Kapitel 9

39 3 0
                                    

Für einen Moment blickte Akiyoshi derart grimmig drein, dass Shiori eine Gänsehaut bekam. Nicht, dass sie Angst vor ihm hatte, das nicht. Dennoch erschreckte sie davor, was er tun konnte. Doch andererseits: Was hatte sie erwartet? Sie wusste von Anfang an, dass er ein Samurai war und damit ein Elitekrieger. Nichts anderes hatte Akiyoshi vorgegeben zu sein. Sie blickte hinüber zu dem Katana und dem Wakizashi, seine Waffen, die neben dem Futon lagen. Sie erschienen so elegant aus und konnten trotzdem erbarmungslos todbringend sein.
 »Krieger töten nun einmal«, meinte Akiyoshi genau in diesem Moment. »Das und nichts anderes ist was wir tun.«
 Es fiel ihr unsagbar schwer, ihn anzusehen. »Habt Ihr schonmal jemanden umgebracht?«, wollte sie trotzdem von ihm wissen. An seinem Zögern erkannte sie, dass es so sein musste.
 »Ja«, antwortete er aber auf ihre Frage. »Doch das was einen Samurai ausmacht ist nicht so viele Menschen wie möglich zu töten. Sondern dem Weg des Bushido zu folgen. Auch wenn das wohl die meisten heutzutage vergessen haben.«
 »Das liegt vermutlich daran, dass er für jeden etwas anderes ausmacht«, gab Towa zu ihrer Überraschung zu bedenken.
 »Mein Meister meinte vor einiger Zeit, dass nur Geduld einen an sein Ziel führen kann«, entgegnete Akiyoshi nachdenklich und ohne auf Towas Kommentar einzugehen. »Langsam beginne ich zu verstehen, was er damit meint.«

Shiori, wie anscheinend auch Towa, verstand nicht, was er hiermit sagen wollte. Daher trank sie erst einmal einen Schluck von ihrem Tee, was glücklicherweise ihre Nerven beruhigte. Sie hätte Akiyoshi am liebsten noch so viel gefragt! Aber vermutlich würde er ihr auf die meisten gar nicht erst antworten. Was sie wirklich schade fand.
 »Wann wollt Ihr denn abreisen?«, erkundigte sich Towa in diesem Moment bei ihm.
 »Am liebsten schon gestern«, antwortete Akiyoshi, ohne zu zögern. »Aber da wäre ich wohl kaum in der Lage zu gewesen.«
 »Das stimmt!« Shiori stellte ihre Teeschale zur Seite. »Es wäre wirklich besser, wenn Ihr Euch auch in den nächsten paar Tagen noch etwas Ruhe gönnt. Sonst kann ich Euch für nichts garantieren.«
 Akiyoshi verzog das Gesicht.
 Sie funkelte ihn an. »Natürlich, ist es immer noch Eure Gesundheit. Doch ich würde mich wirklich ärgern und es Euch auch ein wenig übel nehmen, wenn Ihr meine Arbeit wieder zunichte macht.«
 Towa zog erstaunt eine Braue in die Höhe. »Es muss Euch wohl sehr dreckig gegangen sein.«
 »Das wäre dann wohl die Untertreibung des Jahrhunderts«, knurrte Shiori. »Ich habe ganz sicher nicht umsonst-«
 »Zwei Tage«, fiel Akiyoshi ihr ins Wort. »Wenn es unbedingt sein muss. Aber am Morgen des zweiten Tages werde ich bei Sonnenaufgang abreisen. Viel mehr Verspätung darf ich mir nicht leisten.« Er runzelte die Stirn. »Wo ist überhaupt mein Pferd?«
 »Bei meinem...« Shiori brach ab, als sie den Blick von Towa bemerkte. »Bei dem Pferd meines Großvaters«, korrigierte sie sich dann schnell. Es war jedoch zu spät.
 »Du bist doch nicht schon wieder geritten?«, wollte Towa wissen. »Du weißt doch, dass das nicht erlaubt ist!«
 »Towa-san«, begann sie und funkelte ihren Kindheitsfreund an. »Du weißt selbst, dass ich oft schnell von einem Ort an den anderen kommen muss.«
 Towa seufzte. »Ja natürlich. Aber was wenn-«
 »Das ist aber nicht passiert.« Sie verschränkte energisch die Arme vor der Brust. »Also halte mir bitte keine langen Reden, von dem was hätte sein können.« Irrte sie sich, oder grinste Akiyoshi?
 »Na schön. Gut finde ich es trotzdem nicht«, stellte Towa klar und seufzte.
 »Muss du ja nicht«, entgegnete Shiori spitz. Sie sah zu Akiyoshi hinüber. Ja, jetzt war sie sich sicher: Er grinste.
 Towa schien es nun auch zu sehen. »Das ist nicht lustig!«
 »Verzeiht bitte Towa-san«, meinte Akiyoshi. »Aber ich finde, dass es das ist. Zumindest ein bisschen.«
 »Für Euch ist so etwas ja auch eine reine Selbstverständlichkeit. Ihr seid niemand, der sich überlegen muss, ob er auf einem Pferd reiten darf, oder nicht. Für Leute wie uns dagegen sieht das schon anders aus.« Towa ballte die Hände zu Fäusten.
 »Towa!«, rief Shiori, als es ihr auffiel. »Bitte halte dich zurück. Akiyoshi-sama hat dir nichts getan. Also sei nicht so unhöflich.«
 »Nein, schon gut. Er hat Recht. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Doch das bedeutet nicht, dass ich dieses Gesetz auch gutheiße«, stellte Akiyoshi klar.
 »Natürlich.« Towa nickte grimmig. »Aber Ihr versucht es auch nicht zu ändern, oder irre ich mich?«
 »Ich-«, setzte Akiyoshi an.
 »Ihr müsst nichts darauf sagen.« Towa winkte ab. Dann wandte er sich an sie. »Danke für den Tee Shiori-chan. Aber ich glaube, ich muss los. Vater wartet sicher schon auf mich.«
 »Ja, das ist wohl das beste«, entgegnete Shiori bedrückt. »Aber jetzt konntest du meinen Großvater leider doch nicht treffen.«
 »Nun es ist ja nicht so als ob er morgen sterben würde«, sagte Towa und lächelte ihr zu.
 

Sie wusste nicht warum, doch in ihren klang es wie eine unheilschwangere Prophezeiung. Ihr lief ein Schaudern über den Rücken. War es eben schon so kalt, oder lag es nur daran, dass die Sonne gleich drüben hinter dem Berg verschwinden würde? Sie griff nach ihrer Teeschale, um zu trinken. Dabei fiel ihr auf, dass ihre Hände zitterten.
 »Shiori-san? Geht es dir nicht gut?«, fragte Akiyoshi besorgt. »Vielleicht solltest du dich besser ausruhen. Vermutlich hast du dich einfach überanstrengt in den letzten Tagen.«
 »Ich sage es nicht gern, aber zumindest damit hat er Recht«, stimmte Towa ihm zu. »Komm ich helfe dir.« Er nahm ihr die Schale ab und geleitete sie hinüber zu dem Futon, den Akiyoshi zuvor benutzt hatte. »Ich habe dir das doch schon so oft gesagt, dass du dich nicht überanstrengen sollst. Aber du hörst ja nicht auf mich.«
 Shiori nickte. Sie fühlte sich, als sei sämtliche Kraft aus ihrem Körper gewichen.
 »Wenn mir dein Großvater auf meinem Heimweg begegnet werde ich ihm davon erzählen wie es geht«, meinte Towa.
 »Ich schätze diese Standpauke habe ich mir wohl auch verdient«, sagte Shiori und seufzte kurz. Dann sah sie zu Akiyoshi, der sich neben den Futon gesetzt hatte und sein Katana und das Wakizashi in seinem Obi befestigte.
 Er lächelte sanft, als ihm ihr Blick auffiel. »Keine Sorge, ich bleibe hier und passe auf dich auf. Du musst dir wirklich keine Sorgen darum machen, dass ich verschwinde ohne ein Wort des Abschieds. Versprochen.«
 »Das hätte ich Euch auch nicht verziehen«, entgegnete Shiori und erwiderte sein Lächeln. Es dauerte nicht lange, bis ihr die Augen zu fielen und sie einschlief.


Der letzte Gruss des SamuraiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt