saufvibe

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"Das ist die schönste Kirche der Welt", bewundert Guk, als sie sich auf ein Bankerl in der Nähe der Votivkirche gesetzt haben.

"Vielleicht. Sicher, dass du nicht rein willst?", erwidert T und schaut abwechselnd seinen Freund und das göttliche Bauwerk an. Sie halten einander an der Hand.

"Nah, das ist zu heilig. Ich glaub, ich versteh jetzt zum ersten Mal den take, dass früher nur der Klerus in gewisse Bereiche in Kirchen gelassen wurde. Die ganze Votivkirche sollte so ein Bereich sein"

"Haha, wusste gar nicht, dass du so religiös bist"

"Bin ich eigentlich nicht, aber...das kann doch nicht von dieser Welt sein, welcher Mensch soll sowas gebaut haben? Da muss ein Gott mitgewirkt haben"

"Glaubst du an Gott? In irgendeiner Form?"

"Grad irgendwie schon", bejaht Guk, als er noch immer ehrfürchtig auf die Kirche blickt, "Aber im Alltag irgendwie nicht leider. Du?"

"Ich nicht. Schließe es aber auch nicht aus, who knows. Aber wieso meinst du, dass du leider nicht an Gott glaubst?"

"Na ja, ich find den Gedanken irgendwie schön, einen Gott zu haben, einen Sinn dadurch zu haben. Ich glaub, das kann Menschen viel Halt geben. Jetzt ist alles so gottlos, jeder muss seinen eigenen Grund zum Leben finden und ja, keine Ahnung, ich stell's mir bisserl leichter mit Gott vor"

"Maybe. Da hat man halt eine Anleitung fürs Leben quasi, wenn man sich an den und den shit hält, kommt man in Himmel. Übt sicher viel Druck auf einen aus, wenn man hardcore an das glaubt, und dann irgendwie verkacken sollte tho", meint T und streichelt ein bisschen mit dem Daumen über Guks Handrücken, "Kannst ja mal in der Kirche vorbeischauen, wenn's dich interessiert"

"Hm...weiß nicht. Würd dich das nicht stören? Du glaubst ja nicht an Gott"

"Hä, nein, natürlich nicht. Du kannst machen, was du willst, Guk"

Guk nickt nur, dann schweigen sie. Sie hocken noch eine Weile da, sehen das sakrale Meisterwerk an, während hunderte Studierende unberührt dran vorbeilaufen. Wild, wie verschoben Aufmerksamkeit und Wahrnehmung sein kann. 

Da es schon später wird und die Novembernächte schon einiges an Kälte bieten, beginnen Guks Zehen bald, dezent abzufrieren. Er ignoriert es, genauso wie die steif schmerzenden Finger. Erst als T sagt, dass ihm kalt ist, kommt Guk auf die Idee, mal aufzustehen und sich zu bewegen. 

"Wir könnten ja wo reingehen", schlägt T vor, steht ebenfalls auf und tritt von einem Fuß auf den anderen, um sich zu wärmen. 

"Ähm wo?"

"Vielleicht 'ne Bar? Machen wir uns einen schönen Abend, hast du Lust?"

"Ja, okay, können wir machen", willigt Guk ein, obwohl er eigentlich keinen Bock hat. 

Er ist nicht vorbereitet auf Menschen, klar, hier laufen auch viele vorbei, aber das ist nicht dasselbe, wie mit anderen in einer Bar zu hocken. Er hat bisschen Angst, er weiß nicht, ob er es handlen kann. Joint hat er auch keinen mehr da, Valium nicht, Molly, Alk, oder was auch immer für 'ne Bar gut wär, nix dabei. Er ist auf sich allein gestellt. 

Doch er will T nicht enttäuschen. Wenn er in eine Bar möchte, dann sollten sie das auch tun, damit muss Guk halt irgendwie klarkommen. Wenn er schon sagt, dass sie sich einen schönen Abend machen, heißt das dann nicht automatisch, dass ein Abend nur mit Guk allein daheim oder so nicht schön ist? Wahrscheinlich, ist eh eigentlich offensichtlich, T will fix unter Leute, damit er Guk nicht an der Backe hat. So wird es sein, ja, und dem muss er sich fügen. Sonst jumpt noch ein Gott aus der Votivkirche und wirft ihn in die Hölle. 

Die beiden suchen sich also 'ne chillige Bar mit Blick auf den Sakralbau, nicht schwer zu finden, da die Uni gleich hier ist und jeden Tag tausende Studis vorbeikommen, ist die Infrastruktur dementsprechend gut ausgebaut. Sie gehen in eine Bar, die innen angenehm mit warmem, dämmrigem Licht ausgeleuchtet ist. Wände sind schwarz, der Holzboden dunkel, es stehen viele tiefgrüne Pflanzen herum und Sofas oder Sitzgruppen wurden random im Raum platziert. Die Atmosphäre ist sehr angenehm, das Licht ist soothing und es sind nicht viele Leute da. Guk bekommt ein bisschen edle James Bond vibes. 

"Ich hol was zu trinken", verkündet T, als sie eine Couch ausgewählt haben und die Jacken aufgehängt sind, "Was willst du?"

"Irgendwas Starkes"

"Hui, let's go"

T wandelt also an die Bar zum Bestellen, während Guk sein Bestes gibt, mit der Situation klarzukommen. Es sind keine Massen an Menschen hier, das ist schon mal gut, aber trotzdem fühlt er sich unwohl, als er da allein am Sofa knotzt. Es kommt ihm vor, als würden alle Augen auf ihm liegen, als würde jeder ihn beobachten und innerlich auslachen für seine Unfähigkeit. Dabei macht er nicht mal was. Na ja, seine Existenz ist wohl lächerlich genug. Er versucht, nicht zu amkward dazusitzen und nimmt deshalb das Handy in die Hand, um wenigstens etwas zu tun zu haben. Camille hat geschrieben. 

Camille: i fucking hate uni

Camille: i cant do this anymore, 3 exams next week but i cant even get out of bed...why do i feel so powerless? i cant bring myself to focus, let alone study...why do i have to live

Camille: life's so miserable...you're the only one that makes it tolerable

Guk will zurückschreiben, weiß jedoch nicht ganz was und da sein Freund schon mit den Getränken in der Hand zurückkommt, läuft ihm auch die Zeit davon. T setzt sich dicht zu ihm, reicht ihm den bräunlichen Cocktail, in dem Eiswürfel klimpern und ein Nudelstrohhalm steckt. 

"Danke", meint Guk und reacht schon in seine pocket, um bisschen Kohle raus zu kramen, doch T hält ihn ab. 

"Passt schon"

Der Schwarzhaarige will was sagen, fühlt sich unwürdig, von T eingeladen zu werden, fühlt sich aber noch unberechtigter, ihm zu widersprechen, also lässt er es bleiben. Sie stoßen an und sippen bequem aus den Halmen. Ts Cocktail hat 'ne funky Farbe, unten rötlich, dann orange und oben gelb. Guk fragt gar nicht, was sie da trinken, er schmeckt einfach nur den starken Alkohol und beruhigt sich etwas. 

"Schreibst du wem?", fragt T interessiert und glubscht zuerst auf Guks Handy, das noch immer in seiner Hand liegt, dann auf ihn. 

"Äh, nein, mir...mir hat nur grad wer geschrieben", stottert er bissl herum, packt schnell das Handy weg, damit T den Chat nicht lesen kann. 

"Wusste gar nicht, dass du außer mir noch Sozialkontakte hast", lacht T gechillt, der freut sich halt legit, wenn sein Freund wen zum Schreiben hat. Guk checkt das jetzt auch und entspannt sich etwas, da der Lockenboy nicht sauer oder traurig ist. Er traut sich, den Arm auf die Sofalehne zu legen und berührt dadurch leicht Ts Rücken. 

"Ähm, ja. Vor paar Wochen hab ich sie online kennengelernt, Camille heißt sie. Wohnt in Amerika"

"Sheesh, ganz schön weit weg, schade. Wie ist sie so?"

Guk findet's eigentlich nicht so schade, nickt aber dennoch zustimmend. 

"Sehr lieb. Sie hat zwei Katzen, die sind ur süß. Und sie hat harte Depressionen, nicht einfach"

"Hm, glaub ich. Wie alt ist sie?"

"22. Studiert irgendwas mit Wirtschaftsrecht oder so, aber is' auch hart am strugglen"

"Ha, hoffentlich kommt sie nicht in unseren Klub der Studiumsabbrecher. Na ja, selbst wenn, auch egal. Hab jetzt ein viel besseres Leben als vorher"

"Das is' schön", freut sich Guk ehrlich für seinen Freund und lächelt ihn wohlwollend an. 

Sie plaudern weiter, sippen ihre Cocktails aus und holen sich noch 'ne Runde. Diesmal Shots, da ist das Preis-Leistungs-Verhältnis besser und irgendwie haben sie den Saufvibe gecatcht. Wird nicht nur ein schöner Abend werden, sondern vor allem ein wilder. 


gottlose welt || tgukWo Geschichten leben. Entdecke jetzt