11. Alphastolz

3.8K 330 22
                                    

Mittlerweile waren zwei Wochen vergangen, in denen ich jede Nacht mit meinem Gefährten in unserer Höhle verbracht hatte. Abends, wenn ich zu ihm gekommen war, hatte er uns schon längst etwas zu fressen besorgt, was wir uns dann teilten, ehe wir eng aneinander gekuschelt einschliefen. Ab und an gab es noch immer Unstimmigkeiten, wer den anderen dominieren durfte, was meist in einem kleinen Gerangel endete, bis wir uns entweder einfach normal nebeneinander legten oder er die Oberhand gewann.
Es verletzte meinen Alphastolz ein wenig, dass ich ihm kaum gewachsen war, da er aber mein Gefährte war, war es nur halb so schlimm für mich.

Ich genoss die Zweisamkeit ungemein und konnte durch seine Nähe meine schwindenden Kraftreserven etwas füllen. Meine frische Energie steckte ich wieder mit geballter Kraft ins Training, um irgendwann vielleicht auch mal die Oberhand haben zu können.
Mein Gefährte war deutlich ein paar Jahre älter und besetzte die Position des Alphas, wodurch es kein Wunder war, dass er stärker war als ich, der gerade mal in der Ausbildung zum Rudeloberhaupt war. Außerdem war ich mich ziemlich sicher, dass er mir gegenüber vorsichtiger war und viel mehr Kraft aufwenden könnte. Er spielte eher mit mir, als dass wir ernsthaft kämpften und obwohl ich es genoss, dass es nicht allzu brutal zwischen uns zuging, ärgerte mich das auch wieder irgendwie.
Ich hielt seine Kraft aus, ich konnte ihm standhalten. Er brauchte mich nicht zu behandeln, wie einen jungen Welpen, auch, wenn ich es irgendwo sogar rührend fand, dass er sich so um mich sorgte und mich nicht ernsthaft verletzen wollte.

Mein Vater war von meinem neuem Elan begeistert und versuchte mich auch immer weiter anzuspornen. Sogar mein Großvater hatte mir gegenüber bereits ein Lob fallen lassen. Etwas, das sehr selten vorkam, wenn auch noch öfter als von meinem eigenen Vater.
Benno dagegen war weniger erfreut, da dadurch auch deutlich mehr Training auf ihn zukam. Außerdem hatte er sowieso schon einen Groll auf mich.
Dass wir nun den lieben langen Tag zusammenhingen, gefiel ihm daher überhaupt nicht.

Ich hatte noch immer keinen Schimmer, wie ich Flynn und Benno ein paar Tage weg vom Rudel ermöglichen sollte. Dad hatte die letzte Zeit, abgesehen von der Freude über meine Lust aufs Training, nur noch schlechtere Laune als sonst, wodurch meine Chancen noch schlechter standen.
Dass Benno mir dann auch noch dauerhaft damit in den Ohren hing, machte es keinesfalls besser.

Flynn hatte erneut starkes Fieber und war seit drei Tagen bettlägerig. Das erschwerte meine Besuche bei meinem Gefährten enorm, aber da Flynn größtenteils nur schlief, konnte ich mich zum Glück ganz gut wegschleichen. Doch mein schlechtes Gewissen war dabei mein ständiger Begleiter. Nur in der Nähe meines Gefährten konnte ich etwas abschalten und nicht nur meinen Vater und meinen kranken Bruder, sondern auch diese unmögliche Aufgabe vergessen.

Wenigstens ließ Dad Flynn in seiner schlechten Laune seinen Frieden und ignorierte sein krankes Kind so gut wie möglich. Bis jetzt hatte er noch kein negatives Wort über Flynns Krankheit verloren, obwohl er sonst immer schimpfte, dass er nicht so faul sein und sich einfach etwas zusammenreißen sollte, ehe er ihn aus dem Bett zerrte und eine unnötige Aufgabe aufbrummte.
Dass er das diesmal nicht tat, erleichterte nicht nur mich.

„Hast du jetzt schon eine Lösung?" war das erste, das Benno in meine Richtung losließ, als ich aus dem Rudelhaus trat. Wir hatten eine kurze Pause in unserem Training eingelegt, um etwas zu Mittag zu essen und damit ich nach Flynn sehen konnte. Es war gerade mal nur eine Stunde. Heute Vormittag konnte ich seine Frage schon nicht beantworten, wie er darauf kam, dass ich innerhalb dieser einen Stunde jetzt einen Einfall hatte, ließ mich nur genervt den Kopf schütteln.

Mein bester Freund sah dies gleich als Antwort, schnaubte verärgert und wandte sich sofort von mir ab, ehe er in Richtung Trainingsplatz stampfte. Ich folgte ihm stillschweigend.
Die angespannte Stimmung zwischen uns, die schon seit Tagen anhielt, störte mich ungemein. Zwischen uns sollte alles im Reinen sein, immerhin war er mein Beta und noch dazu mein bester Freund. Zwischen uns sollte es keine dicke Luft geben. Doch Benno sah das offenbar anders und strafte meine Tatenlosigkeit mit Nicht- und Verachtung.
Er machte es sich leicht. Er hatte mich um Hilfe gebeten, nur um mich jetzt damit völlig alleine zu lassen und mir dann auch noch Vorwürfe zu machen, wenn ich nicht schnell genug eine Lösung fand.

wild wolf ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt