Die Tage vergehen halb im Rausch, halb in der Dämmerung, bis es schließlich Mittwoch ist, der Tag vorm Vorstellungsgespräch und der Tag vor vor dem Krankenhausbesuch. Guk ist mehr als nur unruhig, die ganze Woche poppt er schon Valium, Weed und Alk. Deutlich spürt er die Effekte davon, immer öfter hat er Erinnerungslücken und sein Körper kommt auch nicht ganz mit. Oft ist sein Mund so trocken und sein Stuhlgang ist eh schon länger mickrig, aber die letzten paar Tage scheißt er wirklich alles gleich wieder raus, was er sich irgendwie in den Mund gestopft hat. Appetit hat er nicht im Geringsten, außer wenn er im High die munchies kriegt.
Außerdem fühlt Guk sich generell komisch lately. Es kommt öfter vor, dass er aus seinem Körper gleitet und daneben steht. An diese Phasen kann er sich dann legit gar nicht erinnern. Sonst wenn er halbwegs bei Bewusstsein ist, kommt es manchmal vor, dass sein Gleichgewicht einfach abschaltet. Legit, er geht einfach nur gechillt aufs Klo und zack, auf einmal kommt die Gravitation von links und er liegt schon auf der Fresse. Oft passiert's nicht, aber Tendenz steigend, kann man sagen. Ein Wunder, dass er sich noch nichts gebrochen hat dabei.
Haha, aber come to think of it, Verletzungen hat's trotzdem gegeben. Der klassische Nagelhautabreißer ist eh ein Stammgast, Kratz- und Brandwunden mittlerweile auch, doch zu den üblichen Verdächtigen kommt nun auch der edle Schädelzertrümmerer dazu. Ok, Zertrümmerer ist vielleicht etwas übertrieben, aber es scheppert schon ganz ordentlich, wenn Guk seinen Kopf gegen Türrahmen, Schreibtischplatte oder blanke Wände knallt. Schaut ziemlich brutal von außen aus, aber danach summt's so angenehm in seinem Hirn, der Rest ist da vollkommen leise. Das braucht er.
Ja, denn irgendwie ist da grad so viel Stress in Guks Leben. Die Beziehung mit T ist sowieso Dauerstressfaktor, dann kommt jetzt das Vorstellungsgespräch dazu, bei dem er nicht verkacken darf und die Psychiatrie eben. Das mit Camille versetzt ihn auch in Angst, er weiß nicht, wie er sie verscheuchen kann. Da kommt schon einiges zusammen und er braucht ordentlich Stoff, um die Angst im Griff zu behalten. Einen Zusammenbruch kann er sich wortwörtlich nicht leisten, morgen hat er das Interview und er braucht den fucking Job, sonst schaut's jämmerlich im Geldbörsel aus.
Doch eine Sache, die er selbst mit Pille und Jolly nur schwer vergisst, sind Ts Worte vom letzten Treffen. Ich kann das nicht mehr. Das macht mich fertig, ich halt das nicht mehr aus. Guk hat es noch genau im Ohr, mit welcher hoffnungslosen Stimme sein Freund das gesagt hat. Immer wieder spielt sich das mentale Tonband in seinem Kopf ab, wie die Radiosender es 2012 mit Conchita Wursts Rise Like A Phoenix gemacht haben, als sie für Österreich den Eurovision Songcontest gewonnen hat.
Auch jetzt geistern Guk die Worte im Hirn herum, während er am PC sitzt und mögliche Fragen beim Jobgespräch googlet. Er kann sich trotz zwei Valium pills nicht konzentrieren, seine Gedanken sind zu mächtig. Ts Trauer, die Hoffnungslosigkeit, die Machtlosigkeit...Guks Brust zieht sich ordentlich zusammen, als er sich einmal mehr vor Augen ruft, dass er Schuld an dem ganzen Scheiß ist. Was kriegt er's auch nicht hin, als ob Leben so schwierig ist.
Er beginnt, nervös an seinem Arm zu kratzen, als er die Suchergebnisse am Desktop durchgeht. Man, wieso ist er auch so unfähig? Das ist doch nicht auszuhalten, wie inkompetent er ist, nix kriegt er auf die Reihe. Er betet zum Gott in der Votivkirche, dass er den Job bekommt. Wenn er auch das versaut, weiß er nicht, wie er weitermachen soll. Seinen Vater kann er nicht nach noch mehr Geld fragen, er würde nicht mehr herausrücken. Seine Mutter hat ja selbst fast nix und vom Staat kriegt er keinen Cent, da er noch nichts gearbeitet hat in seinem Leben. Kurz kommt ihm die Idee, sich was von T zu borgen, aber das schlägt er sich gleich aus dem Kopf. Er zapft sicher nicht Ts Geld an, nutzt seine Gutmütigkeit nicht aus, das wär das Schlimmste, was er machen könnte. Da würde er eher noch was stehlen.
Guk wird zunehmend ängstlicher. Er darf das legit nicht verhauen, er braucht den Job, er braucht das Geld für Valium. Das Kratzen auf seinem Arm wird intensiver. Wo er zunächst nur oberflächlich die Haut abgeschabt hat und weiße Spuren hinterlassen hat, kommen jetzt die ersten Blutgefäße und mehr rosafarbenes Gewebe zum Vorschein. Es tut gut, den Körper zu spüren, das lenkt bisschen vom Kopf ab. Sein Blick gleitet zur Schere auf seinem Schreibtisch, sehnsüchtig sieht er sie für einen Moment an, bevor er mit einer mentalen Ohrfeige sich wieder stur auf den Bildschirm vor ihm konzentriert. Keine Schere, er würde zu weit gehen.
Er scannt den Text vor sich, liest schnell ein paar mögliche Fragen bei einem Interview durch und überlegt sich Antworten. Aber was soll er groß erzählen? Was er bis jetzt in seinem Leben gemacht hat? Versucht, sich abzulenken und nicht aus dem Fenster zu springen. Warum er das Unternehmen gewählt hat? Weil er fucking Cash braucht und zu feige ist, rauszugehen dafür. Was seine Zukunftspläne sind? Nicht darüber nachzudenken.
Immer wieder switcht sein Blick zur Schere, es ist, als würde eine Süßigkeit vor einem Kleinkind liegen und die Eltern hätten gesagt, es dürfe sie nicht essen. Doch irgendwann hält er es nicht mehr aus und scheißt auf die Eltern, deren Rolle er ja selbst irgendwie übernommen hat davor, greift nach der Schere und schneidet sich tief in den Arm.
Man könnte meinen, er startet mit leichten Schnitten und arbeitet sich vor oder so. Aber hell nah, der gibt von Anfang an Vollgas, ritzt sich da rein mit aller Kraft, als würde er 'nen scheiß Baum zersägen. Die Schere ist vielleicht nicht die hygienischste, da picken noch Reste vom Gras drauf, das er mal mit der gecuttet hat. Doch das ist ihm so scheiß egal, er schlitzt sich auf ohne irgendeine Form von Gnade oder Zurückhaltung.
Als die Oberseite des Arm schon heftig am Blut drippen ist, überlegt er, ob er auf der Unterseite weitermachen soll. Doch er entscheidet sich dagegen, dort liegen ja die Adern so nah an der Oberfläche und er möchte nicht unabsichtlich zu weit gehen. Morgen Job, übermorgen T, er darf noch nicht gehen. Also zieht er sich die Hose aus und schneidet in seinen Oberschenkel.
Und damn, die Oberschenkel hat er richtig unterschätzt. Da hat man so viel Platz zum Schneiden und kann richtig durchziehen, ist schon geil. Guk ritzt sich tiefe, lange, blutende Wunden, spürt das warme Blut an seinem rechten Bein runterlaufen und die kalte Schere durch sein Gewebe fahren. Das Blut rinnt auf den Boden, tropft auf Sessel und Schreibtisch. Seine Hände sehen aus, als hätte er eine Herz OP hinter sich und keine Handschuhe getragen.
Der Schmerz ist göttlich. Arm und Oberschenkel brennen ihm so sehr, mehr als es eine Brandwunde je vermocht hat. Es tut so verdammt weh, seine Finger sind ganz zittrig und auch sein Atem geht flach. Er fühlt sich gleichzeitig heiß und kalt, während die Schnittwunden glühen wie heiße Kohlen, sind seine Hände und Füße klamm wie Eiszapfen. Und das Beste, sein Kopf hält die scheiß Klappe.
Legit, da ist auf einmal gar nichts mehr in seinem Hirn. Komplette Leere. Er muss einfach nur weiterschneiden, sonst ist da nichts. Vielleicht liegt es daran, dass sein Körper solche Schmerzen erleidet, dass die mind einfach nicht mehr zu Wort kommt. Da sind die sensorischen Nervenzellen einfach stärker und schalten alles andere, was nicht Schmerzempfindung ist, aus. Guk liebt es, er ritzt leidenschaftlich.
Vom Ansatz des Oberschenkels bis zum Knie schlitzt er sich auf, nur aufm rechten Bein, dann fällt er auf den Boden. Die Schere slippt ihm aus der Hand, landet mit lautem Klackern am Boden, wo auch Guk erschöpft liegt. Mit einem Mal schwindet ihm die Kraft, Gliedmaßen hängen schlapp an ihm dran, während sein linker Arm und der rechte Oberschenkel mehr Blut lassen, als er heute gepinkelt hat. Die Atmung geht ab, er keucht ja schon fast. Wie von selbst schließen sich seine Augen und er fühlt sich mit leerem Kopf einfach nur erleichtert.

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gottlose welt || tguk
FanfictionGuk vegetiert in seiner abgedunkelten Wohnung vor sich hin. Er tut wenig bis gar nichts, außer Selbsthass und anxiety hat sein Hirn nicht viel zu bieten. Jucken tut ihn das nicht wirklich, meist schaltet er sowieso seinen Kopf aus mit Gras, Alkohol...