Dolores' Hochzeit

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Am nächsten Tag schien die ganze Stadt zu erstrahlen. Überall rankten die schönsten Blumen an den Häusern empor und der ganze Marktplatz war für die große Feier vorbereitet wurden. Für die halbe Stadt waren Tische und Stühle aufgestellt wurden, gedeckt mit strahlend weißen Tüchern, dutzenden Kerzen und wunderschönen Blumenbuketts in gelb und rot. 

Marissa stand in ihrem blaugrauen Kleid in der Nähe des Buffets. Dort hatte sie gerade die Hochzeitstorte abgestellt und wartete nun darauf, dass das glückliche Paar aus der Kirche kam. Sie freute sich sehr für Dolores und Mariano, die Beiden gaben ihrer Meinung nach wirklich ein gutes Paar ab und sie wünschte ihnen nur das Beste. 

Der Marktplatz füllte sich allmählich mit Menschen und dann war es endlich soweit. Die Türen der Kirche öffneten sich und die frisch Vermählten rannten förmlich die Treppe herunter. Breit grinsend kamen sie zum Stehen und wurden von allen laut bejubelt. Schmunzelnd stellte Marissa fest, dass Mariano seiner Frau die Ohren zu hielt, damit sie nicht die ganze Wucht traf. Als die Ausrufe der Freude langsam leiser wurden, zog der frisch gebackene Ehemann die junge Frau an sich und küsste sie vor aller Augen, was von einem erneuten Jubel begleitet wurde. 

Die Beiden setzten sich schließlich in Bewegung und Isabela ließ den ganzen Weg lang Blumenblüten auf sie herab regnen. Auch wenn Marissa nicht der sentimentale Typ war, was Hochzeiten betraf, so fand sie dies hier dennoch wunderschön.

Generell gefiel ihr die ganze Feier besser, als sie sich anfangs hätte vorstellen können. So kam es dann auch, dass sie, anstatt nur ein oder zwei Stunden, am Abend immer noch am Tisch saß und sich mit Isabela und Pepa unterhielt. Aus den Augenwinkeln sah sie Camilo mit seinem Tío Bruno am Buffet stehen. Die beiden schienen sich förmlich ein kleines Wettessen mit Julietas Arepas zu liefern. Zumindest bis Bruno sich zu seinem Neffen drehte und die Arme in die Luft hob, als würde er ihn gleich wie ein wildes Tier anfallen wollen. Dabei huschten einige seiner Ratten unter seinem Poncho hervor und nahmen die selbe Pose auf seinen Schultern ein. Erschrocken machte Camilo einen Satz zurück und ließ dabei sogar fast seinen Teller fallen. 

Marissa konnte ein lautes Lachen nicht unterdrücken und sicherte sich so die Aufmerksamkeit aller um sich herum. Schnell schlug sie sich eine Hand vor den Mund und versuchte sich zu beruhigen. Was jedoch nur mäßig gelang. Isabela und Pepa sahen sie verwirrt an, hatten sie anscheinend nicht mit bekommen, was sie so zum Lachen gebracht hatte. Bevor sie es hinterfragen konnten, schüttelte Marissa den Kopf und winkte ab. Schnell lenkte sie sie ab, indem sie das Gespräch, über die zukünftigen Kinder des jungen Ehepaares, wieder aufnahm.  

Es musste bestimmt auch schon das dritte Glas Wein sein, das sie hier in der Hand hielt, welches letztendlich dazu führte, dass sie sich von einem der jungen Männer aus dem Dorf auf die Tanzfläche ziehen ließ. Es zählte zwar nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, zumindest nicht in der Öffentlichkeit, aber wenn sie schon einmal hier war, warum dann nicht zumindest versuchen, sich zu amüsieren.

Aus einem Tanz wurden zwei und schließlich drei. Irgendwann hörte sie auf zu zählen. Sie wusste nur noch, dass sie zwischenzeitlich sogar mit Félix und Mariano tanzte. Auf der einen Seite tat es gut, so ausgelassen zu sein, auf der anderen Seite befürchtete sie fast, irgendwas davon morgen zu bereuen. 

Lachend ließ sie sich von Isabelas Vater zurück an den Tisch führen und beobachtete Bruno Madrigal und seine schwangere Frau, die sich eng umschlungen noch auf der Tanzfläche zum Rhythmus der Musik wiegten. Sie bekam nur am Rande mit, wie ein neues Glas Wein vor ihr abgestellt wurde. Gedankenverloren nippte sie daran.

"Wie spät ist es?", fragte Isabela schließlich und Abuela warf einen prüfenden Blick auf ihre Uhr.

"23:25 Uhr.", entgegnete die Ältere und Marissa wusste, dass es gleich Zeit für die "hora loca" war, die "verrückte Stunde". In dem Moment fühlt man sich wie auf einem Karneval. Man trägt schöne traditionelle Masken, Hüte und andere Schmuckstücke. Die angeheuerte Band begleitet diesen Abschnitt. Tanzspiele werden durchgeführt und es wird ganz viel Aguardiente getrunken.

Marissa kratzte sich am Kinn und stand auf. "Ich geh mir ein wenig die Beine vertreten.", sagte sie, was von den anderen nur mit einem Nicken zur Kenntnis genommen wurde. Vielleicht ergab sich ja die Gelegenheit, noch vor der hora loca unauffällig zu verschwinden. 

Die Brünette lief über den Marktplatz, der mittlerweile von Kerzen erleuchtet wurde und setzte sich auf den Rand des Springbrunnens, am anderen Ende. Der Wein hatte ihr die Hitze ins Gesicht getrieben und verwirrte ihre Gedanken. Denn nur so konnte sie es sich erklären, warum ein gewisser Lockenkopf nun in eben diesen herumspukte. 

"Na, schon die Nase voll?" Wenn man vom Teufel spricht.

Überrascht sprang Marissa auf und drehte sich zu Camilo, der wie aus dem Nichts neben ihr erschienen war. "Was willst du hier?", fragte sie ihn, doch ihre Stimme klang nicht ganz so genervt, wie sie es eigentlich sollte. 

Der Angesprochene zuckte nur mit den Schultern und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Einen Moment lang standen sie einfach nur schweigend da und sahen sich an.

Plötzlich breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. "Hätte nicht gedacht, dich mal wieder tanzen zu sehen." Schneller, als sie reagieren konnte, hatte er sie an der Hand gepackt und ran gezogen. "Warum tanzen wir nicht mal zusammen?"

Marissa spürte Hitze in sich auf steigen. Wut, da war sie sich eigentlich sicher. "Tut mir leid, aber ich will meine Füße noch eine Weile behalten.", entgegnete sie und trat einen Schritt zurück, ließ seine Hand aber nicht los.

"Komm schon!", sagte er und lachte, während er sie wieder heran zog. Sie war sich ganz sicher, dass auch er nicht gerade wenig von dem Wein hatte.

Genervt seufzte sie, ließ sich aber darauf ein. Wenn das die Bedingung dafür war, dass er sie den restlichen Abend in Ruhe ließ, dann würde sie so ein kleiner bedeutungsloser Tanz schon nicht umbringen. Langsam ließ sie sich von ihm führen und merkte gar nicht, wie ihre Körper sich mit jeder Bewegung noch näher kamen. Unwillkürlich musste sie feststellen, dass es ihr mehr Spaß machte, als sie je zugeben wollen würde. 

"Wie konnte es soweit kommen?", hörte sie ihn schließlich fragen, seine Stimme war nicht mehr als ein Hauchen. Irritiert sah sie zu ihm auf und sie blieben stehen, als er fort fuhr. "Warum tuen wir uns das selbst an?"

Marissa schüttelte den Kopf und trat einen kleinen Schritt zurück. "Das weißt du ganz genau.", sagte sie genau so leise wie er. Es war ihr egal, ob die Braut sie hören konnte, vermutlich wusste sie eh schon Bescheid.

Ungläubig sah er sie an. "Du meinst doch nic-"

"DOCH!", unterbrach sie ihn beinahe schreiend. Sie musste sich zusammenreißen, damit ihr nicht die Tränen in die Augen schossen.

"Por dios! Marissa! Das ist doch nichts gewesen!", versuchte er sich zu verteidigen und warf die Hände in die Luft.

"Nichts gewesen?", fragte sie ungläubig und ihre Augen füllten sich nun doch mit Tränen. "Du hast mich geküsst. Mit mir gespielt!"

Camilo lachte, aber es war kein glückliches Lachen. "Es war ein Kuss, ein einziger. Nicht mehr und nicht weniger."

Wenn er doch nur wüsste, was es damals für sie bedeutet hatte. Ja, sie waren noch fast Kinder gewesen, aber damals war sie in ihn verknallt und er hatte es gewusst. Ihre Gefühle ausgenutzt, nur weil er wissen wollte "wie es so ist". Marissa konnte darauf nichts erwidern, sah ihn einfach nur böse an.

"Oder willst du mir erzählen, dass DAS irgendwas zu bedeuten hat?", fragte er sie und noch ehe sie reagieren konnte, trat er an sie heran und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Ihr Herz machte einen Satz und fing an schneller zu schlagen, als er seine Lippen stürmisch auf die ihren presste.

Für den Bruchteil einer Sekunde war sie versucht, den Kuss zu erwidern. Doch sie widerstand. Stattdessen drückte sie ihn von sich und verpasste ihm reflexartig eine Ohrfeige.

Noch ehe Camilo realisieren konnte, was hier gerade eigentlich passiert ist, rannte sie davon und verschwand zwischen den Häusern.

Nuestro milagro, Unser Wunder (Camilo xOC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt