Kapitel 5

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Shiori wusste, dass sie auf Akiyoshi hören sollte. Er hatte bestimmt Recht, wenn er sagte, dass die Männer, welche ihm folgten, gefährlich waren. Und es machte nur Sinn, dass sie selbst, dann in diese Sache verwickelt war. Dennoch: Sie wollte hören, was er auf seinen Abenteuern bisher so erlebt hatte.
»Also, was möchtest du, dass ich dir erzähle?«, riss Akiyoshi sie in diesem Moment aus ihren Gedanken. »Gibt es irgendwas bestimmtes?«
Sie schüttelte den Kopf. »Fangt mit dem an, womit Ihr Euch am besten fühlt.«
»Das ist leichter gesagt, als getan«, meinte Akiyoshi. »Mein ganzes Leben war bisher nicht gerade ruhig, geschweige denn lustig.«
»Ich habe doch auch nicht nach einer lustigen Geschichte gefragt, oder?«, wollte sie wissen.
»Auch wieder wahr.« Er nickte. Dann setzte er sich noch einmal bequemer auf dem Futon hin. »Ich darf dir nicht sagen, wer mein Meister ist. Aber vielleicht interessiert es dich, wie ich ihn getroffen habe?«
»Oh ja, unbedingt!«, rief Shiori begeistert. »Er ist nur ein Jahr älter als Ihr, richtig?«
Akiyoshi nickte. »So ist es. Und seit dem Tag, an dem ich ihn getroffen habe, sind nur zwei Monate vergangen. Um genau zu sein, war es an seinem Geburtstag, dem einundreißigsten Januar, als wir uns kennenlernten.«
»Sein Geburtstag?«, fragte Shiori ihn erstaunt. »Das muss ja tatsächlich eine Überraschung gewesen sein. Für euch beide.«
»So ist es.« Wieder nickte Akiyoshi. »Auch wenn ich manchmal immer noch glaube, dass ihm eigentlich nur langweilig war. Aber genau weiß ich das natürlich nicht.«
»Ihr könnt ihn ja mal fragen«, schlug sie ihm vor.
Akiyoshi schüttelte, zu ihrem Erstaunen, den Kopf. »Nein, besser nicht.«
»Warum nicht?«, wollte sie wissen. »Er wird Euch wohl kaum den Kopf abreißen, oder?«
»Mein Meister ist manchmal etwas speziell. Es gibt nicht viele Menschen, die ihn verstehen. Geschweige denn überhaupt welche, die ihm nahe stehen. Dass ich die Ehre habe, kann ich immer noch kaum glauben.«
»Das hört sich an, als ob Ihr ihm sehr nahe steht«, wandte Shiori nachdenklich ein.
»Ich will wirklich nicht arrogant klingen, doch ich denke man kann uns fast Freunde nennen. Oder zumindest Vertraute.« Akiyoshi lächelte. »Was vermutlich keine Überraschung ist, wenn man bedenkt, dass er mir gleich zweimal das Leben gerettet hat.«
»Also jetzt bin ich echt neugierig«, stellte Shiori klar.
»Das habe ich mir gedacht.« Akiyoshi grinste.
»Sehr gut.« Sie erwiderte sein Grinsen. »Also was ist? Ich bin ganz Ohr.«
***

Der Bezirk, in welchem Akiyoshi unterwegs war, war der abstoßendste und verrufenste von allen in seiner Stadt. Hier fand sich der letzte Abschaum, der sich bei Tag meist überhaupt nicht auf die Straße traute. Akiyoshi wäre gar nicht erst hier, wenn er es nicht zwingend gemusst hätte. Doch genau das war der Fall.
»Am besten bring ich das einfach schnell hinter mich«, murmelte er vor sich hin und zog die Kapuze seines Mantels ein Stück tiefer in sein Gesicht. Auch wenn er natürlich wusste, dass es unwahrscheinlich war, dass man ihn erkannte. Denn er war zum ersten Mal hier. Ginge es nach ihm, würde es zugleich das letzte Mal sein. Was tat man nicht alles für seine Eltern. Doch wie sagte schon Buddha: »Ehre deine Eltern.« Manchmal aber fragte er sich, ob es dabei ein Limit gab. Und wenn es das tat, wo es lag.
»Hey, Süßer. Lust auf eine Nacht mit mir? Du kommst ganz sicher auch auf deine Kosten und billig bin ich auch«, hörte er, wie eine Frau ihn von der Seite ansprach.
»So siehst du auch aus«, dachte Akiyoshi bei sich, schnaubte missfällig und ließ sie ohne eine Antwort stehen. Er zog den Zettel mit der Adresse aus seiner Tasche. So weit weg von hier konnte es nicht mehr sein. Er sah sich um. Für einen Moment bedauerte er es, dass er lediglich sein Tantō bei sich trug. Doch sein Katana und Wakizashi hätten ihn augenblicklich als das ausgewiesen, was er auch war: Ein Samurai. Das konnte er sich hier nicht leisten. Oder vielmehr einen Ronin. Denn einen Dienstherrn, dem er dienen konnte, hatte er momentan leider nicht. Was ein weiteres seiner vielen Probleme war, über das er nicht die Zeit hatte, nachzudenken. Zumindest nicht jetzt. Denn jetzt hatte er etwas anderes zu erledigen.
»Aus dem Weg!«

Der letzte Gruss des SamuraiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt