Kapitel 10

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»Also wirklich, wieso hast du nicht gesagt, dass es dir nicht gut geht?«, grummelte Akiyoshi vor sich hin und strich Shiori ein paar vorwitzige Strähnen aus dem schlafenden Gesicht. »Wobei andererseits... Eigentlich kann ich es mir schon denken.« Er seufzte. Dann sah er sie an.
Wie Shiori da so auf dem Futon lag, erschien sie ihm unglaublich zerbrechlich und zart. So als könnte sie schon eine Kleinigkeit verletzen. Außerdem fühlte er sich von ihr auf Weise angezogen. Er konnte selbst nicht genau sagen, was der Grund dafür war. Ob es wohl daran lag, dass sie ihm von Anfang an vorbehaltlos und ohne eine Gegenleistung zu erwarten geholfen hatte? Oder doch daran, dass sie, selbst wenn sie bestimmt viele Fragen an ihn haben musste, trotzdem nicht weiter in ihn drang? Jeder andere außer ihr hätte das mit Sicherheit getan. So wie Towa zum Beispiel. Akiyoshi wusste immer noch nicht, was er von diesem halten sollte. Doch das spielte nun keine Rolle mehr. Das, was jetzt wichtig war, war, dass es Shiori bald wieder besser ging. Als Akiyoshi daran dachte, dass er in zwei Tagen abreiste, bekam er beinahe ein schlechtes Gewissen. Er würde sie hier zurücklassen. Natürlich würde er das. Etwas anderes kam gar nicht erst in Frage. Auch wenn sich tief in seinem Inneren eine leise Stimme zu Wort meldete, die sich etwas anderes wünschte. Er wusste, würde er sie fragen, würde sie ihn begleiten. Doch ihm war klar, dass das keine Alternative war. Shiori gehörte hierher. Hier war sie in Sicherheit. Vor allem dann, wenn er selbst wieder aus ihrem Leben verschwand.
»Ich weiß, dass du es von mir nicht hören möchtest aber du verdienst ein ruhiges Leben. Sicherheit und bei den Menschen zu sein, die du liebst«, flüsterte er und beugte sich nach vorne und küsste sie sanft auf die Stirn. »Das ist nichts, was ich dir bieten kann.« Selbst wenn er sich wünschte, dass es das Gegenteil der Fall wäre.
Als Shiori sich auf die andere Seite umdrehte und ihr Gesicht von ihm abwandte, gestattete er sich ein Seufzen. So viele Menschen, welchen er begegnete, glaubten, dass der Weg eines Samurai ein einfacherer war. Doch darin täuschten sie sich, davon war er überzeugt. Natürlich, als solcher genoss er Vorzüge in der Gesellschaft, über die andere nicht verfügten. Das stritt er auch gar nicht ab. Trotzdem: Das hieß noch lange nicht, dass sein Leben leichter wurde. Im Gegenteil. Er war überzeugt, dass es gerade diese Stellung war, die einiges komplizierter machte. Andererseits: Würde er sein jetziges Leben, gegen das eines gemeinen Bürgers oder Bauern eintauschen wollen? Er kannte die Antwort. Nein, das würde er nicht. Niemals. Nicht jetzt, nachdem er endlich einen Dienstherren hatte. Nun war sein Schicksal untrennbar mit ihm verbunden. Wie zwei Seile, welche man fest miteinander verknotete. Shiori hatte ihn vorhin einmal gefragt, ob er es bereute, dermaßen schnell zugestimmt zu haben. Nein, das tat er nicht. Nicht einen einzigen Moment.
»Akiyoshi...«
Er zuckte kurz zusammen, als er sie seinen Namen sagen hörte. Was ihn am allermeisten faszinierte war, dass sie, anders als bisher, ohne eine Höflichkeitsfloskel aussprach. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin hier und beschütze dich.« Zumindest bis übermorgen fügte er in Gedanken hinzu.

»Was ist denn hier passiert?«
 Er sah auf, als er die Stimme von Shioris Großvater hörte. »Hier drüben.«
 »Shiori!« Nur allzu gut konnte Akiyoshi den Schrecken hören. »Was ist los? Ich habe vorhin Towa-kun getroffen. Er meinte es ginge ihr nicht gut.«
 »Sie schläft nur. Ihr müsst Euch keine Sorgen machen Hashimoto-sama«, versuchte er ihn zu beruhigen. »Sie hat sich nur ein wenig zu viel zugemutet, das ist alles.«
 »Das ist alles?«, wiederholte Tatsuo. »Das reicht doch auch schon, denkt Ihr nicht? Also wirklich. Dieses Mädchen macht nichts außer Ärger.« Es klang mürrisch.
 Akiyoshi jedoch war sich sicher, dass Tatsuo es nicht so meinte, wie es sich anhörte. Dank Yasu hatte er inzwischen gelernt, Menschen, die sich auf diese Art verhielten leichter zu durchschauen. Selbst wenn es ihm bei seinem Dienstherren immer nicht so gut gelang. Doch bei Tatsuo war es leicht. Außerdem war dieser die engste Bezugsperson von Shiori. Natürlich machte er sich da Sorgen. »Ich werde in zwei Tagen abreisen«, teilte Akiyoshi ihm mit, um ihn ein wenig abzulenken.
  »Verstehe.« Einen Moment sah Tatsuo so aus, als ob er etwas dazu sagen wollte, doch dann ließ er es bleiben.
 »Ich möchte mich auch noch einmal bei Euch bedanken«, fuhr Akiyoshi fort. »Ich würde mich gerne erkenntlich zeigen, doch leider wurde mir bei dem Überfall mein ganzes Geld abgenommen.«
 »Schon gut.« Tatsuo winkte ab. »Ihr könnt mir wohl nicht sagen, zu wem diese Männer gehören und wer sie waren?«
 Akiyoshi schüttelte den Kopf. »Zu wem sie gehören weiß ich auch nicht. Sie sind jedoch gefährlich, doch das muss ich Euch wohl kaum sagen.«
 »Das ist wahr.« Tatsuo nickte. »Hört mir zu, das Einzige was ich will, ist, das Shiori nicht in Gefahr ist und ein ruhiges Leben hat.«
 »Natürlich.« Nun war es Akiyoshi, der nickte. »Das wünsche ich mir auch.«
 »Gut. Das freut mich sehr zu hören.« Zum ersten Mal, seit er Tatsuo traf, lächelte dieser ihn an. »Mir ist auch bekannt, dass es ihr hier oft langweilig ist. Aber lieber ein Leben in Langeweile führen, als eines in Gefahr, denkt Ihr nicht auch?«
 »Ja, da habt Ihr zweifelsohne Recht«, stimmte Akiyoshi ihm zu.
 »Schön, dass wir da einer Meinung sind«, Tatsuo klang ehrlich erleichtert. Er zögerte kurz. »Ich sage das, weil Ihr ein ehrenhafter junger Mann zu sein scheint: Ich hoffe, dass Ihr wisst, was es bedeutet, oder wenigstens bald lernt, den Weg des Bushido zu wählen.«
 »Einsamkeit«, flüsterte Akiyoshi.
 »Ja. Nicht immer aber doch oft«, bestätigte Tatsuo. »Das hängt von Eurem Dienstherren ab und natürlich besonders von Euren eigenen Motiven, die Ihr habt.«
 »Ich weiß.« Akiyoshi sah hinüber zur Shiori. »Ich werde Euch nicht noch einmal fragen, warum Ihr das Leben als Ronin wähltet. Auch wenn ich es wirklich zu gerne wissen aber-«
»Ich habe es für sie getan«, unterbrach Tatsuo ihn. »Es gab nur zwei Möglichkeiten. Ich habe mich für den Weg entschieden, der mir damals der richtige zu sein schien.«
 »So etwas in die Richtung habe ich mir schon gedacht«, meinte Akiyoshi und das war nicht gelogen. Er runzelte seine Stirn. »Weiß sie davon?«
»Nein.« Tatsuo schüttelte den Kopf. »Das soll auch so bleiben.«

Akiyoshi starrte ihn an. Er verstand absolut nicht, warum Tatsuo das alles für sich behalten und es ihr nicht erzählen wollte? Steckte womöglich mehr dahinter, als es schien? Doch das ergab keinen Sinn. Andererseits ging es ihn nichts an. Er war schließlich nur ein fremder auf Durchreise. Mit Shiori hatte er eigentlich nichts zu tun. Geschweige denn mit Tatsuo. So wie es aussah. Was vermutlich besser war.
 »Ihr behaltet es also für Euch, klar?« Tatsuo sprach in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er eine andere Antwort nicht akzeptieren würde. Geschweige denn weitere Fragen.
 »Ja, natürlich«, antwortete Akiyoshi daher.
 »Genau das wollte ich hören.« Tatsuo nickte. Er blickte ihn zufrieden an.
 Akiyoshi selbst war alles andere als das. Es ging ihn nichts an. Dessen war er sich bewusst. Trotzdem ein fader Beigeschmack blieb.

»Großvater? Bist du wieder da?«
 Akiyoshi zuckte zusammen. Er war so sehr in sein Gespräch mit Tatsuo und seine Gedanken vertieft gewesen, dass er gar nicht bemerkte, dass Shiori wach wurde.
 »Also wirklich, Shiori. Warum musst du mir immer Sorgen bereiten? Kannst du mir nicht wenigstens zwischendurch einen ruhigen Tag gönnen?«, grummelte Tatsuo.
 »Verzeih mir, Großvater«, entschuldigte Shiori sich zerknirscht. Dann wandte sie sich an ihn. »Ihr bitte auch Akiyoshi-sama. Ich wollte Euch nicht beunruhigen.« Vor ihm verbeugte sie sich sogar.
 »Nein, keine Sorge. Ist schon gut. Du musst dich nicht entschuldigen. Vor allem nicht bei mir.« Akiyoshi erwiderte ihre Verbeugung.
  »Ist schon gut?«, wiederholte Tatsuo. »Ist es nicht. Absolut nicht.« Er blickte erst ihn, dann Shiori finster an.
 Diese seufzte. »Großvater bitte. Ich-«
 Der unterbrach sie mit einer harschen Geste. »Nein. Ich weiß, dass du versuchst anderen so gut wie möglich zu helfen. Doch das heißt nicht, dass du dich komplett verausgaben sollst. Das bringt dir schließlich auch nichts.«
 Akiyoshi nickte zustimmend.
 »Es tut mir Leid, Großvater«, sagte Shiori niedergeschlagen. »Ich versuche das nächste Mal daran zu denken.« Sie sah Akiyoshi an. »Wie wäre es? Wollt Ihr Euch nicht kurz die Füße vertreten? Ich kann Euch zu Eurem Pferd führen, wenn Ihr möchtet. Ihr wollt doch sicher auch einmal nachsehen wie es ihm geht, oder nicht?«
 »Oh ja, natürlich«, antwortete er und lächelte ihr dankbar zu. »Führst du mich hin?«
 »Ja gerne!« Shiori sah aus, als hätte sie genau auf diese Frage von ihm gewartet. »Folgt mir einfach. Es ist nicht weit von hier.«
 Akiyoshi warf Tatsuo einen letzten Blick zu. Dann verbeugte er sich kurz vor ihm. »Wir sehen uns sicher nachher noch einmal, nehme ich an, Hashimoto-sama?«
 Tatsuo nickte. »Selbstverständlich.«
 »Sehr gut. Das freut mich.« Akiyoshi lächelte. »Dann bis gleich.« Damit folgte er Shiori nach draußen.


Der letzte Gruss des SamuraiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt