente hingegen als Lager für sämtliche Rüstungen; sie waren teilweise ordentlich aufgehängt und teilweise wahllos auf einen Haufen geschmissen worden. Die Anzahl an Räumen, Zimmern und Kammern in diesem riesigen Gebäude war immer noch erschlagend. Ich würde mich hier niemals zurechtfinden.
Ich wandte mich vom Spiegel ab und drehte mich in Richtung der Matte. ,,Gut, lass uns kämpfen."
Als wir nach hinten gingen, achtete ich darauf, wie sich die Rüstung an meinem Körper anfühlte. Sie schränkte die Bewegungsfreiheit ein, aber nur ein wenig. Mal sehen, wie sie sich im Kampf verhielt.
Als wir uns gegenüber auf die Matte stellten, fiel mir das erste Mal auf, dass Lysanna recht groß war. An meine Größe reichte sie nicht heran, ich schätzte sie dennoch auf etwas um die einsachtzig. Cleo sähe neben ihr ziemlich zwergig aus. Cleo... Mir fuhr ein Schauer über den Rücken. Etliche Male hatten wir uns genau so in einem der Trainingsräume gegenüber gestanden. Sie war...- reflexartig schlug ich eine heranschnellende Faust zur Seite. Lysanna hatte augenscheinlich keine Lust meinen plötzlichen Anflug von Nostalgie abzuwarten. Ich duckte mich unter ihrem Angriff hindurch und holte zu einem Schlag aus, den sie erst im letzten Moment blockte. Sie bekam meinen Umhang zu fassen -scheiß Ding- und riss mich zurück. Ich stolperte. Bei den Göttern, Lysanna war nach Dawson der letzte Mensch auf diesem Planeten, von dem ich mich besiegen lassen wollte. Was auch immer ihr Plan war, es würde nicht dazu kommen. Ich fing mich, täuschte mit dem Arm an und holte zu einem Tritt aus. Ich traf sie am Bein, Lysanna fiel und traf mit einem dumpfen Geräusch auf der Matte auf. Keine Sekunde später riss es mir plötzlich den Boden unter den Füßen weg und noch während ich fiel fragte ich mich, wie zur Hölle sie das jetzt schon wieder angestellt hatte. Kaum fünf Zentimeter neben Lysanna schlug ich auf dem Boden auf.
,,Nett, dass du mir Gesellschaft leistest, Hadessohn." Ein eisblaues Augenpaar richtete sich auf mich.
,,So selbstlos bin ich eben."
Ich war definitiv ungünstig gefallen. Ich war Lysanna so nah, dass ich ihren Atem an der Wange spürte. Sie sagte nichts mehr. Sah mich einfach nur an. Langsam hob sie die Hand und schob mir eine Locke hinters Ohr, die gleich darauf zurück fiel und mich an der Nase kitzelte. Ich drehte den Kopf zur Seite, gerade rechtzeitig, um Lysanna nicht direkt ins Gesicht zu nießen.
,,Hadessohn", brummte sie. ,,Musste das sein? Ich schwöre, wenn ich wegen dir die Götterseuche bekomme, breche ich dir was."
,,Entschuldigung." Mühsam unterdrückte ich ein Grinsen. ,,Ich bin allergisch gegen soziale Kontakte."
In diesem Moment hörte man, wie eine Tür geöffnet wurde. Schnelle Schritte näherten sich, dann erblickte ich Ray, der uns stirnrunzelnd ansah. Wie wir nebeneinander, Nasenspitze an Nasenspitze auf der Matte lagen. Und ich musste lachen. Die ganze Situation war so schräg, dass ich nicht anders konnte. Lysanna musterte mich befremdlich.
Noch immer lachend rollte ich mich zur Seite und richtete mich auf.
,,Mit dieser Uniform kämpft es sich in der Tat seltsam", bemerkte ich, ehe ich an Ray vorbei zur Tür ging.
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Nummer 13 - Todessohn II
Fantasy|| Klappentext für Band II. Kann Spoiler beinhalten, wenn Band I noch nicht gelesen wurde || Leandros ist besiegt- doch die Rebellion ist es nicht. Mit unveränderten Zielen und angestachelt vom Tod ihres Anführers, beginnen sie, die Internate anzugr...