"Jeongguk", meint die Frau überrascht. Sie identifiziert sich wirklich als Frau, wir haben sie gefragt, Pronomen sind sie/ihr.
"M-Mama?"
Blank glotzen sich die beiden für ein paar Zehntelsekunden an. Guk, der da grad noch casual das E-Bike inspiziert hat und vom wenigen Schlaf ganz zerknautschte Augen hat. Und seine Mutter, die da einfach ganz casual ins Wohngebäude hineinmarschieren wollte. Tja, die casualness wurde den beiden recht flott genommen, bisschen eine unerwartete Begegnung und schon ist's aus mit der.
"Na, das passt ja perfekt", findet die Frau als erste die Besinnung wieder, "Ich wollt grad zu dir kommen. Bist du am Sprung?"
"Äh, na ja, es kommt gleich wer vorbei. Das Rad abholen"
"Oh, ein Freund von dir?"
"Ne, Pizzalieferant. So in der Art"
Da schaut sie ein bisschen perplex. Ja, wohl eher ungewöhnlich für einen Pizzalieferanten, der ja nicht mal einer ist, dass er ein Radl abholt, aber well so ist das halt. Die Ausnahme bestätigt die Regel.
Guks Mutter jedenfalls, die lehnt da halb in der Tür und sieht ein bisschen aus, als könnte sie sich nicht entscheiden ob rein oder raus. Ging ihr wohl auch beim Anziehen so, denn sie hat zwei verschieden farbige Socken an, einen schwarz und einen hellblau. Sonst hat sie sich aber bei ihren Klamotten solide für Schwarz entschieden, schwarzer knielanger Mantel, schwarze Turnschuhe und schwarze Jogginghose. Ja, so viel schwarz, wenn man nicht aufpasst, könnte man sie glatt mit ihrem Sohn verwechseln. Nur hat der schon bissl kürzere Haare, ihre gehen ja bis über die Schulter und sie hat Stirnfransen, die würden ihr sicher bis zur Nase gehen, wenn sie sie langzieht. Ein Wunder, dass sie überhaupt was sieht mit denen.
"Also hat dir die Pizza gestern geschmeckt?", fragt sie nach ein paar Sekunden komischer Stille.
"Äh ja, I guess?"
"Gut, gut", nickt sie mit einem kleinen Lächeln, "Ich hab die für dich bestellt. Ich dachte, du schreibst mir deswegen noch, aber du hast dich nicht gemeldet. Also bin ich hergekommen"
"Aso, die war von dir? Loool, ich dacht schon, ich hätt die im Rausch bestellt gestern"
"Rausch? Welcher denn?"
"Eh nur Gras, keine Sorge. Bisschen was am Freitagabend kann ich mir schon gönnen"
Skeptisch beäugt sie ihn. Man kann legit nicht mal ihre Augenfarbe erkennen, so tief hängen die Schatten ihrer Stirnfransen über ihren Augen. Aber wir spoilern das hier einfach mal. Sie sind braun. Uuuh big surprise, eh gefühlt die Hälfte der Leute hat braune Augen lol.
"Und was machst du heute?", lenkt sie schließlich das Gespräch um.
"Nichts. Der Pizzatyp kommt dann jetzt wahrscheinlich also ja. Ich würd ihn dann gern...allein begrüßen", formuliert Guk holprig und facepalmt sich für die komische Formulieren gedanklich selbst.
"Ach so, okay, ich will dich nicht stören. Ich geh schon. Meld dich, wenn du was brauchst"
"Ja, tschüss"
"Tschüss"
Und so schnell wie die Frau hereingekommen ist, ist sie auch wieder verschwunden. Guk hat sie erfolgreich verscheucht, bravo, die eigene Mutter. Er lehnt sich ans Geländer der Treppe und verzieht den Mund. Crap, das war ja nicht so cool. Er will eigentlich nicht gemein zu ihr sein und sie so abweisen. Sie hat ihm Pizza bestellt, das ist ja ganz lieb. Auch wenn er selber dafür bezahlen musste, aber ja. Er ist halt mittlerweile einfach nur mehr komplett durch mit den Nerven.
Ihr müsst wissen, die Beziehung zwischen den beiden ist nicht so leicht. Man kann schon sagen, dass Guk aus einer dysfunktionalen Familie kommt. Da gibt es eben seine Mutter, und wir geben ihr jetzt auch einen Namen, damit sie nicht nur in Beziehung zu Guk hier existiert, sondern auch für sich allein. Minji heißt sie nämlich. Und dann ist da noch der Vater, Siwoo, er/ihm. Nur hat sich der paar Jahre nach Guks Geburt zu einer anderen Frau verpisst. Das hat Minji leider nicht ausgehalten und hat somit den Erfolg Alkoholismus freigeschalten. Nur ein Kind erziehen und 24/7 besoffen sein, vertragen sich halt nicht so gut miteinander, drum war Guk erstens viel allein, auch wenn er es oft nicht sein wollte und zweitens musste er seine Mutter in schrecklichen Situationen mit ansehen. Imagine, der siebenjährige Bre will sich einfach nur ein Brot holen zum Frühstück, mit richtig geil Butter und Salz drauf, aber kaum kommt er in die Küche, grundelt da seine Mutter verrenkt am Boden und bettelt ihn an, das Licht auszuschalten. Dabei brennt gar kein Licht, das ist die kack Sonne.
Ja, solche schönen Kindheitserinnerungen hat Guk zu genüge. Als Jugendlicher hat er sie deshalb "gehasst" und hat sich nichts mehr gewünscht, als endlich da raus zu kommen. Aber oh well, mit der Zeit hat er dann auch gecheckt, dass das eine Krankheit ist und Minji eigentlich gar nicht so viel dafür kann. Wenn bei jeder Gelegenheit im gesellschaftlichen Leben gesoffen wird und du schon komisch angeschaut wirst, wenn du nicht mittrinkst, dann rutschen wackelige Seelen nur allzu leicht in eine Sucht. Es ist schade, der Alkohol hat fast alle schönen Charakterzüge von Minji zerstört. Jedenfalls in Guks Augen.
Und sie versucht das jetzt halt alles irgendwie wieder gut zu machen bei ihrem Sohn. Sie ist jetzt in Therapie und alles und auch wenn eine bestellte Pizza nicht viel scheinen mag, so ist das doch etwas, was wirklich von ihrem Herzen kommt. Denn wie bei Guk, so kickt auch bei ihr die social anxiety ordentlich und wir hoffen einfach mal, dass sie die Pizza am Telefon bestellen konnte ohne mental breakdown oder Schlimmeres.
Das alles weiß Guk ja auch. Dem ist schon klar, dass sie sich bemüht irgendwie und das Vergangene bereut. Aber anscheinend kann er ihr nicht ganz vergeben. Sonst würde dieses unterschwellig Gemeine nicht immer zum Vorschein kommen, wenn er mit ihr redet. Sonst würde er einfach sagen, ja komm Mama, wir schaffen das gemeinsam. Aber er kann das nicht. Er fühlt sich immer noch abgestoßen und genervt von ihr. Schon traurig, aber es ist nun einmal so.
Übrigens noch ein kleiner Funfact, bevor wir T durch die Tür spazieren lassen. Die offizielle Version lautet ja, dass Siwoo Minji verlassen hat und sie dann zum Saufen angefangen hat. Aber eigentlich hat sie schon davor gesoffen und das war der Grund, warum er gegangen ist. Der hat das nämlich genauso wenig wie Guk ausgehalten. Nur hatte er das Glück und war 30 Jahre älter und fähig zum Ausreißen, anders als der Hosenscheißer. Aber ja, das ist quasi die geheime Version, die nur Minji weiß. Sucht euch aus, welche ihr in Erinnerung behalten wollt, kommt eh auf's Gleiche hinaus.
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gottlose welt || tguk
Fiksi PenggemarGuk vegetiert in seiner abgedunkelten Wohnung vor sich hin. Er tut wenig bis gar nichts, außer Selbsthass und anxiety hat sein Hirn nicht viel zu bieten. Jucken tut ihn das nicht wirklich, meist schaltet er sowieso seinen Kopf aus mit Gras, Alkohol...