Grillfest

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Der Abend kam und gleich würde das Fest im Hause der Madrigals beginnen. Marissa stand noch in ihrem Zimmer und sah sich selbst im Spiegel an. Sie trug das selbe Kleid wie fast immer, wenn sie nicht gerade arbeitete. Es war ein blassen blau-grau mit schlichten weißen Akzenten. Nicht grade modern, aber gut genug um ihre Figur nicht allzu sehr zu betonen. 

Halbwegs zufrieden nickte sie und warf sich ein hellgraues Tuch über die Schultern. Innerlich hoffte sie, dass sie nicht allzu lange da bleiben musste, denn amüsieren würde sie sich sicher nicht. Diese Menschenmassen waren einfach nichts für sie. Sicherlich würde sie sich vielleicht eines Tages daran gewöhnen, ja vielleicht sogar Spaß daran haben, doch momentan war sie einfach froh, wenn sie sich nach getaner Arbeit in ihr Zimmer zurückziehen konnte.

Kurz verabschiedete sie sich noch von ihrem Vater, ehe sie das Haus verließ. Auf den Straßen tummelten sich bereits die Menschen, die alle auf dem Weg zur Casita waren. Da sie nicht sonderlich weit weg wohnte, dauerte es auch nicht wirklich lang, bis sie das große Anwesen erreicht hatte. Bereits von weitem konnte sie Luisa erkennen, die sich um die Esel und dazugehörigen Wagen der Dorfbewohner kümmerte. Sie sah, und hörte vor allem, auch bereits Camilo, der alle überschwänglich begrüßte. Als er sie bemerkte, entglitten ihm kurz seine freundlichen Gesichtszüge und nahmen einen irritierten Ausdruck an. Verständlicherweise hatte er nicht damit gerechnet, Marissa heute hier zu sehen. Relativ schnell fing er sich aber und richtete seine Aufmerksamkeit wieder fast vollständig auf das nächste Pärchen, welches nun auf ihn zu kam. Sie selbst machte einen kleinen Bogen um ihn und schlüpfte vorbei ins Haus. 

Drinnen war es bereits schon recht voll und sie kämpfte sich einen Weg durch die Menge nach links. Dort kam sie schließlich bei zwei Hängematten heraus und schlängelte sich dran vorbei. Seufzend lies sich sie auf einem der niedrigen Fensterbretter nieder. Auch wenn sie hier her kommen musste, so musste sie ja nicht gleich mitten im Geschehen sein. 

Ihrer Meinung nach verging der Abend viel zu langsam und sie stellte sich nicht nur einmal vor, wie es wohl wäre, wenn sie sich jetzt einfach Daheim in ihr Bett legen könnte. Innerlich dankte sie Gott für seine Gnade, als Señora Alma Madrigal endlich die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.

"Liebe Gemeinschaft.", fing sie an und räusperte sich. Wenn Marissa es nicht besser wüsste, würde sie sagen, dass die Ältere ein wenig nervös wirkte. "Vor ungefähr 50 Jahren sind einige von uns aus unserem alten Zuhause vertrieben wurden. Wir haben uns hier ein neues Leben aufgebaut. Ein Heim, in dem wir uns gegenseitig unterstützten und aneinander wuchsen. Unser Wunder hat so vielen Menschen hier Gutes gebracht und ich habe immer versucht, dem Encanto mit besten Wissen und Gewissen zu dienen." Señora Madrigal atmete tief durch, als würde sie sich erst einmal sammeln müssen. So hatte Marissa sie noch nie gesehen, nicht, dass sie sie sonderlich gut kennen würde. "Doch, nach den Ereignissen des vergangenen Jahres, muss ich zugeben, dass auch ich blind für viele offensichtliche Dinge geworden bin." Ein Raunen ging durch die Menge, keiner schien so wirklich zu wissen, worauf sie nun hinaus wollte. "Daher möchte ich euch nun heute bekannt geben, dass ich die Verantwortung, für die Führung dieser Familie und dem Schutz unseres Wunders, nun an eine jüngere Generation abgeben werde." Das Raunen wurde lauter und brachte Alma Madrigal irgendwie zum Lächeln. "Meine Enkelin Mirabel wird von mir in den nächsten Jahren angeleitet werden und ich möchte euch bitten, uns alle dabei jederzeit zu unterstützen."

Applaus ertönte, auch wenn alle noch ein wenig skeptisch schienen. Marissa jedoch rechnete es Señora Madrigal hoch an, dass sie nun hier stand und vor dem ganzen Dorf zugab, dass es nun langsam für sie Zeit war, sich zurück zu ziehen. 

"Doch es gibt noch eine weitere Sache, die ich hier noch verkünden möchte.", sagte sie und lächelte noch ein wenig mehr. "Und zwar findet in ein paar Tagen die Hochzeit meiner Enkelin Dolores und ihres Verlobten Señor Mariano Guzmán statt, zu der ihr alle recht herzlich eingeladen seid." Sie zeigte mit einer Hand auf das glückliche Paar, welches unweit von ihr mit dem Rest der Familie stand. Wieder ertönte Applaus. 

Während die Musik wieder einsetzte, drehte sich Marissa ein wenig und schaute aus dem Fenster. Sie nahm sich vor, noch ein wenig zu warten, ehe sie unauffällig das Haus verlassen würde.

Erschrocken zuckte sie zusammen, als Casita plötzlich das Fensterbrett unter ihr bewegte. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, dass sie mittlerweile gar nicht mehr allein war. 

"Hallo, Marissa, schön, dich heute hier zu sehen.", sagte Sofia, die neben ihr auftauchte, ein Glas Saft in der Hand. Die Brünette wollte sie schon freundlich anlächeln, da sah sie aber, dass sie nicht allein gekommen ist. Isabela und Camilo standen hinter ihr. Sie gab sich wirklich alle Mühe, nicht genervt die Augen zu verdrehen. "Die beiden haben dir noch was zu sagen."

Isabela wirkte in etwa so genervt, wie Marissa sich fühlte. "Tut uns leid, dass wir heute morgen nicht geguckt haben, wo wir hin gerannt sind."

"Ja, sorry.", sagte Camilo schlicht und guckte sie nicht mal an.

Als Marissa nickte, grinste Sofia zufrieden. "Schön, also, Abuela hat es ja bereits abgesprochen, dass Dolores und Mariano nun endlich heiraten. Meinst du, dein Vater und du könntet uns mit dem Essen unterstützen?", fragte sie und sicherte sich somit wieder die Aufmerksamkeit der Jüngeren.

"Das sollte eigentlich kein Problem sein. Sagt nur rechtzeitig Bescheid, was wir machen sollen und wir machen es." Marissa stand auf und strich sich ihr Kleid glatt. Sie versuchte zu ignorieren, dass Camilo immer noch da stand, gegen Isabela hatte sie ja nichts. "Ich bin mir sicher, Dolores wird eine wunderschöne Braut sein.", sagte sie nur und wollte bereits gehen, da fing Isabela an mit Lachen.

"Oh Camilo, weißt du noch, wie du und Marissa als Kinder immer so getan habt als würdet ihr heiraten?", platzte es aus der schwarzhaarigen Schönheit heraus, die sich vor Lachen schon eine Träne weg wischen musste. "Das war so süß!" Grinsend schüttelte sie den Kopf. "Hey, wenn ihr beide weiter Single bleibt, könnt ihr doch heiraten!!!"

"Ja haha.", knurrte Camilo und verschränkte die Arme vor der Brust. "Sehr witzig. Als würde ich die da jemals heiraten."

Marissas Augen verengten sich und sie sah ihn böse an. "Wärst du mein Mann, würde ich dir einfach Gift ins Essen mischen!"

Er erwiderte ihren Blick auf die gleiche Weise. "Wärst du meine Frau, würde ich es freiwillig nehmen!"

Als hätten sie sich insgeheim abgesprochen, drehten sie sich in verschiedene Richtungen und stapften wütend davon. Zurück blieben eine irritierte Isabela und eine noch viel mehr verwirrtere Sofia.

"Du, sagt mal...", fing Sofia an und kratzte sich am Kopf. "Kannst du mir vielleicht sagen, was da passiert ist? Warum sie sich so absolut nicht leiden können?"

Isabela zuckte nur mit den Schultern. "Keine Ahnung. Erst waren sie gute Freunde und dann, von einem Tag auf den anderen war es, als wären sie wie ausgewechselt. Jedes Mal wenn sie aufeinander treffen, scheint es irgendwie zu eskalieren."

Sofia nickte auch wenn sie es absolut nicht verstand und sah in die Richtung, in der ihr bester Freund verschwunden ist. Bis jetzt kam doch jeder eigentlich gut mit ihm klar und die Schwangere beschloss, dem Rätsel auf jeden Fall auf den Grund zu gehen.

Nuestro milagro, Unser Wunder (Camilo xOC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt