Kapitel 12.1

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~Cleo

Noch immer irritiert starrte ich auf die Stelle, an der Seth zuletzt gestanden hatte. Er war direkt hier, neben mir gewesen- und trotzdem so weit weg. Seth würde nicht mehr wieder kommen. Er stand unübersehbar auf der Seite der Rebellion- und ich hatte die Wahl.

Ich könnte mich Seth anschließen und mit der Rebellion die Welt verändern, mit den Kreaturen zusammenarbeiten, vor denen ich panische Angst hatte. Oder ich blieb hier, an diesem Ort, der im vergangenen Jahr irgendwie zu meinem Zuhause geworden war.
Ich wusste, dass ich diese Entscheidung bereits getroffen hatte. Ich vermisste Seth, ich wollte nicht, dass ihm etwas zustieß. Aber er hatte Dinge getan, die ich ihm nicht verzeihen konnte. Und Seth war nicht Grund genug, mein Leben und meine Freunde hier aufzugeben.

Unbeholfen schob ich mich an dem Busch vorbei und stolperte prompt über eine aus dem Boden ragende Wurzel, die ich vollkommen übersehen hatte. Ich landete mit dem Hintern auf dem Boden und sog scharf die Luft ein, als sich der Schmerz bis in meine Wirbelsäule erstreckte. Statt aufzustehen, kauerte ich mich zusammen und neigte den Kopf nach vorn, bis ich nur noch rote Haare sah. Dann schloss ich die Augen.

Zur Hölle, warum konnte ich nicht einfach alles haben? Das Internat, eine Reform der bescheuertsten Gesetze, meine Freunde und Seth? Die Welt war ungerecht. Und Seth hatte meine sortiert geglaubten Gedanken wieder vollkommen durcheinander gewirbelt. Denn ich wusste nun, dass Seth vollkommen er selbst war- nicht Vasanisten-Seth, sondern einfach nur Seth. Gewissermaßen setzte er sich nun für die Ansichten ein, die er schon immer vertreten hatte. Aber ich war keine Rebellin. Deshalb würden wir auf verschiedenen Seiten stehen. Damit würde ich zurech-

Etwas flauschiges berührte mein Gesicht. Zunächst beachtete ich es nicht weiter, da ich zu sehr damit beschäftigt war, im Selbstmitleid zu zerfließen, dann aber bekam ich den Flausch erneut ins Gesicht. Irritiert öffnete ich die Augen und blickte in rosa. Der flauschige Ball wurde ein Stück zurück genommen und ich erkannte, dass es sich um ein rosa Plüscheinhorn handelte. Mein Blick wanderte weiter und ich sah Rev. Rev mit einem Einhorn in der Hand, der mich betroffen ein weiteres Mal anstupste, ehe er sich neben mir auf den kalten Boden fallen ließ.
Er legte das plüschige Einhorn auf meinen Schoß und schenkte mir ein herzliches Lächeln. ,,Hufi hat ein offenes Ohr für dich. Hufi ist immer für dich da."

Überfordert starrte ich das Einhorn an, während Rev es wieder in die Hand nahm und mich damit in die Seite knuffte. ,,Umarmung?", fragte er.

Ich brachte ein dezentes Nicken zustande, woraufhin Rev seine Arme um mich schloss und mich in eine feste Umarmung zog. Ich spürte seine angenehme Wäre auf der Haut und schloss die Augen. ,,Warum sitzen wir gerade auf dem Boden, holen uns eine Blasenentzündung und umarmen uns?", fragte Rev.

,,Seth war hier", murmelte ich in seine Schulter.

,,Hat er dir Plüscheinhörner mitgebracht?", erkundigte sich Rev.

,,Nein."

,,Dann war es kein guter Besuch."

Unwillkürlich musste ich lächeln und drückte Rev gleich noch etwas fester an mich. ,,Wie hältst du das aus?", fragte ich leise. ,,Seth war auch dein Kumpel."

Rev tätschelte meinen Rücken. ,,Ganz ehrlich? Gras regelt. Immer." Er löste sich von mir und drückte mir stattdessen das Einhorn in den Arm. ,,Und Hufi. Hufi regelt auch."

Ich drückte das Einhorn an mich und seufzte. Seth verschwendete wohl kaum halb so viele Gedanken an mich, ich sollte ihn nun verdammt nochmal abhaken. Ich drückte die Wirbelsäule durch. Seth hatte Menschen getötet, Seth hatte Schülerinnen einen Großteil ihrer Seele beraubt. Und eigentlich war er sowieso schon immer ein sozial inkompetenter Mistkerl gewesen. So.

Rev wuschelte mir liebevoll durch die Haare und reichte mir anschließend eine Hand. ,,Ich mag keine Blasenentzündung. Du?"

Ich schüttelte den Kopf.

,,Gut." Rev hievte sich hoch und zog mich ebenfalls auf die Beine. Ich drückte Hufi fester an mich, während ich gemeinsam mit Rev über den Campus lief. Seit die Sonne verschwunden war, wirkte wieder alles trist, grau und öde. Selbst die Blumen, die wohl nur durch göttliches Eingreifen immer noch blühten, erschienen blass.

,,Würdest du ein Rebell werden?", fragte ich Rev unvermittelt. Keine Ahnung, ob ich eine tiefgreifende Antwort von ihm erwartete, aber vielleicht fragte ich ihn genau deshalb, weil ihm solche Dinge recht gleichgültig waren.

Rev runzelte die Stirn. ,,Mir waren diese Machtspielchen noch nie wichtig. Hauptsache Zeke und dir geht es gut, euch würde ich überall hin folgen." Er nahm eine Packung Zigaretten aus der Jackentasche und schüttelte den Kopf. ,,Aber nur, wenn sie dort Bio-Gras haben. Ich habe Ansprüche!"

Gerührt sah ich ihn an. Hauptsache Zeke und dir geht es gut, euch würde ich überall hin folgen. Mir wurde warm ums Herz und ich drückte Hufi noch fester an mich.

,,Rev?"

,,Jaaa?" Er schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an.

,,Ich hab dich lieb."

,,Ich hab dich auch lieb." Er strahlte mich an. ,,Willst du eine Zigarette?"

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt