46. Benno

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Ich wusste, dass mich das Geschehen mit Janus mitnahm, aber wie nah es mir wirklich ging, realisierte ich erst, als meine Tränen kein Ende mehr fanden. Bennos Oberteil war längst durchnässt und meine Augen schmerzten bereits, während mir stumm die Tränen über die Wangen rannten und meine Kehle unangenehm verkrampft war.

„Es tut mir so furchtbar leid", wisperte Benno irgendwann und drückte mich noch fester gegen seinen Körper. „Ich habe dir Dinge an den Kopf geworfen, die unverzeihlich sind, und habe nur auf mich geachtet. Ich war so egoistisch und habe nicht ein einziges Mal daran gedacht, wie es dir geht... Fuck man, das tut mir so leid." Seine Stimme zitterte und man konnte auch weiterhin deutlich hören, dass er geweint hatte.
„Ich habe doch gesehen, dass es dir nicht gutgeht..."

„Ich hätte für dich da sein sollen und vielleicht doch stärker hinterher sein müssen, damit du mit mir redest. Aber stattdessen habe ich nur daran gedacht, dass es Flynn schlecht geht, während du Zeit irgendwo anders verbracht hast. Mir sind die vermeintlichen Verhandlungen von Anfang an komisch vorgekommen und je öfter du darauf bestanden hast, es alleine regeln zu wollen, umso mehr dachte ich, dass du dich einfach nur aus dem Staub machst... Ich bin nicht einmal auf den Gedanken gekommen, dass du deinen Gefährten vielleicht gefunden hast..." Er seufzte angestrengt, entließ mich aber weiterhin nicht aus seinen Armen. „Oder selber irgendwelche Probleme hast... Shit, ich wüsste echt nicht, wie es mir gehen würde, wenn ich erfahren müsste, dass mein Gefährte ein Tier ist..."

Ich blieb daraufhin einfach stumm, nur bei dem Wort Tier drückten sich gleich noch mehr Tränen aus meinen Augen.

„Es tut mir so leid, dass du das alles alleine durchstehend musstest." Er drückte mich nochmal fester gegen sich.
„Ich bin der schlechteste beste Freund, den man haben kann." Benno lachte humorlos auf. „Ich kann echt verstehen, warum du mich nicht als deinen Beta willst. Ich kann froh sein, dass ich überhaupt noch ein Teil deines Rudels bin."

Dann seufzte er leise. „Und das habe ich wahrscheinlich auch nur Flynn zu verdanken."

Dieser Zusatz ließ mich fast lächeln und schon beinahe etwas erwidern als Benno wieder weiterredete.

„Um ehrlich zu sein, kann ich dir im Nachhinein gar nicht mehr sagen, was ich mir dabei gedacht habe. Ich habe gemerkt, dass irgendetwas zwischen uns steht und dass du dich immer weiter abgeschottet hast. Dass du dann so viel Zeit in dem anderen Rudel verbracht hast, hat mich einfach wütend gemacht. Ich habe mich alleingelassen gefühlt, hilflos, weil ich mich nicht richtig um Flynn kümmern konnte und du warst für mich irgendwie nicht mehr greifbar... Irgendwie war meine Betaposition dann plötzlich das einzige, das uns noch aneinander gebunden hat und dann ist es Flynn auch noch immer schlechter gegangen und irgendwie war es für mich ganz logisch, dass du schnellstmöglich der Alpha werden musst. Dann würde es Flynn besser gehen und wir könnten endlich richtig zusammenarbeiten und würden dann wieder richtige Zeit miteinander verbringen. Dann hättest du keinen Grund mehr gehabt, mich irgendwo auszuschließen und wir hätten noch stärker zusammenwachsen können. Das... Ich weiß, dass das ein dummer Gedanke war... aber so habe ich mich gefühlt... Als ich dann erfahren habe, dass das jetzt auch nicht mehr so ist, dass du mich nicht mehr als deinen Beta möchtest, ist bei mir irgendeine Sicherung durchgebrannt..." Er seufzte leise. „Das soll keine Entschuldigung für mein Verhalten sein oder eine Ausrede oder was weiß ich... Ich... ach, du sollst mich nur verstehen. Du bist mein Bruder, Iacob, und ich weiß, dass ich unsere Freundschaft ganz schön ins Wanken gebracht und dich extrem verletzt habe... Das alles tut mir so furchtbar leid."

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Mein Gehirn war leer und ich einfach nur völlig kraftlos. Ich war froh, Bennos Sicht der Dinge gehört zu haben und obwohl er mich wirklich sehr verletzt hatte und mein Vertrauen in ihn etwas gebröckelt war, war ich einfach nur froh, ihn jetzt wieder so an meiner Seite haben zu können.
Ich hatte meinen besten Freund vermisst und auch wenn es noch dauern würde, bis wir wieder eine so enge Freundschaft haben würden wie früher, war ich mit dieser Aussprache schon zufrieden.
Das war schonmal der erste Weg in die richtige Richtung.

„Ich will auch ehrlich sein, Benno..." Ich lächelte leicht, als ich mich langsam aus unserer Umarmung löste und gleich meine Tränen wegwischte. Die brauchte keiner sehen. „Mich gegen dich zu entscheiden, war die richtige Entscheidung. Du bist von klein auf mein bester Freund und uns verbindet einfach zu viel, als dass wir auf einer neutralen Basis zusammenarbeiten könnten. Ich denke, dass eine reine Freundschaft uns viel besser tut."

Benno nickte sofort und dabei bildete sich sogar ein kleines Lächeln auf seinen Lippen.
„Anfangs war ich deswegen echt sauer. Vor allem als du Dad mir vorgezogen hast, aber mittlerweile bin ich doch froh. Dad war der perfekte Beta. Die Fußspuren, die er jetzt hinterlässt und auch nach seiner Abdankung hinterlassen hätte, sind sowieso viel zu groß für mich. Die könnte ich nie ausfüllen." Er lächelte traurig und auch ich musste schlucken.
Benno hatte Recht. Frank hinterließ wirklich ein verdammt großes Loch, das noch lange brauchen würde, bis es irgendwie geflickt werden konnte.
Obwohl ich wusste, dass es nie mehr so sein würde wie mit ihm in unserer Mitte.

„Kaspar hat mir angeboten, dass ich mit ihm zusammen die Jugendlichen ausbilde. Ich denke, dass ich das auch machen werde. Kämpfen kann ich immerhin besser, als diplomatisch denken."

Das brachte uns beide zum Lachen.

Unser Lachen verebbte in der frischen Nachtluft, bis bald wieder Stille aufkam, während wir beide unseren Blick wieder in den Himmel lenkten. Die Sterne blitzten hell am dunklen Himmelszelt und strahlten glitzernd auf uns hinunter.

„Da oben ist er jetzt irgendwo... und schaut auf uns", murmelte Benno nach mehreren Minuten leise und biss sich dabei schmerzhaft auf die Lippe.

„Und hält seine schützende Hand über uns", fügte ich leise hinzu und konnte nicht anders, als leicht zu lächeln. Ich war mir sicher, dass Frank dort oben über uns wachte und wahrscheinlich gerade ebenso ein Lächeln auf den Lippen trug, weil wir es endlich geschafft hatten uns auszureden.

Er wollte nie mehr, als dass es Benno und mir gut ging.

„Ich will dir Janus vorstellen", murmelte ich nach wiederkehrender Stille.

„Ich würde ihn gerne kennenlernen", antwortete Benno genauso leise und schenkte mir ein kleines Lächeln, bevor wir uns fast synchron von der Bank erhoben. „Und sobald er wieder wach und genesen ist, werde ich ihm mal gehörig die Leviten lesen", drohte mein Kindheitsfreund dann mit ernstem Blick, der mir gleich zeigte, dass er diesen Worten auch Taten folgen lassen wird.

„Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob er die Tragweite dessen, was er getan hat, überhaupt versteht...", murmelte ich leise, bevor wir die Arztpraxis betraten. Ich wollte nicht, dass uns vielleicht eine der Arzthelferinnen im Inneren, die Nachtschicht hatten, hören konnte. „Er hat sich zwar am nächsten Tag nicht zu mir getraut und hat mir meinen Freiraum gelassen, aber ich weiß nicht, ob es wirklich daher kam, weil er verstanden hat, was er mir angetan hat oder weil er einfach meine Gefühle gespürt hat und es deswegen für besser hielt, sich von mir fernzuhalten."

Benno zog die Stirn kurz kraus, ehe er langsam den Kopf schüttelte. „Wenn er sich schon wegen deinen Gefühlen von dir fern hält, dann zeigt das doch, dass er sehr wohl versteht, was deine Gefühle aussagen und wird zwangsläufig kombinieren können, dass es mit seinem Handeln zusammenhängt." Benno warf mir einen ernsten Blick zu. „Er ist immerhin der Alpha eines gemischten Rudels. Sogar Wandler haben sich ihm unterworfen, also muss er schon irgendwas in der Birne haben." Er zuckte mit den Schultern, ehe er wieder an mich heran trat und mich noch einmal in die Arme zog.

„Hat er dir stark wehgetan?", wisperte mir Benno zu und drückte mich gleich nochmal enger an sich.

Ich haderte einen Moment, bevor ich langsam nickte.
Die körperlichen Schmerzen, die ich verspürt hatte waren schlimm, vor allem als ich kurz vor der Ohnmacht stand, aber die psychischen Schmerzen, die noch immer nach dauerten, machten es erst wirklich schlimm für mich. Ich wusste nicht, ob ich jemals nochmal in der Lage sein würde, meinem Gefährten auf diese Art und Weise nahe kommen zu können oder ob das das letzte Mal war.

Vor allem wusste ich nicht, wie ich ihn jemals markieren sollte. 

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