Kapitel 19

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»Ich glaube, ich muss mich übergeben«, war das Erste, was Shiori sagte, nachdem sie nach langer Zeit durch galoppieren vorläufig ihre Verfolger abgehängt hatten.
  Akiyoshi lächelte mitfühlend. »Wir dürfen nicht anhalten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie uns wieder eingeholt haben.«
  »Ach komm schon«, mischte sich Ludwijk ein. »Shiori ist kreidebleich. Unsere Pferde brauchen nach diesem Höllenritt auch Ruhe. Ein oder zwei Stunden werden sicher in Ordnung sein.«
  Akiyoshi seufzte. Dennoch wusste er, dass es stimmte, was Ludwijk sagte. Es brachte nichts, wenn ihre Pferde unter ihnen zusammen brachen oder Shiori vor Erschöpfung vom Pferd stürzte. »Einverstanden. Zwei Stunden. Aber nicht länger. Jedoch nicht auf dem offenen Feld, wo wir sofort gesehen werden können. Wir suchen uns einen sicheren Unterschlupf. Das schaffst du bestimmt noch, oder?«
  »Nur, wenn wir nicht mehr galoppieren«, antwortete sie. »Ansonsten nicht.«
  Das nächste Seufzen, das sich bei ihm anbahnte, tarnte Akiyoshi als Hüsteln. »Also gut.« Er versuchte sich noch einmal an einem Lächeln. »Du hast bisher erstuanlich gut mitgehalten«, lobte er sie dann. »Trotz allem was passiert ist.«
  »Danke.« Shiori erwiderte sein Lächeln matt. »Aber du hast Recht gehabt: Spaß macht es nicht.«
  »Das habe ich auch niemals behauptet«, entgegnete Akiyoshi stirnrunzelnd.
  »Ich weiß.« Shiori nickte. Sie schwang sich von dem Rücken ihres Pferdes. »Es tut trotzdem weh.«
  Akiyoshis Stirnrunzeln vertiefte sich. Auch er stieg nun ab. Er wollte etwas sagen, doch sie kam ihm zuvor.
  »Weißt du, ich habe mir gewünscht, dass etwas passiert, das diese Lethargie in unserem Dorf unterbricht. Dann bist du aufgetaucht und auch wenn ich zuerst erschrocken bin, habe ich mich sehr gefreut.« Sie seufzte. »Ich mag dich, das ist dir inzwischen bestimmt klar. Aber trotzdem«, Shiori atmete tief durch, konnte aber das Zittern in ihrer Stimme nicht verhindern. »Irgendwie kann ich nicht verhindern, mir zu wünschen, dich nie kennengelernt zu haben. Vielleicht wäre dann all das nicht passiert.«
  Akiyoshi fühlte sich für einen Moment, als ob jemand ihm ein Dolch ins Herz gerammt hätte. Trotzdem kam er nicht umhin sich genau dasselbe zu fragen.
  »Ich weiß auch, dass es dir gegenüber nicht gerecht ist, so zu denken, oder zu wünschen.« Nun kamen ihr doch die Tränen.
  »Shiori.« Er fühlte sich zunehmend hilfloser. »Bitte, du musst dich nicht entschuldigen«, meinte er, um überhaupt irgendetwas zu ihr zu sagen. »Ich weiß wie es sich anfühlt, einen Menschen zu verlieren, der einem nahe steht.«
  »Um genau zu sein, besteht eine Möglichkeit, dass dein Großvater noch lebt«, mischte sich Ludwijk ein. »Allerdings eine eher kleine.«
  Shiori biss sich auf die Lippen. Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nett, dass du das zu mir sagst Ludowiku-san. Aber ich glaube kaum, dass dies der Fall ist. Trotzdem danke.«
  Ludwijk lächelte ihr zu. »Ist schon gut.« Er sah zu Akiyoshi. »Da ist etwas zwischen euch beiden, ja?«, wollte er wissen.
 Akiyoshi antwortete nicht. Doch das war gar nicht nötig.
  »Habe ich mir schon gedacht, als ich euch zum ersten Mal zusammen gesehen habe«, fuhr Ludwijk fort. »Ihr gebt aber auch wirklich ein schönes Paar habt.«
  »Ein schönes Paar?«, wiederholte er und sah ihn irritiert an. »Wir sind nicht wirklich...«
  Ein Blick voller Unverständnis traf ihn.
  »Was?« Akiyoshi sah hilfesuchend zu Shiori.
  Diese verzog das Gesicht. »Also eigentlich dachte ich auch dass wir etwas sind, das über Freunde hinaus geht«, meinte Shiori langsam. »Das Wort Paar würde ich allerdings auch nicht unbedingt benutzen.«
  »Da hörst du es«, sagte er zu Ludwijk.
  Dieser zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. »Wenn ihr meint.«
  »Ja, tun wir.« Akiyoshi nickte nachdrücklich. »Aber jetzt lasst uns endlich einen geeigneten Rastplatz suchen. Oder ist es euch lieber, dass wir uns hier weiter die Beine in den Bauch stehen? An einem Ort, wo uns auch noch jeder sehen kann.«

Bis sie einen, in Akiyoshis Augen, geeigneten Platz fanden, wo sie ihr Lager aufschlugen, dauerte es dann aber doch noch mindestens eine Stunde Ritt. Selbst wenn er es nicht laut sagte. Er konnte nicht abstreiten, dass er nach allem, was passierte, ebenfalls müde war.
  »Ich übernehme die erste Wache«, teilte er Ludwijk und Shiori trotzdem mit. Er sah Ludwijk direkt an. »Du schuldest mir noch eine Erklärung, was du hier so weit weg von Mikawa zu suchen hast«, erinnerte er ihn.
 »Ich hatte schon gehofft, dass du vergessen wirst mich danach zu fragen.« Dieser seufzte.
  »Nein, habe ich nicht. Sondern nur verschoben«, entgegnete er. »Das hättest du dir aber auch denken können.«
  »Habe ich.« Erneut seufzte Ludwijk. »Ich habe mich schon fast angefangen zu wundern und zu freuen.«
  »Da hast du dich wohl ein wenig zu früh gefreut«, meinte Akiyoshi. Er sah hinüber zu Shiori. »Wenn du willst, kannst du dich schonmal hinlegen und eine Runde schlafen.«
  »Ich bin zwar müde«, gab diese zu »aber mich interessiert auch warum Ludwijk hier ist.«
  Das hatte er befürchtet. »Also schön.« Er verzog kurz das Gesicht. »Es ist schließlich nicht so, dass es dich noch mehr in Gefahr bringen könnte, als wir ohnehin schon sind.«
  Shiori blinzelte irritiert. Dann blickte sie hinüber zu Ludwijk. »Ist es denn etwas schlimmes?«, wollte sie wissen.
  Der zuckte die Schultern. »Kommt auf die Betrachtungsweise an, denke ich?«
  »So schlimm wird es schon nicht sein«, meinte Shiori. »Oder?«
  »Das werden wir dann sehen«, entgegnete Akiyoshi brummig. »Also, was gibt es? Weshalb bist du hier?«
  Ludwijk holte tief Luft, räusperte sich. Dass ihm nicht wohl bei der ganzen Sache war, war ihm deutlich anzusehen. »Also eigentlich wäre ich jetzt am liebsten in Mikawa. Aber wie du siehst bin ich hier...«
  »Ich bin ja nicht blind.« Akiyoshi sah ihn auffordernd an. »Und wieso bist du nun hier?«
  »Na ja.« Ludwijk räusperte sich erneut. »Ich muss einem Freund helfen, der in Problemen steckt.«
  Akiyoshi zog eine Braue in die Höhe. »Was für ein Freund? Ich dachte, ich bin der einzige den du hier kennst.«
  Ludwijk biss sich kurz auf die Lippen, dann seufzte er. »Het is niet zo eenvoudig uit te leggen.«
  »Wie bitte?« Das war Shiori, die seit einer ganzen Weile nur zugehört hatte.
  »Er meint, dass es nicht so einfach zu erklären ist«, übersetzte Akiyoshi für sie. »Warum nicht?«, wollte er dann von Ludwijk wissen. »Versuche es doch. Vielleicht verstehe ich es ja.«
  »Also gut. Ich glaube, du wirst sowieso keine Ruhe. Habe ich Recht?«, erkundigte sich Ludwijk, obwohl die Antwort für sie alle auf der Hand lag.
  Akiyoshi nickte. »So ist es.«
  »Ich bin ebenfalls neugierig zu erfahren, was dich hierher geführt hat Ludowiku-san«, mischte sich Shiori ein. »Ich habe nämlich eigentlich noch nie Fremdländer hier in der Gegend gesehen.«
  »Das glaube ich dir sofort«, meinte Ludwijk. »Es wird uns aber auch nicht gerade leicht gemacht, uns hier im Land zu bewegen.«
  »Es ist selbst für die Einwohner Japans nicht leicht«, merkte Akiyoshi an. »Immerhin leben wir in unruhigen Zeiten, wie du inzwischen ja auch schon erkannt hast. Jetzt lenke nicht weiter vom Thema ab, sondern erzähl mir und Shiori endlich was passiert ist«, drängte er ihn. »So schlimm kann es doch nicht sein, oder?«
  »Nun, ich denke das kommt ganz auf den Blickwinkel an?« Es klang mehr nach einer Frage, denn einer richtigen Antwort.
  »Was meinst du damit?« Akiyoshis Augen verengten sich zu Schlitzen.
  »Nun ja...« Ludwijks Blick wanderte in Richtung Boden.
  »Jetzt sag endlich, dir ist doch wohl hoffentlich klar, dass du es nicht besser machst, wenn du es heraus zögerst, oder nicht?« So langsam wurde Akiyoshi ungeduldig. »Im Gegenteil.«
  »Ich weiß.« Ludwijk seufzte. Dann räusperte er sich. »Also pass auf, es ist so ...«


Der letzte Gruss des SamuraiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt