Kaum das Akiyoshi den Stall betrat, begrüßte ihn ein erfreutes, wie freundliches Wiehern. Er lächelte, als er Hoshi entdeckte. »Hey, wir beide haben uns zu lange nicht mehr gesehen, was? Tut mir leid, mein Großer.«
»Er scheint sich wirklich sehr zu freuen, Euch zu sehen«, bemerkte Shiori. »Gehört er Euch schon lange?«
Er schüttelte den Kopf. »Du missverstehst da etwas.« Akiyoshi er klopfte dem Hengst den Hals. »Hoshi gehört mir nicht nur, sondern er ist viel mehr mein Partner. Hab ich Recht?«
Als hätte Hoshi seine Frage verstanden, nickte der Hengst mit dem Kopf.
»Siehst du?«, fragte Akiyoshi. »Da hörst du es.« Er grinste sie an. »Um aber nochmal zu deiner Frage zurückzukommen: Mein Meister hat ihn mir anvertraut«, erklärte er. »Mit den Worten, dass ein so verrückter Samurai, wie ich, wohl mit einem verrückten Pferd wie ihm gut klar komme.«
»Das hört sich nicht gerade nach einem Kompliment an.« Shiori zog eine Braue in die Höhe.
»Ich habe es als eines genommen«, entgegnete Akiyoshi. »Außerdem bin ich mir sicher, dass mein Meister es auf so gemeint hat. Er ist manchmal schwer zu durchschauen. Auch wenn er Sachen macht, die anderen unkonventionell erscheinen mögen oder egoistisch. So habe ich doch noch niemanden kennengelernt, der mehr an andere Leute denkt, als er.« Er sah Shiori an. »Nun, vielleicht ausgenommen von dir.«
»Wie meint Ihr das?«, erkundigte diese sich bei ihm.
»Ich will nicht undankbar klingen, denn natürlich bin ich dankbar, dass du mir geholfen hast. Doch ich hoffe wirklich, dass dich dein unvoreingenommener Charakter nicht in Schwierigkeiten bringt«, sagte er.
»Ich weiß.« Shiori nickte zu seiner Überraschung. »Aber zu versuchen das Gute in Menschen zu sehen, ist doch nichts Schlechtes, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, da hast du Recht«, stimmte er ihr zu. »Dennoch, solltest du vorsichtig sein. Es gibt genug Leute, die jemanden wie dich ausnutzen. Wenn du wüsstest was ich alles schon für Menschen getroffen habe, würdest du-«
»Es ist jetzt auch nicht so, dass ich jedem, der mir vor die Füße fällt bedingungslos helfe«, unterbrach sie ihn. »Mal ganz abgesehen davon, dass die meisten, die ich verarzte aus unserem Dorf sind und ich sie schon kenne seit ich klein bin.«
»Da du es gerade ansprichst, ich wollte dich noch etwas diesbezüglich fragen«, meinte Akiyoshi. »Du kennst deine Eltern wirklich nicht? Weißt noch nicht einmal irgendwas über sie?«
Nun war sie es, die den Kopf schüttelte. »Nein, nichts. Großvater vermeidet das Thema und ich habe es schon lange aufgegeben, mehr von ihm zu erfahren.«
»Verstehe.« Er nickte. »Schade.«
»Ja, das stimmt«, stimmte sie ihm zu. »Doch selbst wenn ich etwas wüsste, würde es sicher nichts für mich ändern. Immerhin waren es meine Eltern, die mich verlassen haben.«
»Womöglich hatten sie keine andere Wahl«, dachte Akiyoshi laut nach. »Familien werden aus den seltsamsten Gründen getrennt, nicht über alle können sie selbst entscheiden.«
»Das kann sein.« Shiori nickte. »Trotzdem. Was bringt es schon darüber nachzudenken? Nichts. Oder hat Euch mein Großvater etwas erzählt, das ich wissen sollte?«
»Nein«, antwortete Akiyoshi. Vielleicht zu schnell. »Da ist nichts.«
»Wie auch immer.« Shiori seufzte und strich Hoshi sanft über die Nüstern, was dieser mit einem Schnauben quittierte. »Wie wäre es mit einem kleinen Ritt? Ich könnte Euch das Dorf zeigen.«
»Du sagst das aber nicht nur, weil du eine Ausrede haben willst, um wieder zu reiten, oder?«, erkundigte er sich bei ihr.»Nein, niemals«, wehrte sie ab. »Das würde mir doch niemals einfallen.«
»Natürlich nicht.« »Ich meine, klar. Wir könnten auch zu Fuß runter ins Dorf gehen, doch es wird vermutlich etwas dauern bis wir wieder hierher zurück kommen. Wenn wir reiten aber nicht ganz so sehr. Abgesehen davon, wird es Eurer Wunde nicht gut tun, wenn Ihr Euch so viel bewegt. Also-«
»Ich verstehe schon.« Akiyoshi seufzte. »Du versuchst mich lediglich mit bestehenden Tatsachen zu überzeugen«, meinte er. »Nichts davon hat damit zu tun, dass du reiten willst.«
»Natürlich nicht«, wiederholte sie, was er zuvor sagte, doch das Grinsen auf ihren Lippen strafte ihrer Worte Lügen. »Also gut. Ich bin einverstanden.« Akiyoshi gab auf. »Aber auf deine Verantwortung. Nicht, dass dein Großvater mir nachher eine Standpauke hält.«
»Keine Sorge, ich werde Euch heldenhaft retten, falls das passieren wird«, versprach sie ihm und ihr Grinsen wurde noch ein Stückchen größer. »Jetzt sollten wir aber so langsam los, sonst sind wir wirklich nicht vor der Dämmerung zurück.«
Akiyoshi nickte. Seine Hand wanderte zu seinem Obi, an dem er, bevor er mit Shiori hierher gegangen war, sein Katana und Wakizashi befestigt hatte. Ganz so, wie es sich eben für einen Samurai gehörte. Sein Tanto, ein kurzer Dolch, befand sich dort, wo er ihn zurückließ. Nämlich am Sattelzeug.
»Ihr werdet Eure Waffen wohl kaum benötigen«, meinte Shiori, der seine Geste nicht entging.
Da war er sich nicht so sicher. Es konnte immer noch sein, dass sich die Banditen, die ihn überfallen hatten, sich in der Nähe dieses Dorfes aufhielten. Außerdem würde es ihm seltsam vorkommen, wenn er seine Waffen hier zurückließ.
»Aber ich werde Euch natürlich nicht aufhalten«, fuhr sie fort. »Es könnte nur sein, dass Ihr bei den Dorfbewohnern, auf welche wir treffen, misstrauisch beäugt werden.«
Damit konnte er leben. Vor allem deshalb, weil er in ein paar Tagen ohnehin nicht mehr hier sein würde.Shiori sollte Recht behalten. Kaum, dass sie unten im Dorf ankamen, erntete Akiyoshi skeptische Blicke. Einige wenige der Dörfler blickten ihn sogar offen feindselig an. Samurai waren hier wohl alles andere als gern gesehen.
»Ihr dürft es ihnen nicht übel nehmen«, bat Shiori ihn, nachdem sie von ihrem Pferd abstieg. »Es sind keine bösen Menschen, doch sie kennen kein anderes Leben. Das hier ist alles, was sie haben.«
»Willst du damit sagen, dass sie glauben, dass ich es ihnen wegnehme?«, erkundigte er sich.
»Die meiste Zeit hier, kümmern sich die hohen Herren nicht um uns, das stimmt.« Shiori nickte. »Aber wir alle wissen, dass es Samurai gibt, die sich nicht um Gesetze kümmern.« Sie seufzte. »Wusstet Ihr, dass es nicht einmal streng bestraft wird, wenn ein Samurai jemanden, wie einen Bauer hier tötet?«
Akiyoshi nickte. »Ja, das ist mir bekannt. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich so etwas tun würde.« Er hielt kurz inne und dachte nach. »Obwohl die Männer, die mich überfallen haben, das vermutlich anders sehen.«
»Seht Ihr?« Shiori seufzte. »Leider kann man den Menschen nicht immer ansehen, was sie gerade denken.«
»Das ist wahr«, bestätigte er. »So geht es mir zum Beispiel mit dir.« Eigentlich wollte er das gar nicht sagen. Doch jetzt war es zu spät.
»Ich bin doch nicht schwer zu durchschauen«, entgegnete Shiori und blickte ihn überrascht an. »Das Einzige was ich will, ist, Menschen helfen, die Hilfe brauchen. Und ein anderes Leben, als täglich die immer selben Abläufe zu wiederholen und dann eines Tages zu sterben, ohne irgendwas erreicht zu haben. So viel sollte mir doch auch vergönnt sein, nicht wahr?«
Akiyoshi wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Wenn er ihr zustimmte, ermutigte er sie womöglich darin, von hier aufzubrechen. Wodurch sie, wenn sich nicht aufpasste, in Gefahr geraten könnte. Andererseits: Er verstand nur allzu gut, warum sie von hier fort wollte. Er selbst würde es hier allerdings ebenfalls nicht lange aushalten. Das musste er glücklicherweise auch nicht.
»Ist schon gut. Ihr müsst mir nicht darauf antworten«, meinte Shiori. »Ich weiß, dass ich mich nicht beschweren sollte. Das könnt Ihr mir glauben, Akiyoshi-sama. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich für immer hier bleibe. Eines Tages, werde ich reisen. Bis dahin werde ich mich aber noch in Geduld üben müssen, auch wenn das nicht einfach ist.«
Akiyoshi verstand, was sie meinte, auch wenn sie es nicht aussprach. Eines Tages, wenn ihr Großvater nicht mehr lebte. Dass sie ihn liebte, daran gab es für ihn aber trotzdem keinen Zweifel. »Mit Geduld, kann man viel erreichen«, entgegnete er also. »Oft sogar mehr, als man denkt.«
»Das sehe ich auch so.« Shiori nickte und lächelte kurz. »Jetzt kommt mit. Ich möchte Euch etwas zeigen.«
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Der letzte Gruss des Samurai
Historical FictionJapan im März 1567, Zeit der streitenden Reiche. Gerade als Akiyoshi seinen Tod akzeptiert hat, rettet die junge Shiori ihm das Leben. Obwohl er sich zu ihr hingezogen fühlt weiß Akiyoshi, seines Zeichen Samurai, dass er nun da er überlebt hat, sein...