42. Angriff

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Es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passieren würde.

Es war der Normalfall, dass die anderen Rudel die Stärke des neuen Alphas testen wollten und deshalb angriffen. Sie erhofften sich dadurch ein höheres Ansehen bei anderen Rudeln und zielten gleichzeitig auf eine eventuelle Erweiterung ihrer Grenzen ab.

Ich dachte immer, dass ich in diesem Moment völlig überfordert sein würde und nicht wusste, was zu tun war, aber stattdessen reagierte mein Körper wie von selbst und mein Instinkt zeigte mir deutlich, wie ich handeln musste.

Zu erst musste ich Flynn in Sicherheit bringen, dann die Alten und Schwachen. Gleichzeitig musste das ganze Rudel über den Angriff informiert werden, damit sie sich in Sicherheit bringen und die Kämpfer sich bereit machen konnten.

Der alte Schreibtischstuhl quietsche auf dem Holzboden, als ich ruckartig hoch fuhr und gleich in die Küche eilte, wo Flynn mit einem leisen Pfeifen einen Apfel her schnitt, um meine Obstschale, die er fast leer gegessen hatte, wieder zu füllen.

„Wir werden angegriffen", stieß ich gleich aus, zog Flynn schnell, aber vorsichtig das Messer aus der Hand und schob ihn in Richtung meines Zimmers. Das war zwar nicht das einfallsreichste Versteck, aber besser so, als offensichtlich in der Küche zu stehen. Das verstand auch Flynn, der mir nicht widersprach, sondern ohne zu zögern folgte.
„Du bleibst hier, bis ich oder Benno dich holen, ja? Lass die Tür abgesperrt und das Fenster zu." Flynn kugelte sich gleich auf meinem Bett zusammen, während ich den Rolladen an meinem Fenster auf Halbmast herunter ließ, damit man von außen nicht direkt in den Raum sehen konnte.

„Verstanden?", fragte ich mit harter Stimme nach und zog eine Decke über den kleinen Körper meines Bruder, die er gleich nickend fest um sich schlang. Eigentlich wollte ich nicht so forsch mit ihm reden, aber gerade war mein Kopf ganz wo anders, wodurch ich auf ihn keine Rücksicht nehmen konnte. Gerade ging es darum, das gesamte Rudel zu beschützen.

„Passt auf euch auf!", rief er mir noch wimmernd hinterher, als ich die Tür zuzog und bereits wieder die Treppen hinuntereilte. In der Zwischenzeit hallte das Jaulen, das das Rudel vor Gefahr warnte, schon laut über die Baumwipfel hinweg und alarmierte damit das restliche Rudel. Zu meiner Freude versammelten sich unsere Kämpfer längst auf dem Marktplatz und die nötigen Maßnahmen um die Schwächeren zu schützen wurden auch ohne meine Anweisungen schon getroffen.
Auf mein Rudel war deutlich Verlass.

„Wo ist Flynn?!" Benno drängte sich zu mir hindurch und sah sich gleichzeitig suchend auf dem Platz um. Als wäre ich so dumm und würde meinen trächtigen Bruder in so einer Ausnahmesituation einfach auf dem Marktplatz herumlaufen lassen.

„In Sicherheit!", antwortete ich nur knapp, ehe ich mein Zeichen gab, dass die Kämpfer sich auf den Weg machen durften. Auch ich verwandelte mich in meinen Wolf und fand mich recht schnell an der Spitze des Konvois ein, um meine Wölfe sicher durch die Wälder bis hin zum Kampf bringen konnte. Ohne genau zu wissen, wo wir angegriffen wurden, führte mich mein innerer Kompass direkt zum Ort des Geschehens.

Etwa zwei dutzend fremde Wölfe hatten unsere Grenzen überschritten und wurden gerade noch von Frank und einer Patrouille, die heute zum Glück aus gleich mehreren, bereits kampferfahrenen Jugendlichen bestand, in Zaum gehalten, damit sie nicht weiter in unser Gebiet vordringen konnten. Mit der Menge an Wölfe, die mir folgten, sollte dieser Kampf ein leichtes werden.

Kaum angekommen stürzten sich die ersten bereits auf die Eindringlinge und schnell war zu erkennen, dass wir Mengenmäßig deutlich überlegen waren und damit auch den Kampf recht schnell für uns entscheiden konnten.

Das ging viel zu einfach knurrte ich Frank zu, als die Angreifer sich geschlagen zurückzogen und unser Revier wieder verließen. Einige der Wölfe waren mir bekannt vorgekommen und anhand der Duftspur, die sie hinterlassen hatten, war ich mir fast sicher, dass sie von einem der größten Rudel in unserer direkten Nachbarschaft kamen. Dad und ihr Alpha hatten schon in der Vergangenheit Dispute, wodurch es nicht überraschend war, dass er die Chance gleich nutzte, um uns anzugreifen. Dass er jedoch nur so wenige Wölfe geschickt hatte, konnte kaum möglich sein und weckte ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend, weshalb ich mich der Freude der anderen, vor allem jüngeren Wölfe kaum anschließen konnte.

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