Kapitel 13

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»Warum wollt Ihr das wissen?«, erkundigte Shiori sich bei ihm. »Ist das denn so wichtig?«
  »Bitte antworte mir auf meine Frage Shiori-san«, entgegnete Akiyoshi ernst, ohne ihre zu beantworten. »Also? Was ist?«
  Sie zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, man könnte sagen, dass ich ihn gestohlen habe?« Es klang mehr nach einer Frage, als dass es sich überzeugt anhörte.
  »Wie meinst du das?« Akiyoshi sah sie mit hochgezogener Braue an.
  »Nun ja, ich bin vor einigen Monaten meinem Großvater hierher gefolgt, auch wenn ich das wohl nicht hätte tun sollen«, erklärte sie. »Aber er hat sich so vorsichtig von Zuhause weggeschlichen, dass ich nicht anders konnte.«
  »Was er hier wollte weißt du nicht?«
  Sie schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid. Ich habe nur gesehen, wie er diese Notiz hier aus dem Schrein genommen, gelesen und wieder zurück gelegt hat.«
  Akiyoshi nickte zum Zeichen, das er ihr zuhörte.
  Also redete sie weiter. »Ihr wisst ja inzwischen, wie neugierig ich bin. Daher habe ich gewartet, bis er wieder gegangen ist. Danach habe ich es selbst auch gelesen. Oder zumindest versucht. Das habe ich Euch ja schon gesagt.«
  »Ja, ich erinnere mich«, meinte Akiyoshi. »Dann sag mir jetzt, wie viel du von dem verstanden hast, was hier geschrieben steht.«
  »Was hast du denn darin gelesen?«, fragte Shiori, ganz bewusst informell. »Es scheint dich ja ziemlich aufgebracht zu haben.«
  Akiyoshi seufzte. »Bitte antworte auf meine Frage.«
 »So wie ich es verstanden habe, ging es um ein Versprechen. Aber was die genauen Einzelheiten sind, habe ich nicht begriffen.«

Das stimmte nicht ganz. Sie konnte trotz allem gut genug lesen, um zu wissen, dass sie allein durch den Besitz dieses Briefs in große Schwierigkeiten geraten konnte. Aber das musste sie Akiyoshi ja nicht direkt auf die Nase binden.
  »Also schön.« Erneut seufzte Akiyoshi. »Du solltest den Brief wieder zurücklegen und am besten vergessen«, bat er sie. »Und versprich mich mir bitte, dass du dich nicht mit anderen Fremden einlässt. Ich kann dich nicht beschützen, da ich bald abreisen muss.«
  »Du könntest ja noch ein bisschen bleiben.« Eigentlich wollte sie das gar nicht sagen. Denn natürlich kannte sie seine Antwort darauf. Die sie prompt bekam.
  »Nein, das geht nicht.« Akiyoshi runzelte die Stirn. »Vielleicht komme ich auf meinem Rückweg nochmal hier vorbei. Das wäre wohl machbar.« Er hielt kurz inne. »Je nachdem was in Iga passiert, wenn ich dort bin«, fügte er hinzu.
  »Du wirst doch nicht in Gefahr geraten?«, wollte sie von ihm wissen.
  »Selbst wenn. Ich bin es gewohnt«, entgegnete er. »Außerdem gehe ich erst gar nicht davon aus, dass alles so klappt, wie ich will.«
  Shiori zog eine Braue in die Höhe. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so ein Pessimist bist.«
  »Bin ich nicht. Das ist lediglich was mir in den letzten Jahren aufgefallen ist«, meinte Akiyoshi. »Egal was man für Pläne macht, es kommt immer noch einmal anders als man denkt. Dass wir beide miteinander reden, ist das beste Beispiel dafür.«
  »Du meinst, wenn du nicht überfallen worden wärst, hättest du niemals in unserem Dorf halt gemacht, richtig?«, erkundigte sie sich bei ihm.
  Er nickte. »So ist es.«
  »Dann bin ich froh, dass du überfallen wurdest«, sagte sie und blickte ihn herausfordernd an.  »Ich weiß wirklich nicht, wie ich in mein langweiliges Leben zurückkehren kann, nachdem ich dich getroffen habe.«
  »Du wirst mich bestimmt ganz schnell vergessen.« Für einen Moment klang es für sie so, als ob er noch mehr sagen wollte. Beließ es aber dann dabei.
  »Nein, das glaube ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Und das will ich auch nicht.«
  »Shiori.« Er sagte lediglich ihren Namen. Doch der Ton, in dem er ihn aussprach, bereitete ihr Gänsehaut.
  »Ja?«, fragte sie und war selbst überrascht, wie zaghaft ihre Stimme in ihren Ohren klang.
»Versprich mir, dass du auf dich aufpassen wirst.« Es hörte sich beinahe flehentlich an. »Bitte.«
  Shiori sah zu ihm auf. Wieso fiel ihr erst jetzt auf, wie nah Akiyoshi vor ihr stand? Andererseits, es machte ihr nichts aus. Im Gegenteil. Es gefiel ihr sogar. »Das scheint dir ja sehr wichtig zu sein.«
  »Das ist es«, antwortete er. »Weil du es bist.«
  »Achja?« Sie blickte ihn an und mit Sicherheit lief sie gerade vor lauter Verlegenheit rot an. Spätestens aber jetzt, da er seine Hand sanft an ihre Wange legte.
»Ja.« Das war alles, was er sagte, bevor seine Lippen auf die ihren trafen.

Shiori war so überrascht von dem Kuss, dass sie zuerst gar nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Zudem war das hier ihr erster Kuss. Dass sie diesen mit jemandem haben würde, der nicht aus ihrem Dorf kam und den sie vermutlich so schnell nicht wiedersehen würde, wenn überhaupt, hätte sie nicht gedacht. Zumindest nicht bis heute. Ihr war nicht klar, ob das Liebe war, was sie für Akiyoshi empfand – oder er für sie. Dennoch versuchte sie, den Kuss so gut wie möglich, wenn auch unbeholfen, zu erwidern. Das Gefühl seiner Lippen auf den ihren war einfach zu schön, als dass sie widerstehen konnte. Dass ein Mann, ein Samurai, solch sanfte Lippen hatte, hatte sie ebenfalls nicht erwartet.
  »Shiori«, murmelte Akiyoshi in ihren Kuss hinein. »Ich-«
  »Ja, ich auch nicht«, sagte sie. Obwohl sie diesmal absolut nicht wusste, was er sagen wollte. Doch das spielte jetzt keine Rolle für sie.
  Für ihn aber anscheinend ebenfalls nicht. Denn er beugte sich zu ihr herunter, um sie wieder zu küssen. Diesmal mit einer Intensität, die ihr schier den Atem nahm.
  »Du glaubst nicht, dass ich dich hiernach vergessen kann, oder?«, fragte sie atemlos und klammerte sich an seinem Haori fest, da sie das Gefühl hatte, ansonsten das Gleichgewicht zu verlieren. »Wenn doch dann...« Weiter kam sie nicht.
  »Ich habe gelogen«, murmelte er gegen ihre Lippen. »Ich will eigentlich gar nicht, dass du mich vergisst.«
  »Das werde ich nicht«, versprach sie ihm. »Niemals.«
 »Dann sollte ich mich wohl dafür entschuldigen«, entgegnete Akiyoshi. »Ich wollte nicht, dass du-«
Shiori stellte sich auf ihre Zehenspitzen, um ihrerseits ihn zu küssen und damit zum Schweigen zu bringen. Kaum hatte sie das getan, konnte sie fühlen, wie er in den Kuss hinein lächelte. Es gefiel ihr. So sehr, dass ihr ein wohliger Laut entwich.
  »Ich denke wir sollten zurück gehen«, schlug Akiyoshi daraufhin vor, mit einem seltsamen Glimmen in den Augen, dass sie nicht zu deuten verstand. »Auch wenn ich das hier sehr genieße. Aber wenn wir damit nicht aufhören, kann ich mich nicht länger beherrschen.«
  »Oh.« Shiori, der endlich ein Licht aufging, ließ seinen Haori, an dem sie sich noch immer festgeklammert hatte, wieder los. »Ich wollte nicht-«
  »Eben.« Akiyoshi lächelte und strich ihr ein paar Strähnen aus dem Gesicht. »Ich auch nicht. Nicht so.«

Shiori hoffte, dass er die Röte ihrer Wangen im Dunkeln nicht sehen konnte. Dieser Umstand und dieses Thema machten sie mehr als nur etwas verlegen. Womöglich glühte sie so sehr wie die Glühwürmchen, die man hier manchmal finden konnte. Was sollte sie auch entgegnen?
Akiyoshi, der ihr Dilemma bemerkte, hielt ihr seine Hand hin. »Wir sollten zurückgehen. Die Sonne ist untergegangen. Wir wollen Hashimoto-sama doch nicht beunruhigen, oder?«, fragte er.
Ohne zu zögern, ergriff Shiori seine Hand. Diese war groß und ein wenig vernarbt, wie ihr auffiel. Der Grund dafür waren mit ziemlicher Sicherheit, die vielen Kämpfe mit dem Schwert. Doch abgesehen davon, war seine Hand auch warm. »Ist das Liebe?«, fragte Shiori und zu spät fiel ihr auf, dass sie das laut gesagt hatte. Sie biss sich auf die Lippen und hätte ihre Worte am liebsten direkt wieder rückgängig gemacht. »Entschuldigung«, sagte sie schnell und mit Erstaunen stellte sie fest, dass Akiyoshi ihre Hand noch bestimmter hielt, als zuvor.
  »Ich weiß es nicht«, hörte sie ihn sagen. »Das Einzige, was ich wirklich weiß, ist, dass mein Auftrag jetzt gerade am wichtigsten ist. Aber auch, dass ich dich nicht verletzen möchte.«
  Shiori schluckte hart. »Keine Sorge, es ist schließlich nicht so, dass du mir mein Herz brichst. Ich habe von Anfang an gewusst, dass du nicht bleiben wirst.« Sie versuchte sich an einem Lächeln. »Aber komm mich trotzdem irgendwann mal besuchen, ja?«
  Akiyoshi nickte. »Falls du dann nicht längst von hier weggegangen bist, gerne. Auch wenn ein Mann wie ich dir sicher nur Probleme bereiten kann«, es klang neckend, doch Shiori entging der ernste Unterton nicht. »Du verdienst jemand besseren.«
Jemand besseren, wie zum Beispiel Towa. Akiyoshi sprach es nicht aus, aber sie hörte es trotzdem. »Ich habe es doch so oft schon gesagt: Ich möchte selbst über mein Leben bestimmen können. Das werde ich auch tun, wenn es dann so weit ist.« Sie blieb stehen. »Aber du weißt ja, was man sagt, man sieht sich immer mindestens zweimal im Leben.«
  »Du bist wirklich...« Akiyoshi brach ab. Statt weiter zu reden, zog er sie an sich und küsste sie erneut.


Der letzte Gruss des SamuraiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt