Kapitel 15.1

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~Cleo

Die Rebellion hatte ein Internat eingenommen. Diese Info hatte uns völlig überraschend getroffen. Zwar hatten wir gewusst, dass die Rebellion in North Carolina viel Zuspruch bekam, aber damit hätten wir dennoch nicht gerechnet. Es hatte einen Haufen Tote gegeben, die wohl größtenteils auf Seths Konto gingen, danach war es erstaunlich ruhig geworden. Niemand floh von dort, es wurden keine Leichenhaufen abtransportiert und das Gebäude war auch noch nicht in Flammen aufgegangen.

Darüber sprach wiederum niemand. Die Tatsache, dass die Internatseinnahme keine Apokalypse hervor gerufen hatte, schien dem Rat nicht zu passen, deshalb wurde hier der Ball flach gehalten. Nach der Internateinnahme war Rune verschwunden und bis heute nicht mehr aufgetaucht. Auch von der Rebellion war kaum noch etwas zu hören. Ein erschreckend langweiliger Alltag trat ein und ich musste zugeben, dass mir das Training mit Rune fehlte. Er hatte mir Dinge beigebracht, die wesentlich spannender waren, als das, was wir im Unterricht machten. Und er selbst fehlte mir irgendwie auch.

Aber die Wochen verstrichen und Rune tauchte nicht mehr auf. Das hieß auch, dass ich mehr Zeit für mich hatte. Viel Zeit, um nachzudenken. Unter anderem über den Besuch meiner Mutter. Nach dem anfänglichen Schock war irgendwann die Wut gekommen - meine Mutter hatte mich das erste Mal in meinem Leben besucht und das nur, weil die Götter Angst hatten, dass ich Seth ein bisschen zu sehr mochte. Aber selbst das schien völlig grundlos zu sein, die letzte Zeit hatte mir niemand das Gefühl gegeben, in diesem Kampf in irgendeiner Art wichtig zu sein.

Und das nutzte ich aktuell zugegebenermaßen aus. Gerade nutzte ich beispielsweise die milden Frühlingstemperaturen, um mit Rev im Wald zu spazieren. Oder besser gesagt; ich spazierte und Rev war auf geheimer Undercover - Mission, um die Einhornbestände im Wald zu kontrollieren.

,,Der Bestand ist eindeutig zurückgegangen", bemerkte Rev, während seine blutunterlaufenen Augen erstaunlich wachsam die Bäume abscannten. Unwillkürlich musste ich grinsen und tätschelte ihm die Schulter. ,,Klimawandel scheint auch den Einhörnern zu schaffen zu machen."

Rev blickte enttäuscht auf seine Liste und schüttelte den Kopf. Kurz darauf erhellte sich aber seine Miene und er zeigte aufgeregt in eine Richtung. ,,Guck mal, da! Da war ein Schwarzes!" Glücklich lächelnd machte er einen Strich auf seiner Liste, während das schwarze Einhorn empört krächzte und auf den Ast eines Baumes flatterte.

Schlimm, dieser Klimawandel, jetzt mutierten schon die Einhörner und sahen aus wie Krähen.

Als wir weiter gingen, ließ Rev die Liste wieder sinken und sah in meine Richtung. ,,Cleoo?"

Ich sah zu ihm. ,,Reeev?"

Er knuffte mich mit Hufi, dem rosa Plüscheinhorn, in die Seite. ,,Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?"

Mein Geburtstag. In wenigen Tagen würde ich achtzehn Jahre alt werden, was mich theoretisch dazu befugte, als Vasanistenjägerin auf die große weite Welt losgelassen zu werden. Praktisch befürchtete ich allerdings, dass Estelle mich niemals ohne Babysitter losziehen lassen würde. Ich war zwar besser geworden, aber in manchen Punkten fehlte mir noch immer einiges an Training. Und mittlerweile waren weder Seth, noch Rune hier, um etwas daran zu ändern. Rune... Mir fuhr ein Schauer über den Rücken. Irgendwie vermisste ich diesen komischen Wikinger wirklich.
Ich richtete den Blick auf Rev und Hufi. ,,Ein Plüscheinhorn", antwortete ich, weil Rev mir ohnehin nichts anderes schenken würde.

Rev strahlte. ,,Echt?"

Ich nickte nachdrücklich und streichelte Hufi an der Stirn.

,,Cool." Er grinste. ,,Welche Farbe?"

,,Rosa natürlich", erwiderte ich.

Falls es irgendwie möglich war, wanderten Revs Mundwinkel noch weiter nach oben. ,,Yay!"

Rev nahm mich an die Hand und hüpfte glücklich neben mir her. Seine gute Laune war irgendwie ansteckend. Ich merkte ebenfalls, wie sich meine Mundwinkel etwas hoben und die Anspannung von mir wich. Rev war immer so erfrischend unbeschwert und unkompliziert. 

,,Warum kommt eigentlich dieser Wikinger-Typ nicht mal wieder mit auf unsere Spaziergänge?", fragte Rev schließlich und warf mir einen fragenden Blick zu.

Meine Mundwinkel sanken herab. ,,Rune ist seit dem Angriff auf das Internat in North Carolina nicht mehr hier gewesen", erklärte ich ihm.

,,Schade." Rev zuckte mit den Schultern. ,,Ich mochte den irgendwie."

Ja, ich ebenfalls. Irgendwie.

Rev stupste mich mit Hufis Einhornnase am Arm an. ,,Du vermisst den, oder?"

Ich schenkte ihm ein kurzes Lächeln. ,,Ein bisschen."

Rev nickte wie ein Lehrer, der eine zufriedenstellende Antwort von einem Schüler erhalten hatte. ,,Und Legolas-Seth vermisst du auch."

Ich zuckte zusammen. ,,Ein... bisschen?"

Bei den Göttern, wann war Rev zu meinem Therapeuten im Bezug auf meine miserable Freundeswahl mutiert? Und warum lag er in allen Punkten richtig?

,,Du solltest anfangen, Killing Floor 2 zu spielen", bemerkte Rev und nickte überzeugt. ,,Dann kannst du ihn entweder niedermetzeln oder mit ihm zusammen andere niedermetzeln."

Ruckartig drehte ich den Kopf zur Seite und starrte Rev ungläubig an. ,,Warte. Ihr zockt immer noch miteinander?"

Rev zuckte mit den Schultern.  ,,Aye, mit wem sollte ich denn sonst zocken?" Dabei warf er mir einen strafenden Blick zu. Wie konnte ich es nur wagen, in meiner Freizeit keine Zombies niedermetzeln. Aber die Tatsache, dass Rev und Seth in ihrer Freizeit immer noch zusammen Videospiele spielten war... Ich wusste nicht, warum mich das so sehr bewegte. Vielleicht, weil es das war, was sie früher immer getan hatten. Als ich mich noch nicht an Überlegungen, wie man Seth am besten umbrachte, beteiligen musste und als Seth noch nicht massenweise Unschuldige abgeschlachtet hatte. Trotz der milden Temperaturen bekam ich Gänsehaut.

,,Hat er... irgendwas gesagt?"

Rev legte die Stirn in Falten und fuchtelte mit seiner Einhorn-Bestands-Liste in der Luft herum. ,,  'Achtung, Rev, neben dir!" ' oder auch sehr beliebt: 'Wenn ich dich noch einmal heilen muss, werfe ich dich den Zombies höchstpersönlich zum Fraß vor!' "

Unwillkürlich musste ich grinsen. ,,Ich meinte eher etwas im Bezug auf die Rebellion oder seine Pläne."

Rev schüttelte den Kopf. ,,Keine Politik beim Zocken. Darauf haben wir uns geeinigt."

Keine Politik beim Zocken. Das musste gleich nach 'du bist nicht du, wenn du nüchtern bist' sein wertvollstes Lebensmotto sein. Seth und Rev zockten immer noch miteinander. Seth schlachtete hauptberuflich Leute ab und in seiner Freizeit... zockte er mit Rev. Ich schluckte.

Rev tätschelte mir die Schulter. ,,Weißt du, Seth ist mein Kumpel. Ich vermisse ihn irgendwie ein bisschen. Und ob er nun Leute mit roten oder mit blauen Augen tötet ist mir eigentlich ziemlich egal." Er zuckte mit den Schultern.

Wenn es nur so einfach wäre... Vielleicht konnte es so einfach sein. Aber nicht für mich. Ich schüttelte langsam den Kopf.  ,,Wenn du meinst."

Rev nickte bekräftigend. ,,Ich meine."

Er hakte sich bei mir unter und strahlte mich an.  ,,Aber jetzt wieder zu den wichtigen Dingen. Machen wir aus deinem Geburtstag eine Einhornparty?"

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt