Shiori musterte Kazuyori von oben bis unten. Auf sie machte er bisher keinen unfreundlichen Eindruck. Im Gegenteil. Stattdessen wirkte er auf sie, wenn überhaupt, ein wenig ungeduldig. Seine Augen funkelten und es viel ihr schwer zu sagen, ob dies an seiner Ungeduld lag oder ob er einfach nur angriffslustig war.
»Ihr seid da, um uns zu begleiten? Habe ich das richtig verstanden?«, erkundigte sie sich. »Und was ist der Imagawa Clan? Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
»Ja, so ist es«, antwortete Kazuyori. »Wir werden mit euch reiten. Das ist entschieden. Selbst dann, wenn ihr es nicht wollt.« Er seufzte. »Was nicht bedeutet, dass es mir und meinen Leuten Spaß macht, den Aufpasser für euch drei zu spielen.«
Shiori fiel auf, dass Kazuyori ihrer Frage auswich. Daher drehte sie sich zu Akiyoshi um und blickte ihn mit hochgezogener Braue an. Dass dieser verstand, wovon Akiyoshi sprach, war ihr nicht entgangen.
»Na schön. Dann reitet eben mit uns«, meinte er. »Davon bin allerdings auch ich nicht begeister.«
»Hab ich schon gemerkt«, entgegnete Kazuyori. »Ihr müsst mir übrigens nicht sagen, was euer Ziel ist. Auch darüber bin ich informiert. Obwohl ich es sehr bezweifle, dass Hattori alle von euch empfangen wird.« Ein spöttisches Grinsen schlich sich auf seine Lippen.
»Damit bin dann wohl ich gemeint«, knurrte Ludwijk.
Akiyoshi dagegen zuckte mit den Schultern. »Das sehen wir, wenn es dann soweit ist.« Er sah zu Shiori. »Fühlst du dich fit genug, um weiter zu reiten?«
Sie nickte, auch wenn das nur halb der Wahrheit entsprach. Doch Kazuyori hatte sie neugierig genug gemacht, um ihre Müdigkeit zu vergessen. Der, wenngleich nur kurze, Schlaf vorhin tat ihr ebenfalls gut. »Von mir aus kann es weiter gehen.«
»Gut. Dann macht euch darauf gefasst, dass wir auf jeden Fall bis zum Abend durchreiten werden. Ich lege keinen Wert darauf mit Euren Verfolgern Bekanntschaft zu machen«, stellte Kazuyori klar. »Ach und da ist noch etwas: Es wäre mir recht, wenn ihr mich nicht Kazuyori sondern Kazu nennt. Alle nennen mich so.«
Shiori runzelte die Stirn. Für einen Moment überlegte sie Kazuyori, nein Kazu, danach zu fragen, was der Grund war, sie darum zu bitten. Denn Kazuyori war der Name gewesen, mit dem er sich ihnen zuerst vorgestellt hatte. Dann aber schob sie diesen Gedanken zur Seite. »Einverstanden Kazu-san.«
Kazu blickte sie an. Zu ihrem Erstaunen lächelte er. »Ich sehe wir verstehen uns.« Er schwang sich elegant in den Sattel seines Pferdes. »Jetzt kommt endlich. Wir haben noch einen langen Weg vor uns und durch Reden wird der sicherlich nicht kürzer.«
Shiori nickte. »Da habt Ihr sicherlich Recht«, stimmte sie ihm zu und stieg dann auf ihr Pferd auf.
»Noch etwas«, sagte Kazu. »Ich halte nicht besonders viel von Höflichkeitesformen. Am einfachsten wird es sein, wenn ihr ganz normal mit mir und meinen Leuten redet. Das sind wir ohnehin gewohnt. Also macht euch keine Umstände.«
»Einverstanden... Kazu«, sagte Shiori irritiert.»Du denkst ich bin seltsam, richtig?«, erkundigte sich Kazu bei ihr und unter den zerzausten nussbraunen Haaren, die ihm halb ins Gesicht hingen, konnte sie seine Augen aufblitzen sehen. »Ich kann dir keinen Vorwurf deswgeem machen. Im Gegenteil. Seltsam passt ziemlich gut, um das Alles hier zu beschreiben.«
»Ich finde dich nicht seltsam, sondern lediglich ein wenig ungewöhnlich«, entgegnete Shiori ausweichend. »Du scheinst nicht viel von den Regeln der Gesellschaft zu halten.«
»Das ist verdammt richtig«, stimmte Kazu ihr zu »und hat auch seine Gründe.«
»Die aber jetzt keine Rolle für uns spielen«, sagte Akiyoshi, der inzwischen ebenfalls, genauso wie Ludwijk, auf seinem Pferd saß und dieses neben Shioris gelenkt hatte. »Dass wir eurer Begleitung zustimmen, bedeutet überdies hinaus nicht, dass wir euch vertrauen«, stellte er klar.
Kazu schnaubte. »Danke, gleichfalls.« Er verbeugte sich spöttisch. »Darin einem Samurai zu vertrauen bin ich ohnehin noch nie gut gewesen. So viel ist sicher. Geschweige denn Fremdländern.« Er sah zu Ludwijk.
Der zuckte mit den Schultern.
Shiori beschlich das Gefühl, als hätte Ludwijk nicht alles verstanden. Doch da er nicht nachfragte, sondern sein Pferd stattdessen zu einem leichten Trab antrieb, sagte sie nichts weiter.
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Der letzte Gruss des Samurai
Historical FictionJapan im März 1567, Zeit der streitenden Reiche. Gerade als Akiyoshi seinen Tod akzeptiert hat, rettet die junge Shiori ihm das Leben. Obwohl er sich zu ihr hingezogen fühlt weiß Akiyoshi, seines Zeichen Samurai, dass er nun da er überlebt hat, sein...