Missverständnisse

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POV Camilo

Er atmete tief durch, nachdem er aus Brunos Höhle raus war. Es war die erste Vision gewesen, die er hautnah mit erlebt hatte und nun, was soll er sagen, es war unglaublich gewesen. Diese Kraft... er konnte es einfach nicht beschreiben. Aber zumindest wusste er nun, was er erfahren wollte. Alejo war nur zwei Tagesreisen vom Encanto entfernt und Bruno wollte sich darum kümmern, dass ihn jemand her holte. Das bedeutete, sie mussten lediglich ein paar Tage irgendwie überbrücken. 

Auch mit seiner Mamá und Julieta hatte er bereits gesprochen. Doch das hätte er auch gar nicht tun müssen, denn für sie war es selbstverständlich, dass sie die kleine Familie jetzt nicht allein lassen würden. 

Jetzt nur noch mit Marissa reden, dachte er sich und machte sich auf den Weg ins Dorf. Innerlich alte er sich alle möglichen Szenarien aus, die alle irgendwie damit endeten, dass sie ihn vor die Tür setzte, zu stolz, auch nur irgendeine Art von Hilfe an zu nehmen. 

Nur beiläufig bekam er mit, wie er das Haus betrat und die Tür zur Backstube vorsichtig öffnete. Überrascht blieb er stehen und wagte es kaum zu atmen. Die Brünette hatte gerade wieder einen Besen in der Hand und fegte das Mehl und die Teigreste auf, die auf dem Boden gelandet sind. Dabei drehte sie sich schwungvoll im Kreis und summte leise eine ruhige Melodie vor sich hin. Er wusste, dass er starrte, doch konnte er seinen Blick nicht von ihr abwenden. Einen Moment sah es so aus, als wäre es irgendwie nicht real, wie in einem Traum. Wieder drehte sie sich und ein bisschen Mehl, welches ihr in den Haaren und auf der Schürze hin, rieselte zu Boden. Noch bevor sie die Drehung zu Ende führte, fiel ihr Blick auf ihn und sie blieb wie angewurzelt sehen.

Kurz schüttelte sie sich und runzelte dann die Stirn, während wie eilig alles zusammenkehrte. "Wie lange stehst du da schon?", fragte sie, doch es ähnelte mehr einem Knurren.

"Wenn ich gewusst hätte, was sie mir hier für eine Show bietet, wäre ich definitiv früher gekommen.", meinte er und konnte ein grinsen nicht unterdrücken. Ein wenig süß war es ja schon gewesen. 


POV Marissa

"Idiota.", murmelte sie und stellte den Besen weg. "Was willst du hier?", fragte sie und stemmte die Hände in die Hüfte.

"Dir helfen.", kam es prompt von dem Lockenkopf, der langsam zu ihr herüber kam. 

"Ich brauch keine Hilfe.", knurrte sie und ging zum Ofen, um nach dem Brot zu schauen. 

"Ich denke schon.", beharrte er. "Du weißt genau so gut wie ich, dass du nicht alles allein stemmen kannst, ohne irgendwann daran kaputt zu gehen. Du hast dir schon in letzter Zeit viel zu viel zugemutet."

"Es kann nun mal nicht jeder so perfekt sein wie Familie Madrigal.", entgegnete sie und bereute es, kaum dass die Worte über ihre Lippen kamen. Immerhin wusste sie genau, was die Familie die letzten Monate alles durch machen musste.

Camilos Augen bekamen einen wütenden Ausdruck, doch er entschied sich, ruhig zu bleiben. Ein Streit würde jetzt niemanden etwas bringen, auch wenn sie es provozierte. "Bruno kümmert sich darum, dass dein Bruder zurück kommt. Bis dahin werden wir dir helfen."

"Danke, aber nicht nötig.", beharrte sie. "Ich schaff das schon."

"Por dios! Marissa! Ich will dir nur helfen und dich nicht gleich heiraten!!"

"Heiraten?" Erschrocken drehten sich die Beiden zu den Neuankömmlingen herum, die gerade die Backstube betraten. Julieta stand dort und stützte Señor Reyes. Camilos Tía wirkte geschockt, während Marissas Vater vor Freude nur so strahlte. "Oh was für wunderbare Nachrichten!", sagte er und löste sich von der Madrigal. Er war sehr schwach auf den Beinen, schaffte es dennoch, allein zu seiner Tochter zu gehen und sie zu umarmen. Diese wusste vor Schreck nicht, was sie sagen sollte. 

Camilo wollte die Situation gerade aufklären, da wurde er von seiner Tante unterbrochen. 

"Ich glaube, darüber sollten wir später reden.", meinte sie und warf Milo einen merkwürdigen Blick zu. "Ich denke, zu viel Aufregung ist jetzt nicht gut."

Sie schnappte sich den älteren Mann wieder und führte ihn nach draußen. Aber nicht, ohne den beiden noch einen irritierten Blick zu zu werfen. Zwar konnte sie sich denken, dass es alles nur ein Missverständnis war, aber dennoch. Der Zeitpunkt für so etwas war mehr als ungünstig.

Wieder allein richtete Marissa einen Todesblick auf Camilo. "Was zur Hölle sollte das??", fragte sie und wäre ihm am Liebsten an den Hals gesprungen.

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. "Wir klären es einfach auf und die Sache ist erledigt."

"Oh, ich denke, du hast schon genug getan.", fauchte sie und schob ihn nach draußen. "Kümmere dich einfach um deine eigenen Angelegenheiten und halte dich von uns fern."

Bevor er noch irgendetwas sagen konnte, knallte sie die Tür hinter ihm zu. Verdammt nochmal. Sie wusste, dass sie ihren Vater über die Wahrheit aufklären sollte. Jedoch brach es ihr das Herz, schließlich hatte sie gesehen, wie glücklich ihn der Gedanke daran machte. Dieser verdammte Madrigal. Da hatte er ihr was tolles eingebrockt.

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Der Abend brach herein und Marissa klopfte zaghaft an die Schlafzimmertür ihres Vaters. Julieta hatte bereits vor einer Weile das Haus verlassen. Jedoch nicht, ohne nicht noch einmal mit der Brünetten über das gesprochene zu reden. Zwar hatte sie es verstehen können, wie es eigentlich gemeint war, war aber der Meinung, dass sie vorsichtig vorgehen musste, wenn sie es ihrem Vater erklären würde. Sein Zustand hatte sich weiter verschlechtert, auch wenn ihm die Nachricht über die vermeintliche Hochzeit kurzzeitig Kraft gegeben zu haben schien. Doch Marissa würde nicht drum herum kommen, das wussten sie. Also hatte sie die letzten Stunden damit zu gebracht, sich die richtigen Worte zu überlegen. Schonend, aber dennoch ehrlich.

"Herein!", ertönte es leise von drinnen und die Brünette trat in das Zimmer ihres Vaters ein.

"Hola Papá.", hauchte sie und schloss leise die Tür hinter sich. Ihr Vater lag in seinem Bett und lächelte sie an, doch es erreichte seine Augen nicht. "Wie gehts dir?", fragte sie, als sie sich auf der Bettkante nieder ließ. 

"Viel Besser, Ratoncito.", meinte er und nahm ihre Hand. Sie wusste, dass es nicht stimmte, sah sie es ihm doch an. Innerhalb eines Tages schien er um zehn Jahre gealtert zu sein. "Es tut gut, zu wissen, dass du in guten Händen sein wirst." Er drückte ihre Hand und seufzte. 

"Papá, was das angeht-", fing sie an, doch wurde von ihm unterbrochen.

"Alles, was ich immer wollte, ist zu wissen, dass du gut versorgt sein wirst, wenn ich eines Tages nicht mehr bin. Nicht allein versuchst, alles am Laufen zu halten, während dein Bruder in der Welt umher streift. Ohne Mutter, ohne Vater.", sagte er. Seine Wort schnürten ihr den Hals zu und Tränen sammelten sich in ihren Augen. So weit wollte sie doch gar nicht denken. Nicht jetzt und auch nicht sonst wann. Es würde ihm bald wieder besser gehen, da war sie sich sicher. Es war nur ein kleiner Schwächeanfall. In ein paar Tagen würde er wieder mit ihr unten stehen und sein berühmtes Maisbrot zaubern, während ihr nur allein bei dem Geruch das Wasser im Mund zusammen lief. Zumindest versuchte sie sich das einzureden. 

"Ratoncito.", fuhr er fort und nur dieser kleine Spitzname allein versetzte ihrem Herzen einen schmerzhaften Stich. "Ich wusste schon immer, dass das zwischen euch etwas ganz besonderes ist. Man hat euch schon sehr früh angesehen, was ihr für einander empfindet." 

Oh Papá, wenn du nur wüsstest, dachte sie sich und so gern wollte sie ihm die Wahrheit sagen, doch sie konnte nicht. So sehr wollten die Worte über ihre Lippen, die sie sich so mühsam zurecht gelegt hatte. Aber ihn hier so zu sehen und seine Hand zu halten.... Es ging einfach nicht.

"Oh Papá.", hauchte sie nur und schluchzte plötzlich. 

"Nicht weinen, Ratoncito.", lächelte er sie an und wischte eine Träne weg, die ihr über die Wange kullerte. "Es wird alles gut werden. Und jetzt geh ins Bett, morgen ist ein neuer Tag. Ein guter Tag."

Nuestro milagro, Unser Wunder (Camilo xOC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt