Kapitel 18

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Akiyoshi wusste nicht wie er all die Gefühle, die in seinem Inneren wie ein gewaltiger Sturm tobten, am besten benennen konnte. Aber das Wort aufgewühlt war erstmal eines, welches dem schon recht nahe kam. Ja, er hatte nicht gewollt, dass das hier passierte. Ja, ihm war klar, dass Shiori, wenn sie bei ihm blieb, nur noch mehr in Gefahr geriet. Doch sie nach allem hier zurücklassen, das war jetzt definitiv keine Option.
  »Es wird in Ordnung sein, wenn wir uns nicht mehr bei Towa melden, oder?«, erkundigte er sich bei ihr.
  Shiori nickte. »Er hat sowieso gedacht, dass ich mit dir fortgehe«, sagte sie. »Verwundert wird er also nicht sein.«
  »Wer ist Towa?«, wollte Ludwijk wissen, den Akiyoshi fast schon wieder vergessen hatte. »Ein Bekannter von dir?«
  »Niemand wichtiges«, grummelte er. »Er wird schon alleine klar kommen.«
  »Ja bestimmt.« Shiori klang nicht überzeugt, aber das ließ er unkommentiert. »Du hast gesagt, dass dein Pferd da hinten angebunden ist?« Letzteres galt Ludwijk.
  Der nickte. »So ist es.«
  Akiyoshi beschloss den Hinweis, dass es Fremdländern auch verboten war zu Pferd zu reisen hinunter zu schlucken. Einzig Samurai und Daimyo hatten die Erlaubnis, das zu tun. Hinterfragt hatte er dieses Gesetz nie. In der letzten Zeit musste er jedoch feststellen, dass es die Dinge eindeutig verkomplizierte.
  »Dann los jetzt. Wir sollten besser nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen«, sagte er. »Wenn diese Leute bemerken, dass ich mich nicht mehr im Dorf aufhalte, werden sie mich ganz sicher suchen.«
  »Du hast mit diesen Leuten hier etwas zu tun?«, hakte Ludwijk nach. »Das hätte ich niemals von dir erwartet.«
  »Es ist ja nicht so, dass ich mich darüber freue, dass sie hinter mir her sind«, entgegnete er. »Im Gegenteil. Es wäre einiges einfacher, wenn sie es einfach gut sein lassen würden.«
  »Kommen sie denn auch aus Mikawa?«, wollte Ludwijk wissen.
  Akiyoshi schwang sich wieder auf den Rücken von Hoshi. »Ein paar von ihnen mit Sicherheit. Es gibt schließlich auch dort immer noch genug abtrünnige Ronin. Auch wenn Tokugawa-dono dort inzwischen aufgeräumt hat.«
  »Aufgeräumt?«, das war wieder Shiori. »Das klingt so als ob-«
  »Es gibt eben Leute, die darf man nicht machen lassen, was sie wollen«, fiel er ihr, harscher als gewollt, in Wort.
  »Da hat er nicht ganz unrecht, Shiori-san«, pflichtete Ludwijk ihm bei. »Ich kenne das auch aus meinem Land. Manche sind lediglich auf den eigenen Vorteil bedacht und gehen wortwörtlich über Leichen, um das zu erreichen.«
  »Es scheint wohl überall das Gleiche zu sein«, meinte Shiori und seufzte. Dann stieg auch sie ebenfalls auf ihr Pferd auf.
  Akiyoshi nickte ihr aufmunternd zu. Zu allem anderen fehlten ihm die Worte. Und die, die ihm einfielen, hörten sich schon in seinen Gedanken banal und nichtssagend an.
  »Da fällt mir ein: Wo musst du eigentlich hin?«, erkundigte sich Ludwijk bei ihm und lenkte ihn so von seinem Dilemma ab. »Gibt es einen bestimmten Ort?«
  »Ja.« Wieder nickte er. »Mein Ziel ist Iga.« Er zögerte einen Moment. Doch dann beschloss er, dass er den beiden gleich reinen Wein einschenken konnte. »Ich muss im Auftrag von meinem Meister eine Botschaft überbringen. Und zwar an Hanzo Hattori.«

Zumindest Shioris Reaktion fiel aus wie erwartet. Sie erbleichte und für einen Augenblick glaubte er, dass sie in Ohnmacht und vom Pferd fallen würde. »Doch nicht der Hanzo Hattori?«
  »Da ich nur von einem Mann dieses Namens weiß, nehme ich mal an, dass wir denselben meinen«, brummte Akiyoshi. »Also ja. Genau den meine ich.«
  »Dein Meister muss verrückt sein, dich zu ihm zu schicken«, meinte Shiori. »Absolut verrückt.«
  »Nein, eigentlich nicht.« Akiyoshi schüttelte den Kopf. »Denn es mag dich vielleicht überraschen, aber Hattori ist ein Gefolgsmann des Tokugawa Clan. Wie mir erzählt wurde, hat er bereits vor zehn Jahren, als er gerade sechzehn Jahre alt war, an dem Angriff auf die Burg Uzuchi teilgenommen. Er wurde sogar dafür ausgezeichnet.«
  »Moment mal.« Shiori runzelte die Stirn. »Du hast gesagt, du bist nur ein oder zwei Jahre jünger als dein Meister. Dann war er vor zehn Jahren auch noch recht jung, oder? Viel mehr als sechzehn kann er dann auch nicht gewesen sein.«
  »Er war damals sogar noch jünger als Hattori. Er war vierzehn«, entgegnete Akiyoshi.
  »Also bei uns zuhause haben Kinder in diesem Alter anderes zu tun, als Schlachten zu schlagen«, merkte Ludwijk an. »Aber das fällt wieder unter andere Länder, andere Sitten, glaube ich.«
  Akiyoshi schnaubte. »Es ist nicht so, dass wir hier alle unsere Kinder in Schlachten schicken. Nur sind die Zeiten heutzutage sehr unruhig. Manchmal hat man eben keine andere Wahl.«
  »Ja, auch mir ist schon aufgefallen, dass ich hier zu einer sehr kriegerischen und chaotischen Zeit eingetroffen bin«, überlegte Ludwijk. »Aber so ist es nun einmal. Außerdem bin ich ja nicht hierher gekommen um mir am Strand die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen.« Er lachte.
  Die Frage, warum er überhaupt nach Japan gekommen war, lag Akiyoshi auf der Zunge. Doch er schob sie zur Seite. Sich jetzt damit zu beschäftigen hatten sie keine Zeit.

»Akiyoshi«, riss Shiori ihn aus seinen Gedanken. Ihre Stimme klang drängend, wie besorgt.
  »Ja«, er nickte und blickte dann Ludwijk an. »Bis wir bei deinem Pferd sind, kannst du bei mir mitreiten.«
  »Ich danke dir.« Ludwijk schwank sich hinter Akiyoshi in den Sattel. »Wir müssen übrigens dort vorne lang.« Er deutete in die Richtung, tiefer in den Wald.
  Akiyoshi trieb Hoshi zu einem leichten Galopp an. Er sah nicht zurück zu Shiori. Doch er wusste, dass sie ihm folgte.

***
»Was hast du uns denn bitte für einen Mist erzählt? Er war nicht im Dorf. Zumindest nicht vorhin«, hörte Akiyoshi eine schlecht gelaunte Stimme, nachdem er sein Pferd anhielt, um Ludwijk absteigen zu lassen.
  »Weit weg kann er aber auch nicht sein, sonst hätte der Alte nicht das Pferd los geschickt«, schnarrte eine andere Stimme.
  »Das war aber nicht Hasegawas Pferd, sondern ein anderes«, entgegnete die Person, die zuerst gesprochen hatte. »Er reitet nämlich immer diesen schwarzen Teufel, das man eigentlich schon fast als Waffe bezeichnen muss.«
  »Wenn du meinst. Das Einzige, was nervt, ist, dass er womöglich jetzt Verbündete hat. Was mich wundert und ärgert. Unsere Kugeln reichen nicht für immer und hier draußen ist es verdammt schwer an neue Munition zu kommen.«
  Akiyoshi hatte genug gehört. Kaum, dass er sah, dass Ludwijk auf seinem Pferd saß, trieb er Hoshi zum Galopp an. Keine Sekunde zu spät, denn genau in diesem Moment kamen die zwei, die sich unterhalten hatten, um die Ecke.
  »Da sind sie!« Wüstes Fluchen ertönte. »Hinterher!«


Der letzte Gruss des SamuraiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt