»Du willst mir etwas zeigen?«, erkundigte Akiyoshi sich bei ihr und Shiori entging nicht die Irritation, welche in seinem Blick lag. »Was denn?«
»Das werdet Ihr dann schon sehen«, sie grinste. »Aber ihr braucht keine Angst zu haben.«
»Habe ich nicht«, entgegnete er, ohne zu zögern. »Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mir ein bisschen Sorgen mache. Wenngleich nicht um mich.«
Shiori grinste breit und hakte sich dann bei ihm unter, woraufhin sich Akiyoshis Stirnrunzeln nur vertiefte. »Keine Sorge, ich habe alles im Griff. Und wenn nicht, habe ich ja Euch, auf den ich mich verlassen kann.«
»Du machst es dir ja wirklich sehr leicht«, merkte Akiyoshi an und seufzte. »Aber gut. Einverstanden. Wo willst du hin?«
»Es ist nicht weit von hier«, versicherte sie ihm. »Die Pferde können wir hier stehen lassen.«
»Wenn du meinst.« Akiyoshi klang immer noch nicht so ganz überzeugt, äußerte jedoch keinerlei Widerworte zu ihrem Vorhaben. »Also wo geht es hin?«, fragte er sie sogar nach einer kurzen Weile.
Sie lächelte. »Das werdet Ihr schon noch sehen«, meinte sie keck und ging, immer noch bei ihm untergehakt, los.Es war ein schönes Gefühl, ihm so nahe zu sein, stellte sie dabei fest. Sie konnte zwar, während sie neben ihm lief, nicht richtig seine Gesichtszüge erkennen, es sei denn, sie würde stehen bleiben, um ihn direkt anzusehen. Doch das tat sie nicht. Im Gegenteil. Stattdessen ging sie neben ihm weiter. Sie konnte sich auch irren, dennoch erschien es ihr, als ginge von ihm ein Geruch aus, wie der von einer Kiefer aus, die hier vereinzelt wuchsen. Überhaupt fand sie, dass sich sein Charakter damit schon sehr gut beschreiben ließ. In sich ruhend wie einer dieser großen Bäume, die tief ihre Wurzeln in den Boden schlugen, um dort Halt und über viele Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte hinweg ihren Platz zu finden.
»Was willst du mir denn zeigen?«, erkundigte sich Akiyoshi, der langsam ungeduldig zu werden schien.
Sie lächelte. »Habe ich Euch neugierig gemacht?«, wollte sie wissen, obwohl sie die Antwort kannte.
»Nicht nur ein bisschen«, antwortete Akiyoshi.
»Dann kann ich nur hoffen, dass Eure Erwartungen nicht zu groß sind, denn es ist nichts besonderes. Jedenfalls nicht für andere.«
»Was meinst du damit?«, fragte Akiyoshi und blieb so abrupt stehen, dass sie beinahe stolperte.
»Nun ja, Ihr hattet mich doch nach meinen Eltern gefragt«, begann sie zögernd. »Es gibt eine Sache, die ich von ihnen erhalten. Jedenfalls glaube ich das. Ganz sicher bin ich mir auch nicht. Doch egal was passiert, Ihr dürft auf keinen Fall meinem Großvater davon erzählen.«
Akiyoshi zog eine Braue in die Höhe.
»Das meine ich ernst«, versicherte Shiori ihm. »Also versprecht Ihr es mir bitte? Es ist mir wichtig.«
Er sah sie einen Moment von oben bis unten mit einem Blick an, den sie nicht zu deuten verstand. »Also gut. Ich hoffe nur, dass ich das nicht bereuen werde. Oder du.«
»Das hoffe ich auch.« Sie verzog für einen Augenblick das Gesicht. »Ich weiß auch, dass ich Euch noch nicht sehr lange, trotzdem...« Sie brach ab. »Ich denke, mein Geheimnis ist bei Euch sicher.«
Akiyoshi nickte. »Es gibt ja auch niemanden, dem ich etwas über dich erzählen könnte.«
»Ihr habt Towa kennengelernt. Wenn Ihr es darauf anlegen würdet, könntet Ihr es ihm erzählen«, meinte Shiori, die sich ihrer Sache nicht mehr so sicher war.
»Was hätte ich davon?«, fragte Akiyoshi. »Außerdem mag ich es nicht, über andere Menschen schlecht zu reden. Ich finde das ist armselig. Besonders, wenn jene nicht da sind.«
Jetzt war es Shiori, die nickte. »Da habt Ihr Recht«, stimmte sie ihm zu und lächelte wieder. »Davon abgesehen kann ich das Geheimnis nicht länger für mich behalten. Towa würde mich nicht verstehen und Großvater mir nichts sagen, also seid Ihr perfekt dafür. Vor allem, da Ihr ja in wenigen Tagen ohnehin nicht mehr hier seid.« Was sie zugegeben etwas traurig machte.
Er erwiderte ihr Lächeln. »Ich verspreche, dass ich deinem Großvater nichts erzählen werde, von dem was du mir zeigen und sagen wirst.«
»Danke!« Shiori fiel erst jetzt auf, wie angespannt sie war. »Das bedeutet mir sehr viel.«
»Du machst mich mit all dem nur immer noch neugieriger«, entgegnete Akiyoshi. »Das weißt du, oder?«
Sie nickte. »Ihr werdet mich aber sicher gleich verstehen.«
»Ist es denn noch sehr weit?«, erkundigte er sich. »Langsam fängt es an dunkel zu werden.«
»Ich weiß.« Sie blieb stehen. »Wir sind jetzt auch schon da«, teilte sie ihm dann mit. Sie deutete auf einen kleinen Schrein. »Wisst Ihr wem dies geweiht ist?«Akiyoshi betrachtete ihn. »Wenn ich mich nicht irre ist es Inari-kami, der Fuchsgott, der gerne seine Späße mit anderen treibt.«
Wieder nickte sie. »So ist es«, bestätigte sie. »Aber das worum es geht, ist nicht dieser Schrein, sondern das, was in diesem enthalten ist.«
»Was darin ist?«, wiederholte Akiyoshi und runzelte die Stirn.
»Ja, nämlich das hier.« Sie öffnete die kleine Öffnung des Schreins, griff hinein, nur um ein Stück beschriebenes Washi-Papier heraus zu nehmen, und hielt es ihm hin. »Ich vermute, Ihr könnt lesen.«
Jetzt war es Akiyoshi, der nickte. »So ist es.« Er zögerte kurz. »Mutter hat es meinem Bruder und mir beigebracht. Sie ist die Tochter eines Kaufmanns, der, als sie meinen Vater kennenlernte einflussreich war.«
»War? Dann ist dies nun Vergangenheit?«, wollte Shiori wissen, auch wenn sie ahnte, dass sie sich mit dieser Frage auf dünnem Eis befand.
»Ja. Er hat sich mit den falschen Leuten abgegeben«, antwortete Akiyoshi. »Genau wie mein Vater und ebenso mein Bruder, auch wenn es mich bekümmert das zu sagen«, ergänzte er kurz darauf.
»Verstehe. Das tut mir leid.«
Akiyoshi schüttelte den Kopf. »Nein, du verstehst nicht«, entgegnete er ernst. »Aber danke trotzdem.« Er hielt kurz inne. »Um also deine Frage zu beantworten: Ja, ich habe lesen gelernt.« Er nahm das Washi-Papier entgegen.
»Ich kann leider nicht sehr gut lesen und schreiben«, gab Shiori zu. »Vor allem nicht chinesische Schriftzeichen.«
Akiyoshi lächelte. »Das wird für dich in deinem Leben wohl auch nicht wichtig sein.«
Sie wusste, dass er das nicht aus Böswilligkeit sagte. Sondern eher, um sie zu beruhigen. Es ärgerte sie trotzdem. Shiori atmete tief durch, damit ihr nichts Unbedachtes über die Lippen kam, was sie später bereuen würde.
Er bemerkte ihr Dilemma. »Keine Sorge, sag ruhig was du denkst.« Sein Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen.
»Also gut.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn Ihr darauf besteht.«
»Das tu ich nicht unbedingt. Aber es ist schon gut.«
»Schön.« Sie sah ihn mit einem herausfordernden Blick an. »Wisst Ihr, ich wünsche mir, Menschen zu helfen, so gut ich es kann.« Sie senkte ihre Stimme. »Ich wäre so gerne eine richtige Ärztin. Und auch wenn unser Dorf weit ab von der nächsten größeren Stadt ist, so haben doch auch wir hier schon von den Fremdländern gehört, die aus fernen Ländern kommen und von dem Wissen, das sie mitbringen.«Akiyoshis Blick verfinsterte sich. »Fremdländer? Waren welche hier in deinem Dorf? Hast schon einmal einen gesprochen?«, erkundigte er sich alarmiert bei ihr.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich habe viel von ihnen gehört.«
»Du solltest nicht auf alles hören, was man dir über sie erzählt. Es ist gefährlich, sich mit ihnen einzulassen. Das wird dir nur Unglück bringen.«
»Das hört sich an, als würdet Ihr im Gegensatz zu mir jemanden kennen«, entgegnete sie. »Wie sind sie so? Erzählen sie von dem Land, aus dem sie kommen? Wie leben die Menschen dort, sind sie uns sehr ähnlich?«
»Sie sind nicht viel mehr, als ungewaschene Barbaren, die eine ebensolche barbarische, wie seltsame Sprache sprechen. Es ist nicht gut, sich mit ihnen einzulassen. Das Land, aus dem sie kommen, werden wir ohnehin niemals sehen. Außerdem sind ihre Ideen gefährlich für uns, gerade jetzt, da unser Land ohnehin nicht geeint ist.«
Shiori seufzte. »Ich verstehe nicht viel von solchen Themen. Doch wenn Ihr damit meint, dass ich hier versauern und bis an mein Lebensende und alles akzeptiere, kennt Ihr mich schlechte. Lieber riskiere ich etwas, als das ich mein Leben lang unglücklich und voller Reue bin. Niemand wird mich davon abhalten, irgendwann von hier fortzugehen. Besonders nicht Ihr.«
Akiyoshi nickte. »Das habe ich schon verstanden. Letztlich ist es deine Entscheidung, was du mit deinem Leben machst. Ich werde dich nicht aufhalten. Das ist schließlich nicht meine Aufgabe.«
»So ist es«, stimmte sie ihm zu und war froh, dass er nicht weiter in sie drang. Vor allem da sie keine Lust hatte, mit ihm zu streiten. Sie deutete auf das Papier in seiner Hand. »Wollt Ihr es nicht endlich lesen? Bald geht die Sonne unter und dann verschwindet auch das letzte Licht des Tages«, erinnerte sie ihn.Wieder nickte er und tat wie geheißen. Doch kaum hatte er schon die ersten Sätze gelesen, weiteten sich seine Augen vor lauter Überraschung. »Ist das wahr?«, fragte er sie.
Sie lächelte, zuckte aber mit den Schultern. »Wie gesagt, ich bin nicht gut im lesen und mein Großvater erzählt mir nichts. Deshalb kann ich Euch leider nicht antworten.«
Akiyoshi runzelte die Stirn. »Dann weißt du nicht, was genau hier drin steht?«, erkundigte er sich.
»Leider nicht«, antwortete sie. »Ich hatte gehofft, dass Ihr mir diese Frage beantworten könnt.«
Auf einmal sah Akiyoshi so ernst aus, dass es ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
»Was ist?«, wollte sie wissen und begann langsam sich ernsthaft Sorgen zu machen.
Akiyoshi deutete auf den Brief. »Zuerst sag mir, wie viel du davon verstanden hast. Vor allem aber, woher du es hast.«
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Der letzte Gruss des Samurai
Historical FictionJapan im März 1567, Zeit der streitenden Reiche. Gerade als Akiyoshi seinen Tod akzeptiert hat, rettet die junge Shiori ihm das Leben. Obwohl er sich zu ihr hingezogen fühlt weiß Akiyoshi, seines Zeichen Samurai, dass er nun da er überlebt hat, sein...