Kapitel 6

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»Dann ist der Name Eures Dienstherren also Yasu?«, erkundigte sich Shiori bei Akiyoshi, kaum dass er seinen Bericht beendete.
Dieser schüttelte, wenig überrascht ob ihrer Frage, den Kopf. »Das war schlicht und einfach der Name, mit dem er sich mir, bei dem ersten Treffen mit mir vorgestellt hat.«
 »Wie meint Ihr das?«, erkundigte sich Shiori.
 »Ganz genau so, wie ich es sage«, entgegnete Akiyoshi. »Er hat sich mir, an dem Abend, da wir uns kennengelernt haben, nicht direkt mit seinem Namen vorgestellt.«
 »Hat Euch das nicht verwundert?« Shiori runzelte die Stirn. »Mich hätte es. Ich meine es ist schon seltsam, oder nicht?«
 Akiyoshi konnte nicht anders, als aufzulachen.
  »Was ist so lustig?«, wollte Shiori wissen. »Ich habe doch nichts dummes gefragt, oder?«
  »Nein, natürlich nicht«, beruhigte er sie. Er räusperte sich kurz. »Natürlich war ich auch ein wenig verwundert, da hast du vollkommen Recht. Allerdings war ich damals vor allem erst einmal froh, aus dieser brenzligen Situation entkommen zu sein.«
 »Und ist Euer Dienstherr ... Also dieser Yasu ein guter Herr für Euch?«, erkundigte sich Shiori.
 Akiyoshi lächelte. »Das ist er, das kannst du mir glauben. Er mag menschenscheu sein, aber er ist in der Tat vernünftig und gerecht. Wenn auch manchmal etwas streng.«
 »Da habt Ihr dann wohl Glück gehabt.« Shiori erwiderte sein Lächeln. »Wäre er kein guter Herr, hättet Ihr ein Problem. Immerhin hattet Ihr Euch ihm verpflichtet ohne irgendetwas von ihm zu wissen.«
 »Das ist wahr«, stimmte er ihr zu. »Doch ich bereue es nicht. Ganz im Gegenteil.«
 »Und was ist jetzt mit Eurer Familie? Dieses Wiesel hat sich doch nicht wieder bei ihnen gemeldet?«, wollte sie wissen.

Akiyoshis Gesicht verfinsterte sich auf diese Frage hin sofort. »Wenn ihm etwas an seiner Gesundheit liegt und er weiß, was gut für ihn ist, dann nicht.« Er hielt einen Moment inne. »Mein Meister hat mir versprochen, meine Familie in der Zeit, in welcher ich nicht bei ihnen sein kann, zu beschützen. Und ich vertraue ihm.«
 »Dann hattet Ihr wohl mehr Glück mit Eurem Dienstherr, als manch andere«, mischte sich Tatsuo, der eine große dampfende Teeschale in den Händen hielt, ein. »Auch wenn ihr beide noch sehr jung seid.«
 »Ich bin mir sicher, dass ich Yasu auf ewig dienen werde. Nur beendet durch seinen oder aber meinem Tod«, sagte Akiyoshi und meinte es vollkommen ernst damit.
  Tatsuo blickte ihn überrascht an. »Wenigstens mit Eurem Diensteid und Eurer Treue scheint Ihr es aufrichtig zu meinen.« Er reichte ihm die Teeschale.
 Akiyoshi nahm sie mit einer Verbeugung an. »Danke.«
»Dennoch würde es mich nur allzu sehr interessieren, wer Euer Dienstherr ist, für den Ihr so weit geht«, meinte Tatsuo nachdenklich.
 »Mich auch«, merkte Shiori an. »Ihr habt mich wirklich neugierig gemacht.«
 »Das darf und werde ich nicht tun. Mir wurde vor meiner Reise ein Schwur abgenommen, den ich gedenke einzuhalten. Der, dass es mir nur dann erlaubt ist, wenn es nicht anders geht«, erklärte Akiyoshi ihnen. Er trank einen Schluck von dem Tee. »Das schmeckt sehr gut. Ingwertee, nicht wahr?«
 »Ja«, bestätigte Tatsuo und nickte. Er runzelte die Stirn. »Ist es Eure erste Mission?«, wollte er wissen.
 Akiyoshi zögerte. Entschloss aber, dass er ihm diese Frage beantworten konnte. »Meine erste große, ja.«
 »Ich verstehe«, sagte Tatsuo und schien für einen Moment in Erinnerungen zu schwelgen.
  »Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Ihr nach so vielen Jahren ein Ronin geblieben seid, Hashimoto-sama?«, erkundigte Akiyoshi sich bei ihm. »Hier weit weg von der nächsten Stadt mag nicht viel los sein aber ...«
 »Das geht Euch nichts an!« Tatsuo blickte ihn finster an.
 »Großvater, bitte beruhige dich«, bat Shiori ihn, bevor Akiyoshi etwas sagen konnte. »Ich habe dir schon so oft gesagt, dass es nicht gut für dich ist, wenn du dich so aufregst.«
»Ich weiß, ich weiß.« Tatsuo seufzte. Dann sah er Akiyoshi an. »Da hört Ihr es. Also fragt mich nicht weiter danach. Jeder Mann hat seine Geheimnisse. Ihr seht also, dass Ihr damit nicht der Einzige seid.«
 

Akiyoshi nickte und beschloss sich, an diesen Rat zu halten. Auch wenn er sich insgeheim immer noch fragte, was einen Mann wie Tatsuo dazu bewogen haben mochte, einem weiteren Dienstherrn zu dienen und stattdessen ein Ronin zu bleiben. Er sah hinüber zu Shiori. Konnte sie bei dieser Entscheidung etwa eine Rolle gespielt haben? Aber wie passte das zusammen? Er konnte es sich nicht erklären. Außerdem ging es ihn auch eigentlich gar nichts an.
Shiori, die anscheinend zumindest einen Teil seiner Gedanken erriet, sah ihn lächelnd an. »Wie wäre es, wenn Ihr Euch nochmal kurz hinlegt und Euch ausruht, Akiyoshi-sama?«, schlug sie vor. »Über alles weitere können wir auch später reden.«
Er beschloss, dass es klüger war sich jetzt erstmal an diesen Rat zu halten. Außerdem fühlte er langsam, dass ihn das viele Reden müder gemacht hatte, als er zuvor dachte. Oder lag es vielleicht doch am Tee? Er gähnte. »Einverstanden«, sagte er. Dann machte er es sich erneut auf seinem Futon gemütlich und schlief ein.

Als Akiyoshi das nächste Mal wach wurde, geschah dies dadurch, dass ihm ein köstlicher Geruch in die Nase stieg. Er setzte sich auf, was ihm jetzt leichter fiel, als zuvor.
 »Oh! Ihr seid wieder wach!«, hörte er dann auch schon Shiori. »Genau rechtzeitig zum Essen.«
 Akiyoshi nickte. »Es war dieser großartige Duft, der mich geweckt hat.«
 Shiori errötete. »Lobt es lieber erst, nachdem Ihr gegessen hat. Außerdem ist es wirklich nichts besonderes. Nur ein wenig Reis mit Gemüse.« Sie hielt ihm eine Schale hin. »Wenn Ihr wollt, könnt Ihr gerne mehr haben. Ihr müsst schließlich langsam wieder zu Kräften kommen.«
Wieder nickte Akiyoshi. »Vielen Dank.« Er sah sich um. »Ist dein Großvater nicht da?«
  »Er dreht nur seine abendliche Runde. Das ist eine alte Gewohnheit von ihm«, erklärte Shiori und setzte sich neben ihn. »Ihr müsst Euch keine Sorgen machen.«
 »Abendliche Runde?«, wiederholte er erstaunt zwischen ein paar Bissen. »Hab ich denn so lange geschlafen?«
 »Auf jeden Fall einige Stunden«, antwortete Shiori. »Aber bis zur Dämmerung ist noch etwas Zeit.«
 »Dämmerung?«, vor lauter Überraschung verschluckte Akiyoshi sich.
 »Nein eben nicht«, entgegnete Shiori. »Noch nicht. Aber in drei, vier Stunden dürfte es so weit sein.« Sie runzelte die Stirn. »Fühlt Ihr euch denn inzwischen etwas besser?«
 »Ja«, antwortete er. »Was ich wohl vor allem dir zu verdanken habe.«
 »Unsinn.« Shioris Wangen verfärbten sich noch etwas röter, als sie ohnehin schon waren.  »Glaubt mir: Jeder andere in meiner Situation hätte dasselbe getan, da bin ich mir sicher.«
 »Du bist wirklich sehr naiv und unschuldig«, bemerkte Akiyoshi. Er konnte sich nicht länger eines Lächelns erwehren. »Das ist wahrhaft faszinierend.«
 »Faszinierend?«, echote Shiori. »Was meint Ihr damit?« Nun glühten ihre Wangen so rot wie Feuer.
 »Ja«, bestätigte er. »Die meisten Leute, die ich kenne würden niemals uneigennützig einem Fremden helfen.«
 »Selbst Euer Dienstherr nicht?«, wollte Shiori wissen.
 

Akiyoshi runzelte wegen dieses urplötzlichen Themenwechsels die Stirn. »Ich glaube, es weiß nie jemand genau, was er denkt. Selbst ich nicht. Denn immer wenn ich meine ihn endlich durchschaut zu haben, werde ich doch eines Besseren belehrt.«
Shiori, deren Gesicht wieder eine normale Farbe annahm, lächelte. »Dieser Yasu muss wirklich ein besonderer Mensch sein.«
 »Das ist er«, sagte Akiyoshi, ohne zu zögern. »Ich will nicht übertreiben, doch ich bin überzeugt davon, dass man selbst in hundert Jahren noch voller Ehrfurcht von ihm sprechen wird.«
»Das hört sich jetzt wirklich übertrieben an«, meinte Shiori. »Das ist wohl kaum möglich.«
»Wenn du ihn kennen würdest, sähest du es genauso«, entgegnete Akiyoshi. »Das kannst du mir glauben.«
 »Wenn Ihr das sagt.«
 Er konnte ihr anhören, dass sie ihn nicht ernst nahm. Übel nehmen konnte er ihr das nicht. Dennoch war das, was er ihr zu ihr gesagt hatte, nicht nur Gerede, sondern seine ehrliche Meinung. Aber natürlich hieß das längst nicht, dass sie ihm das glauben musste.
 »Was ist eigentlich das Ziel Eurer Reise?«, wechselte Shiori das Thema.
Dermaßen unvermittelt, dass er vor lauter Überraschung aus Versehen sogar auf ihre Frage antwortete. »Iga.« Kaum hatte er es gesagt, wäre er am liebsten direkt im Boden versunken. Denn auch wenn Shiori hier in einem kleinen Dorf auf dem Land kam, musste sie wissen, wofür Iga stand. Und dass sie das tat, konnte er daran erkennen, wie sie ihn ansah.

Der letzte Gruss des SamuraiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt