Mir war von Klein auf bewusst, wie viel Arbeit die Alphaposition mit sich brachte, aber wie viel es wirklich war, realisierte ich erst jetzt. Dass mein Vater mir noch dazu verhältnismäßig wenig beigebracht hatte, zumindest abgesehen vom täglichen Krafttraining und dem Sortieren von Unterlagen, setzte mich zunehmend unter Druck. Ich war froh, dass Frank mir dauerhaft mit Rat und Tat zur Seite stand und selbst mein Großvater ab und an ins Büro kam und mir hilfreiche Tipps gab.
Frank hatte mich lediglich ein einziges Mal gefragt, was genau zwischen Benno und mir vorgefallen war. Offenbar wusste er nur von einem Streit und war verwundert, dass ich Benno nach jahrelanger enger Freundschaft nicht dennoch als meinen Beta gewählt hatte.
Nachdem ich ihm jedoch erklärt hatte, dass es mehr als nur ein kleiner Streit war und Benno mir an den Kopf geworfen hatte, dass ich in seinen Augen kein Alpha war, hatte Frank das Thema nicht mehr wieder angesprochen.
Generell konzentrierten wir uns nur auf die Arbeit und ließen persönliches außen vor.Ich konnte zufrieden beobachten, wie das Rudel von Tag zu Tag immer weiter aufblühte. Es war als wäre die Regenwolke, die die letzten Jahre über jedem unserer Köpfe gehangen war, plötzlich von strahlendem Sonnenschein verdrängt worden, was die gute Laune natürlich stark anhob.
Wann immer man jemandem begegnete, trug derjenige ein Lächeln auf den Lippen. Innerhalb kürzester Zeit fanden die einzelnen Rudelmitglieder wieder weiter zusammen und verbrachten nun wirklich ihre Freizeit miteinander, anstatt nur ihre Pflicht mehr nebeneinander und nicht miteinander abzuarbeiten und dann wieder getrennte Wege zu gehen. Kinder spielten viel sorgloser auf dem großen Platz oder in den Wiesen und auch die Älteren waren wieder deutlich öfter draußen unterwegs.
Der Wandel war wirklich enorm und das ließ mein Herz vor Glück hoch schlagen.Mein langfristiges Ziel als Alpha war es, die momentane Laune dauerhaft beizubehalten.
Vor allem Flynn ging in seiner Rolle als trächtiger Papa richtig auf. Jetzt, wo er und Benno ihre Beziehung nicht mehr weiter geheimhalten mussten, verbrachten die werdenden Eltern jede freie Sekunde miteinander, liefen Händchen halten durch unsere Siedlung und turtelten ununterbrochen. Sie schmiedeten sogar Pläne, dass Flynn bald bei Benno und Frank im Haus einziehen würde, wobei Flynn sowieso bereits jede Nacht bei seinem Gefährten verbrachte und nur noch zum Kochen in unser Haus kam.
Frank hatte sogar extra angefragt, ob er nicht in eines der freien Zimmer im Rudelhaus ziehen konnte, damit die kleine Familie in Bennos Elternhaus Platz für sich hatte.
Dem hatte ich natürlich zugestimmt.Benno und ich liefen uns trotz allem nur selten über den Weg. Ich verbrachte die meiste Zeit in meinem, oder besser gesagt Vaters ehemaligem Büro, und Benno kümmerte sich ausschließlich um Flynn.
Jetzt, wo er nicht mein Beta geworden war, ging er keiner aktiven Tätigkeit mehr hinterher und hatte damit umso mehr Zeit für Flynn, der sich darüber sehr freute. Für die nächste Zeit würde ich das noch dulden, aber ab einem gewissen Punkt musste sich auch Benno wieder in die Rudelgemeinschaft einbringen. Jeder hier hatte seine Aufgabe und musste seinen Teil zum Großen und Ganzen - dem Rudel - beitragen. Da kam auch Benno nicht drumrum.Ich seufzte leise und wandte meinen Blick vom Fenster ab. Frank war gerade zum Abendessen gegangen, das Flynn jeden Tag für Frank, Benno und mich zubereitete. Meistens wartete ich, bis sie mit dem Essen fertig waren oder holte mir meine Portion direkt ins Büro, um vermeiden zu können mit Benno an einem Tisch zu sitzen.
An sich hatte ich damit kein Problem, wenn er nicht sofort zu stänkern anfangen würde, wenn ich in den Raum kam. Zu meinem Leidwesen ging sein Groll mittlerweile nämlich nicht nur gegen mich, sondern auch gegen seinen eigenen Vater, wodurch die Stimmung am Tisch sowieso schon angespannt war. Meine Anwesenheit war dann noch der Funke, der das Ölfaß zum Entzünden brachte.Als könnte Frank etwas dafür, dass ich ihn ausgewählt hatte anstatt Benno. Frank kam nur seiner Pflicht nach, dafür sollte Benno ihn ehrlich nicht verurteilen.
Ich lehnte mich auf dem ausgesessenen Schreibtischstuhl zurück und gähnte ausgiebig.
Ich vermisste meinen Gefährten ungemein und wollte mich am liebsten jeden Abend zu ihm kuscheln, aber die frische Umstellung und die Mengen an Arbeit, die dadurch auf mich zukamen, ließen mir kaum freie Zeit oder gar die Möglichkeit unbemerkt für einige Stunden zu verschwinden. Die Trennung zu ihm wirkte sich mittlerweile spürbar auf meinen Körper aus. Jede Zelle lechzte nach Nähe zu Janus.
Außerdem setzte mir der Verlust meiner neu erlangten Stärke ganz schön zu. Ich wusste, dass es lediglich ein kurzes Hoch nach unserer frischen Verbindung war, aber trotz der kurzen Zeit hatte ich mich doch sehr daran gewöhnt. Ich kehrte zwar nicht mehr zu meiner ursprünglichen Form zurück und auch mein Körper blieb nun wie er war, aber die Veränderungen spürte ich dennoch.
Allein deswegen wünschte ich mir Janus schon an meine Seite.Ich hoffte, dass er Verständnis hatte und sich nicht vernachlässigt fühlte oder mein Fernbleiben gar mit seiner ruppigen Markierung in Verbindung brachte.
Ich war seit meiner Amtsübernahme nicht mehr bei Janus und seinem Rudel gewesen, dafür hatte ich aber ein kleines Häuschen für Neo und Dylan organisieren können, welches gerade noch neu gestrichen wurde, aber ab der kommenden Woche bezugsbereit war. Gleichzeitig hatte ich einen weiteren Kontrolltermin für Dylan bei unserem Rudelarzt vereinbart.
Damit war nun alles bereit dafür, dass sie in mein Rudel wechseln konnten und einerseits freute ich mich darauf sie bei mir zu haben und ihnen so etwas zu ermöglichen, andererseits wusste ich nicht, wie Janus darauf reagieren würde.
Ob Neo ihm seine Pläne schon mitgeteilt hatte? Oder hatte der Beta bisher nur mit mir darüber geredet?Frank hatte ich über unsere baldigen neuen Mitglieder bereits informiert. Er hatte überrascht reagiert, mein Vater war nicht dafür bekannt Fremde aufzunehmen, aber nachdem ich ihm von Dylans Schwangerschaft und dem fehlenden Arzt in ihrem Rudel erzählt hatte, konnte er schnell nachvollziehen, warum ich so entschieden hatte.
Ich hielt es für besser, wenn Frank nicht erfuhr, dass sie ursprünglich aus dem Rudel meines Gefährten kamen. Das würde nur Fragen aufwerfen, die ich noch nicht beantworten wollte.
Dass Frank mich daraufhin sogar für meine Nächstenliebe gelobt hatte, freute mich.Der Beta hatte sich schon vor dem Abendessen für heute bei mir verabschiedet, da er danach gleich nach Hause gehen würde. Ich wartete nur noch ab, bis sie gesammelt das Haus verließen, damit ich in Ruhe zu Abend essen konnte. Auf weitere Interaktionen, vor allem mit Benno, hatte ich heute keinen Nerv mehr.
Während ich dann unter der Dusche stand und das heiße Wasser auf meine Haut prasselte, spielte ich mit dem Gedanken, heute Nacht einfach zu Janus zu gehen und mir von seinen Liebkosungen etwas Druck von den Schultern nehmen zu lassen.
Ich würde schon irgendeine Erklärung finden, wenn ich heute Nacht gesucht werden würde, was überraschenderweise viel öfter vorkam als gedacht. Probleme hatten irgendwie die Eigenart nur nachts aufzutreten. Außerdem wusste Frank ohnehin über meinen Gefährten Bescheid und würde mich vor dem Rudel verteidigen, in dem er mir ein glaubwürdiges Alibi gab.Zwar wusste seit dem Kampf gegen meinen Vater, als ich damals Janus Biss offen gezeigt hatte, jeder, dass ich meinen Gefährten gefunden hatte, was natürlich zahlreiche Fragen aufwarf, aber bisher konnte ich mich immer gut aus der Affäre ziehen.
Es war klar, dass das Rudel seine Luna kennenlernen wollte, aber ich wusste nicht, wie ich ihnen schonend beibringen sollte, dass mein Gefährte ein Alpha mit einem eigenen Rudel war. Die Position der Luna würde er niemals einnehmen.
Das Problem hatte auch Frank schnell erkannt und hielt mir bei solchen Fragen daher immer den Rücken frei.Als ich wieder aus der Dusche stieg, fiel mein Blick auf den Spiegel, der meine kräftige Gestalt widerspiegelte. Janus Biss passte perfekt zu mir und obwohl es eine relativ große Narbe war, fiel sie nicht negativ auf, sondern unterstrich meinen Körperbau nur weiter.
Ein verliebtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich den Fingerspitzen über die etwas unebene, zarte Haut strich und dabei automatisch an Janus denken musste.
Im Spiegel konnte ich dabei einen groß gewachsenen, schwarzhaarigen Mann erkennen, der schützend seine Arme um meine Taille schlang und sein Gesicht in meine Halsbeuge schmiegte. Der Anblick gefiel mir so gut, dass augenblicklich Tränen aufstiegen und in langsamen Bahnen über meine Wangen rollten.Dass das nur ein Hirngespinst und bloße Einbildung war, war mir bewusst, aber für diesen kurzen Moment genoß ich es einfach. Wohlwissend, dass ich nie in Janus Armen stehen würde.
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wild wolf ✓
WerwolfDer junge Alpha Iacob ist noch nicht bereit dazu, den Posten des Rudeloberhaupts zu übernehmen und bis Ende des Jahres, im November plant sein Vater seinen Rücktritt, erst recht nicht. Auf der Suche nach etwas Freiraum begegnet Iacob zufällig einem...