Azarias:
„Zariii!" Der Schrei meines Bruders lässt mich nach Luft schnappend hochfahren. Kalter Schweiß läuft meine Stirn herunter und meine Atemzüge gehen zu schnell, um effektiv zu sein.
Mein Körper brennt und ist gleichzeitig eiskalt. Ein durcheinander beherrscht mich. Mein Drachenflüstern. Schmerzen, die nicht meine eigenen sind, durchziehen mich. Ein Hilferuf, der nicht an meine Ohren tritt, durchfließt mich.
„Ich werde dich sicher nicht küssen!", schreit Theo, der grob mein Gesicht in die Hände nimmt und meinen Blick in seinen zwingt. „Aber wenn du die Panikattacke nicht unter Kontrolle bringst, werde ich dich schlagen müssen", sagt er streng.
Meine Hände krallen sich in das Bettlaken, doch meine Atmung will mir nicht gehorchen. Der Grund meiner Panik ist mir nicht verständlich. Meine Gedanken werden von einem betäubenden Nebel beherrscht. Meine letzte Erinnerung ... nicht greifbar.
Einer Backpfeife gelingt es alles stillzulegen, eine zweite holt mich aus der Starre und die Dritte fange ich schwer, aber effektiver atmend in der Luft ab.
„Schade ... war echt lustig", kommentiert Theo mit einem schiefen Lächeln, das nicht die Sorge in seinen Augen überdeckt. Aber die Qual, die mich in den Zustand versetzt hat, lässt nicht von mir ab.
Mein Blick huscht durch das Zimmer. Nicht mein Gemach. Trotzdem erkenne ich die Holzhütte, die nicht weit vom Palast steht. Theo und ich, wie unsere anderen Geschwister, haben als Kinder hier viel Zeit verbracht.
„Theo, was ist passiert?"
Der Nebel in meinem Kopf verschleiert meine Erinnerungen; meine Gedanken ziehen, wie durch Harz, träge durch ihn. Wann bin ich zurück zum Palast gekommen?
„Dasselbe wollte ich dich fragen. Ich habe erwartet, dass ich mich bei dir entschuldigen muss, weil ich dein Techtelmechtel mit dem roten Drachen störe. Stattdessen liegst du in deinem eigenen Schweiß gebadet schreiend auf dem Boden." Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich auf den Dielen sitze und bemerke meine schmerzenden Glieder.
Gequält reibe ich mir über die Augen. Versuche, den Nebel aus meinem Kopf zu vertreiben.
„Roter Drache?", wiederhole ich und ein rotes Flackern bahnt sich durch den Nebel. „Amaya!"
Panisch blicke ich mich erneut um. Dieses Mal auf der Suche nach der jungen Frau mit dem Feuer in der Iris.
„Wo ist sie, Theo?" Die Worte des Königs, meines Ziehvaters, prasseln zurück in mich.
Der Moment im Thronsaal.
Die Wächter haben sie mitgenommen.
Sie hat sich gewehrt.
Ich habe mich gewehrt.
„Vater hat die Drachenstimme gegen mich verwendet", trifft mich die Erkenntnis. Das Gefühl seiner Berührung; des schwarzen Rauchs, der ihn umgibt und über mich floss, in meinen Kopf eindrang und noch immer dort dominiert. Aber wie konnte er sie gegen mich nutzten? Ich dachte, es wäre nur bei gefügten Drachenseelen möglich.
Die Drachenstimme ist keine Drachenseele, wie die meine und Amayas. Es war ein Geschenk des ersten Drachen an den ersten König, der die Drachen als Verbündete und Freunde ansah. Es sollte den König schützen, sodass nie ein Drache sich gegen ihn wenden würde. Ihm somit die Kontrolle über diejenigen gab, die sich gegen ihn stellen.
Jedoch kann die schwarze Drachenstimme nicht dem Erbe weitergegeben werden, überreicht oder abgegeben wie die Krone. Nein. Nur derjenige, der eine Vulkanascheklinge durch das Herz des Königs drückt, bekommt diese dunkle Kraft.
Den kalten, herzlosen schwarzen Rauch, der nie dazu bestimmt war, mehr als dem ersten König zu dienen.
Die Drachenstimme, die Amayas Mutter, laut der letzten Aussage meines Vaters, der Königsfamilie geraubt hatte und mit ihr verschwinden wollen. Erfolglos.
„Wie lange bin ich hier?" Panisch springe ich auf die Beine, kann dank des Halts meines Bruders den Schwindel ausgleichen und massiere die Schläfe.
„Das weiß ich nicht. Vor vier Tagen seid ihr zum Palast gekommen. Was ist los, Zari? Wo ist dein Mädchen?"
Ich schlucke schwer und blicke in die unschuldigen Augen meines Bruders.
„Auf der Schwelle des Todes", antworte ich und presche aus der Holzhütte.
Im Augenwinkel sehe ich, wie zwei Dutzend Wächter ein schwarzes Monster in den Palast schaffen. Metallketten rasseln, Befehle werden gerufen und ein unterdrücktes Brüllen füllt die angespannte Atmosphäre. Amayas Drachen. Ich stocke einen Herzschlag, will dem Tier helfen. Doch ein Schmerz, der unerträglich ist, reißt durch meine Seele. Mein Drachenflüstern.
Amaya stirbt.
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Drachenflüstern
Fantasy„Ist das alles ein Spiel für dich?", fragt er so wütend, wie lange nicht mehr. „Ja, ist es!", entgegne ich entschlossen. „Ich sterbe lieber mit einem Lächeln auf dem Gesicht, anstatt einem Blick über die Schulter." Amaya ist ihr ganzes Leben auf der...