Kapitel 4

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Akiyoshi fühlte sich, als ob er am ganzen Körper in Flammen stünde. Kalter Schweiß lief ihm über die Stirn und zwischendurch glaubte er, jemanden seinen Namen rufen zu hören. Doch das war absolut unmöglich. Denn es gab niemanden, den er hier kannte. Er war allein und weit weg von Mikawa. Entfernt von seiner Familie, falls von diesen überhaupt einer lebte. Doch hatte sein Dienstherr ihm nicht versprochen, sich um sie zu kümmern? Wenn Akiyoshi einem Menschen vertraute, dann ihm. Obwohl es viele Leute gab, die seinem Herren nicht wohl gesonnen waren, geschweige denn ihn verstanden. Dennoch hatte er gelernt, hinter die Fassade zu blicken, die sein Dienstherr trug. So waren dieser und Akiyoshi beinahe etwas wie Freunde oder zumindest Vertraute geworden. Was wohl geschah, falls er nicht zurückkommen konnte?
 »Akiyoshi-sama!«, hörte er wieder jemanden seinen Namen rufen. »Könnt Ihr mich hören? Falls ja, gebt mir bitte ein Zeichen!«

Er runzelte die Stirn. Warum klang die Person, die mit ihm sprach, so verzweifelt? Dazu gab es keinen Grund oder doch? Und wer war das überhaupt?
 »Akiyoshi-sama, Ihr seid ein Kämpfer, oder nicht? Also kämpft dagegen an. Von so einer Kleinigkeit werdet Ihr Euch doch nicht geschlagen geben!«
 Akiyoshi glaubte kaum, dass dieses Feuer, welches sein Körper zu verschlingen drohte eine Kleinigkeit war. Doch wer auch immer das war, der da mit ihm sprach, hatte Recht. Er durfte sich nicht geschlagen geben. Er musste einen Auftrag erfüllen und-
 »Shiori, ich glaube kaum, dass wir ihn noch retten können. Nicht nachdem er...«
 »Nein! Das akzeptiere ich nicht!«

Akiyoshi runzelte die Stirn. Shiori? Diesen Namen hatte er schon einmal gehört. Doch wo? Es wollte ihm nicht einfallen. Aus irgendeinem Grund aber, sagte ihm ein Gefühl, dass es wichtig war, sich daran zu erinnern. Er spürte wie jemand nach seiner Hand griff. Mühsam versuchte er, seine Augen zu öffnen. Selbst wenn seine Lider sich anfühlten, als seien sie mit Blei gefüllt. So wie die alles zerstörenden Feuerwaffen, die die Barbaren mitbrachten. So schwer es war, die Augen zu öffnen, es gelang ihm, wenngleich unter größter Anstrengung.
 »Akiyoshi-sama!« Über ihn beugte sich ein junges Mädchen, welches ihn erleichtert und glücklich an sah. »Könnt ihr mich sehen? Oder hören? Vielleicht sogar beides?«
 Akiyoshi nickte. Dann kam langsam wieder die Erinnerung zurück, an das, was geschehen war. Er wurde angegriffen und sie hatte ihn gefunden und ihm geholfen. Wie lang war das jetzt her? Ein paar Stunden? Minuten? Und wo war er hier überhaupt? »Shiori?«
 »Ja! Genau!« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Sie half ihm, sich aufzusetzen. »Dann erinnert Ihr Euch also?«
 »Ich weiß nicht genau.« Er versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln. Was ihm eher schlecht als recht gelang. Er stöhnte auf. »Götter, mein Kopf schmerzt...«
 »Wenn es nur das ist, könnt Ihr von Glück reden«, erklang eine Männerstimme.

Akiyoshi blickte auf und sah in das Gesicht eines Mannes in weit fortgeschrittenem Alter, der ihn skeptisch musterte. Er trug bäuerliche aber saubere Kleidung und sah wie ein Mann mit Stolz aus.
 »Ihr seid dann also Hasegawa Akiyoshi aus Mikawa?«, fragte der Mann ihn.
 Akiyoshi nickte und sah zu Shiori.
 »Dies ist mein Großvater«, antwortete diese auf seine unausgesprochene Frage.
 »Mein Name ist Hashimoto Tatsuo«, stellte Shioris Großvater sich mit einer knappen, aber höflichen Verbeugung vor.
 Akiyoshi erwiderte sie, so gut es ihm möglich war. »Wo bin ich?«
 »In meinem Haus«, antwortete Tatsuo. »Shiori hat Euch vor fünf Tagen hierher gebracht.«
 »Fünf Tage?« Akiyoshi starrte beide ungläubig an. »Ihr macht Witze!«
 Shiori schüttelte den Kopf. »Wir waren wirklich sehr in Sorge um Euch«, meinte sie. »Umso erleichtert sind wir, dass Ihr heute endlich aufgewacht seid.«
 »Es tut mir sehr Leid, dass ich Euch Umstände gemacht habe«, wandte sich Akiyoshi an Tatsuo. »Ich habe leider nichts bei mir, mit dem ich Euch entschädigen könnte.«
 »Das ist doch nicht nötig. Wir-«, setzte Shiori an, wurde aber sofort von ihrem Großvater unterbrochen.
 »Erholt Euch einfach so schnell möglich und reist weiter«, knurrte er. »Wir hätten Euch wohl kaum einfach liegen lassen können.«
 »Shiori hat mir erzählt, dass Ihr ein Samurai wart«, sagte Akiyoshi, merkte aber schon, während er sprach, dass er das besser nicht getan hätte.
»Wie alt seid Ihr Hasegawa-san?«, erkundigte Tatsuo sich grimmig.
 Akiyoshi schluckte. Auf einmal fühlte sich sein Mund trocken an. »Vor drei Monaten bin ich dreiundzwanzig geworden.«
 »Und wie alt ist Euer Dienstherr? Dreißig? Vierzig?«, erkundigte sich Tatsuo und blickte ihn herausfordernd an.
 Akiyoshi, den ein ungutes Gefühl beschlich, biss sich kurz auf die Lippe. »Vierundzwanzig Jahre«, antwortete er.
 Tatsuo schnaubte. »Ihr scherzt.«
 Akiyoshi schüttelte den Kopf. »Nein.«
 »Nun, dann ist Euer Dienstherr wohl nicht viel mehr als irgendein Emporkömmling einer einflussreichen Familie«, knurrte Tatsuo. »Was die Bedeutung des Bushido wirklich ist, ist Knaben wie euch wohl kaum bewusst.«
 »Großvater... Bitte.« Das war Shiori.
 Akiyoshi dagegen musste an sich halten, um nicht wütend aufzuspringen und Tatsuo zu einem Duell zu fordern. Was in Anbetracht seiner eigenen Verfassung kaum eine gute Idee wäre.
 »Schon gut.« Tatsuo winkte ab. »Ich setze uns mal einen Tee auf. Das ist jetzt wahrscheinlich das Beste.« Er wandte sich zum Gehen um.
 »Nur damit Ihr es wisst Hashimoto-sama: Mein Vater ist schon seit langer Zeit ein Ronin«, sagte Akiyoshi. »Meine Mutter ist eine Tochter eines verarmten Kaufmanns. Die Familie von mir ist also alles andere als einflussreich. Dass ich jetzt einen Dienstherrn habe ist ebenfalls mehr Glück und Zufall.«
 »Das ganze Leben besteht aus Glück und Zufall«, meinte Tatsuo.
 »Das stimmt«, pflichtete Akiyoshi ihm bei. »Aber bitte seht ihn Zukunft davon ab schlecht über meinen Dienstherrn zu sprechen. Vor allem da Ihr nicht einmal wisst, wer er überhaupt ist.«
»Ihr könntet mir ja sagen, wer er ist«, schlug Tatsuo vor. »Auch wenn ich nicht glaube, dass das meine Meinung ändern wird.«
 »Großvater...« Shioris Stimme klang eindeutig ermahnend. »Wolltest du nicht Tee machen?«
 »Das darf ich leider nicht. Zumindest nicht, solange ich meinen Auftrag noch nicht beendet habe. Zu viel steht auf dem Spiel.«
 »Das habe ich mir gedacht«, entgegnete Tatsuo. »Wie auch immer. Shiori hat Recht. Ich mache uns jetzt besser einen Tee. Wir wollen schließlich, dass es Euch bald wieder besser geht. So dass Ihr bald wieder Eure Reise fortsetzen könnt.«

»Nehmt es ihm bitte nicht übel. Er meint es nicht so«, sagte Shiori entschuldigend zu Akiyoshi.
 »Doch ich denke schon«, meinte dieser. »Aber mach dir keine Sorgen deshalb. Ich bin kaum in der Verfassung ihn zu einem Duell zu fordern.«
 »Da habt Ihr Recht.« Wieder lächelte Shiori. Diesmal sah es gezwungener als vorhin aus.  »Außerdem würde ich das nicht zulassen.«
 »Das verstehe ich. Immerhin ist er deine einzige Familie.«
 »Nicht nur deswegen. Es gibt noch viele weitere Gründe.« Shiori setzte sich neben ihn. »Was ist mit Euch? Eure Familienverhältnisse scheinen ebenfalls nicht so einfach zu sein.« Sie klang neugierig.
 »Nicht einfach ist eine Untertreibung.« Er verzog das Gesicht. »Es ist kompliziert. Und selbst das ist noch eine milde Umschreibung.«
 »Dann seid Ihr also der einzige Sohn?«, fragte Shiori.
 »Ich habe... Nein, das stimmt nicht. Ich hatte einen älteren Bruder. Jetzt habe ich nur noch eine jüngere Schwester. Sie ist elf.« Er wusste selbst nicht, warum er ihr das erzählte.
 »Oh, das tut mir leid. Entschuldigt bitte.« Sie sah ihn betroffen an.
 »Schon in Ordnung.« Akiyoshi winkte ab. »Ich war also fünf Tage hier? Stimmt das?«
 Shiori nickte. »Ja. Ihr seid vom Pferd gefallen und danach hatte Euch das Fieber die nächsten Tage fest im Griff. Es stand sehr schlecht um Euch. Wir... Ich habe mir sehr große Sorgen gemacht.«
 »Vom Pferd gefallen?« Akiyoshi verzog das Gesicht. »Ich muss wohl keinen guten Eindruck bei dir hinterlassen haben.«
 »Niemand macht einen guten Eindruck wenn er krank ist«, entgegnete Shiori. »Das könnt Ihr mir glauben.«
 »Auch wieder wahr.« Er nickte. »Was ist mit meinem Pferd? Ist er wieder weg gelaufen?«
»Nein, ich habe ihn in die Scheune gebracht und versorgt. Es geht ihm gut.«
»Danke.« Akiyoshi verbeugte sich vor ihr.
»Ich habe nur getan, was jeder andere auch getan hätte«, sagte Shiori. »Ihr könnt es mir zurückzahlen indem Ihr schnell wieder gesund werdet.«
»Damit ich so bald wie möglich abreise?« , wollte Akiyoshi wissen.
Shiori schüttelte den Kopf. »Damit es Euch so schnell wie möglich wieder besser geht. Ich hätte nichts dagegen, wenn Ihr noch eine Weile hier bleibt.«
 »Ich bin nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist«, meinte Akiyoshi. »Ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Einen sehr wichtigen. Und die Leute, die mich angegriffen haben-«
 »Könnten zurück kommen, ich weiß«, fiel sie ihm ins Wort. »Es ist nur so... Hier ist es mir oft langweilig. Die nächste Stadt ist weit entfernt und unser Dorf sehr klein, wisst Ihr?«
 »Du solltest das zu schätzen wissen. Gerade in so unruhigen Zeit wie jetzt. Es ist ein Glück und auch ein Wunder, dass ihr hier bisher von dem Chaos rings umher verschont geblieben seid.« Ohne darüber nachzudenken strich er ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hinter ihr Ohr. »Du solltest beten, dass das so bleibt.«
 »Zuerst ist es mir wichtiger, dass Ihr gesund werdet«, sie lächelte. Diesmal war es wieder ein ehrliches Lächeln. »Und wenn Ihr mir von Dingen erzählt, die Ihr bisher so erlebt habt, würde ich mich sehr freuen.«
 »Ich habe doch schon gesagt, dass ich nichts von meinem Auftrag erzählen darf«, erinnerte er sie.
 »Das habe ich doch auch gar nicht verlangt, oder? Ich will nur ein paar Dinge wissen, die Ihr so erlebt habt. Oder was Ihr sonst so getan habt.« Sie zwinkerte ihm zu. »Oder Ihr erzählt mir von Eurem Dienstherr. Seinen Namen müsst Ihr mir ja nicht nennen, wenn Ihr nicht wollt.«
 »Bist du immer so neugierig?«, erkundigte er sich bei ihr.
 Shiori lachte. »Das merkt Ihr erst jetzt? Dabei hatte ich Euch doch schon vorgewarnt.«
 »Hab ich wohl vergessen.« Er seufzte. »Aber gut. Ein kleines bisschen kann ich erzählen. Doch erwarte nicht, dass ich auf jede Frage von dir antworte. Du lebst ruhig hier und auch wenn du es dir wünschst, dass das anders ist: Es ist besser so. Doch wenn du zu viel von mir weißt, könnte sich das allzu schnell ändern.«
 »Soll das heißen, dass Ihr doch nicht solch ein Ehrenmann seid, wie ich bisher dachte?«, zog sie ihn auf.
 »Ich schon, aber nicht die Männer, die mich tot sehen wollen«, entgegnete er ernst auf ihre Frage, ohne die Miene zu verziehen, obwohl er wusste, dass sie scherzte. »Und das sind nicht einmal die Einzigen, die gefährlich sind. Das kannst du mir glauben.«
 Für einen Moment zögerte Shiori. Dann aber straffte sie die Schultern. »Das glaube ich Euch auch. Doch Angst hilft keinem weiter. Warum also nicht das Leben genießen solange man es hat?«
 »Du kannst das leicht. Doch es gibt Dinge auf dieser Welt, die sich nicht so einfach lösen lassen«, sagte Akiyoshi. »Meine Erfahrung, die ich im Laufe der Zeit immer wieder gemacht habe ist, dass je näher Menschen einem stehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass man von ihnen verletzt wird. Egal ob man das nun will oder nicht. Und ich möchte nicht, dass du verletzt wirst wegen mir.«
 »Ihr scheint es nicht zu wissen Akiyoshi-sama, aber manchmal ist es das wert«, sagte Shiori. »Das wiederum weiß ich aus Erfahrung.«
 »Also gut.« Akiyoshi seufzte. »Ich habe dich gewarnt, mehr kann ich nicht tun.«
 »Stimmt.« Sie nickte. »Und jetzt fangt endlich zu erzählen an.«


Der letzte Gruss des SamuraiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt