Flynn schlief irgendwann fest an mich geklammert ein. Es war nur ein unruhiger Schlaf, aber ich war froh, dass es zumindest ein wenig zur Ruhe kam. Sobald er wach werden würde, wollte ich ihm ein nahhaftes, warmes Frühstück machen, damit auch sein Körper wieder zu Kräften kommen konnte.
Mein Bruder war mir noch nie so klein und zerbrechlich vorgekommen wie in diesem Moment und die Freude darüber Onkel zu werden, wurde von der Sorge völlig überdeckt. Ich konnte mich gerade nicht einmal dazu bringen zu lächeln.Die restliche Nacht lang versuchte ich irgendwie eine Lösung zu finden. Meine größte Priorität war es nun, meinen großen Bruder zu beschützen und so wenig ich es auch wollte, gab es dafür nur eine Möglichkeit. Ich musste den Alphaposten übernehmen.
Dad würde diese Schwangerschaft niemals akzeptieren und würde Flynn sofort umbringen und da er der Alpha war, könnte nicht einmal jemand etwas dagegen tun. Das Wort des Alphas war Gesetz und wenn mein Vater in Flynn eine Bedrohung sah, musste das Rudel gegen die Bedrohung vorgehen. Egal, ob es sich dabei um eine richtige Gefahr oder nur um einen trächtigen Omega handelte.Morgen würde ich sofort das Gespräch mit meinem Großvater suchen. Ich wusste zwar, dass er wollte, dass ich bald Alpha wurde, aber geplant war es eigentlich erst in einigen Monaten, weshalb ich mir nicht sicher war, ob er auch damit einverstanden war. Es wäre sicherlich gut ihn auf meiner Seite zu haben. Vor allem da ich nicht wusste, wie mein Vater darauf reagieren würde. Ja, er wollte mich unbedingt in den Alphaposten drängen, aber gleichzeitig wollte er ihn auch noch nicht aufgeben, da war ich mir sicher.
Ich seufzte angestrengt. Ich war absolut nicht bereit dazu, das Rudel zu übernehmen. Plötzlich fühlte ich mich sogar weniger bereit den je. Am liebsten würde ich einfach alles hinter mir lassen und zu Janus Rudel wechseln. Er sollte die Position des Alphas behalten und ich würde einfach nur an seiner Seite leben. Aber so einfach war das alles nicht. Ich musste für mein Rudel da sein und konnte nicht einfach den Schwanz einziehen und abhauen. Das konnte ich vor allem Flynn nicht antun.
Mein großer Bruder war wirklich trächtig. Benno und er würden ein oder vielleicht sogar mehrere Kinder erwarten. Das konnte ich irgendwie kaum glauben. Obwohl ich Flynns Bauch gesehen hatte, wirkte das alles so unwirklich.
Gestern waren wir noch sorgenlose Kinder, die zusammen gespielt hatten, und jetzt wurde Flynn bald selbst Vater und ich würde der Alpha des Rudels sein. Die Zeit war viel zu schnell vergangen.Ich konnte nicht verhindern, dass mir langsam die Tränen in die Augen stiegen. Anstatt dass endlich wieder alles besser wurde, wurde es nur noch schlimmer und langsam konnte ich dem Druck einfach nicht mehr standhalten. Ich fühlte mich wie ein Sklave, der nur nach der Nase anderer tanzte und dabei nicht auf sich selbst achten konnte.
Ich biss mir hart auf die Lippe, um mein Schluchzen nicht heraus blubbern zu lassen, während heiße Tränen stumm über meine Wangen rannten und von meinem Kopfkissen aufgesogen wurden.„Iacob?", wisperte mein Bruder plötzlich in die Dunkelheit und richtete sich auf mir ein wenig auf. Seine kleinen Hände stützten sich dabei auf meiner Brust ab, während er sich zitternd aufstemmte. „Weinst du?"
Ich zuckte etwas zusammen, als ich seine Finger an meiner Wange spüren konnte, wie er sanft meine Tränen wegwischte. Er kommentierte es zum Glück nicht weiter, fragte nicht nach, sondern schmiegte sich gleich wieder fest an mich und schenkte mir damit unglaublich viel Trost.„Es sind zwei Jungen", wisperte Flynn plötzlich in die Nacht und ließ seine Fingerspitzen beruhigend über meinen Oberarm streicheln. „Sie sind topfit und entwickeln sich prächtig. Der Arzt war richtig begeistert." Ich spürte sein Lächeln an meiner nackten Brust und musste trotz meiner Tränen auch ein wenig lächeln. Gleichzeit schürte es nur die Wut auf meinen Vater. Flynn freute sich offenbar über seine Welpen, auch wenn es nicht geplant war, aber mein Vater machte meinem Bruder seine Freunde komplett kaputt.
„Deswegen wart ihr beim Arzt", schlussfolgerte ich und Flynn nickte leicht, ehe er leise seufzte.
„Ich habe es selber erst recht spät gemerkt und wollte es dann nicht wahrhaben. Deswegen habe ich niemandem etwas gesagt. Benno ist natürlich aufgefallen, dass mein Bauch größer geworden ist, aber ich habe ihm immer gesagt, dass ich erst gegessen habe und nur aufgebläht bin." Er seufzte leise. „Irgendwann hat er mir nicht mehr geglaubt und hat mich zum Arzt gebracht. Als wir uns da getroffen haben... hat unser der Arzt gerade erst bestätigt, dass ich wirklich schwanger bin."
„Warum wolltest du es Benno nicht sagen?"
Flynn zuckte mit den Schultern und schwieg eine Weile bevor er antwortete.
„Ich wollte es nicht wahrhaben und es ihm gegenüber auszusprechen, hätte es nur noch realer gemacht."„Freut er sich?", fragte ich leise nach. Ich wusste, dass Benno sich von Klein auf eine große Familie gewünscht hatte. Eigentlich müsste er vor Vaterglück strahlen wie die Sonne.
„Naja, ja...", antwortete Flynn zögerlich. „Er hat Angst um mich", fügte mein Bruder dann noch an.
Natürlich hatte er Angst. Damit war Benno nicht alleine. Auch ich machte mir furchtbare Sorgen um ihn.Und alles nur wegen unserem Vater.
„Der... der Omega mit dem du dort warst... denkst du, ich kann vielleicht mal mit ihm... reden?", fragte Flynn plötzlich leise nach. „Hier haben wir nur weibliche Omegas und mit denen möchte ich ehrlich gesagt nicht reden... aber er... ist wie ich..."
Ich musste automatisch schlucken. Einerseits konnte ich Flynn gut verstehen und wollte ihm diesen Wunsch erfüllen, andererseits würde er zwangsläufig von Janus erfahren, wenn er sich mit Dylan unterhalten würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der quirlige Rotschopf seinen Mund halten konnte.
Wollte ich das? War ich bereit dazu, ihm von meinem Gefährten zu erzählen?Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte und blieb deshalb stumm, während sich das Gedankenkarussell in rasender Geschwindigkeit drehte. Auch Flynn bemerkte meine Reaktion recht schnell und stemmte sich wieder auf die Arme. In der Dunkelheit konnte ich trotz meines guten Sehsinnes nur die Umrisse seines Gesichts erkennen, aber der traurige Ausdruck entging mir dennoch nicht.
„Warum hast du mir eigentlich nie erzählt, dass du deine Gefährtin gefunden hast?"
Mein Herz setzte spürbar einen Schlag aus, ehe es doppelt so schnell weiter schlug. Mir wurde schlagartig heiß, meine Atmung stockte und am liebsten wäre ich aus dem Zimmer geflohen.
Woher wusste Flynn davon? Hatte Frank etwas erzählt? Hatte er sein Versprechen gebrochen? Wusste Benno auch Bescheid?„Woher?", stammelte ich sprachlos und schluckte nervös. War es so offensichtlich? Hatte er mich verfolgt? Wie viel wusste er?
Meine Frage brachte Flynn jedoch leise zum Kichern. „Du bist mein kleiner Bruder, Iacob. Denkst du wirklich, dass mir das nicht aufgefallen ist? Allein schon, dass du dich nachts immer davon schleichst?"
Ich war sprachlos.
„Erzähl mir zumindest jetzt von ihr", schmunzelte Flynn und legte seinen Kopf dann wieder auf meiner Brust ab. Ich wusste, dass es ihn verletzen würde, wenn er davon erfuhr und ich es ihm so lange verschwiegen hatte, aber seine Reaktion war positiver als gedacht. Er nahm es mir offenbar nicht übel, nicht mit ihm geredet zu haben.
„Weiß Benno davon?" war jedoch das Einzige, das gerade herauskam. Ich musste es wissen. Ich wollte nicht, dass er davon erfuhr. An der Panik in meiner Stimme konnte man das auch deutlich hören.
„Nein", antwortete Flynn nach einem leisen Seufzen. „Aber er würde sich sehr für dich freuen."
Das bezweifelte ich ein wenig. Nach all den Dingen, die er mir nach jahrelanger, enger Freundschaft an den Kopf geworfen hatte, würde er auch meinen Gefährten durch den Dreck ziehen. Darüber war ich mir fast sicher.
„Erzähl ihm bitte nichts davon." Ich schluckte erneut nervös. „Ich möchte nicht, dass es jemand weiß."„Warum nicht?", fragte Flynn hörbar überrascht und irritiert und richtete sich wieder ein wenig auf. Natürlich überraschte es ihn, dass ich meinen Gefährten geheim halten wollte. Er wusste immerhin selbst genau, wie schwer das war und mit wie viel Schmerz es verbunden war.
„Weil es keine sie ist, sondern ein er und noch dazu ein Alpha."
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wild wolf ✓
WerewolfDer junge Alpha Iacob ist noch nicht bereit dazu, den Posten des Rudeloberhaupts zu übernehmen und bis Ende des Jahres, im November plant sein Vater seinen Rücktritt, erst recht nicht. Auf der Suche nach etwas Freiraum begegnet Iacob zufällig einem...