15: Feuerritt

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Der Wind peitscht mir ins Gesicht, das Auf und Ab schlägt mein Gehirn zu Brei und mein Magen, der die letzten Tage immer gefüllt ist, verkrampft. Verzweifelt kralle ich mich an Azarias fest, der vor mir sitzt. Meine Blessuren sind beinah abgeheilt, sodass die Wächter täglich zügiger reisen. Doch heute scheint das Pferd ein Tempo zu erreichen, wie ich es nicht für möglich gehalten habe. Die Umgebung verschwimmt zu einem grünblauen Fleck. Das Auf und Ab wird stärker. Die Angst greifbarer. Kräftig kneife ich die Augen zusammen und kralle mich tiefer in die Kleidung des jungen Mannes vor mir.

„Langsamer! Bitte!", presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Zuerst glaube ich, der peitschende Wind übertönt meine Worte oder Azarias ignoriert mich. Doch im nächsten Atemzug drosselt er die Geschwindigkeit. Der Wind reißt nicht länger an meinem Haar, wie ein Wolf an seiner Beute.

„Ist alles in Ordnung?", fragt der junge Mann über seine Schulter und ich blinzle dem Sonnenlicht entgegen. Mein Magen krampft und Schweiß perlt meine Stirn herunter.

„Ich muss hier runter!" Ich löse mich von dem jungen Mann, bevor wir zum Stehen kommen. Azarias greift hinter sich, um mich davon abzuhalten, noch im Trab abzusteigen.

Er zwingt das Pferd in einen abrupten Stopp, sodass ich erneut gegen ihn gepresst werde und im selben Schwung vom Pferd gleite. Kaum dass meine Füße im Grass landen, stürze ich auf die Knie und mein Mageninhalt vor mich. Bevor der zweite Schwung mich überfällt, ist Azarias hinter mir und streift mein Haar zu Seite. Meine Kehle brennt von der Säure, ein abscheulicher Geschmack beherrscht meinen Mund und mein Magen schmerzt noch immer.

Kraftlos lehne ich mich an ihn und schließe die Lider. Lausche seinem Herzschlag und stelle mir vor, es sei Keirs. Ich missachte dabei die warmen Finger, die mir das Gesicht tätscheln.

„Pferde sind Monster", sage ich gequält, als er mir Wasser an die Lippen hält.

Ich kann einige Männer lachen hören und muss erschrocken feststellen, dass die fünf Wächter bereits aufgeholt haben. Zu meiner Erleichterung ist weder Clipper noch Riker unter ihnen.

„Ich hoffe, der Drachenprinz hat nicht das Bett mit dir geteilt." Erschrocken reiße ich die Augen auf und rutsche von Azarias ab. Was fällt ihm ein! Drachenmist! Ich gehöre zu Keir!

„Wiederhol das und du singst wie ein Vogel", knurre ich den Mann an und balle meine Hand zur Faust. Die Männer lachen erneut, wenig eingeschüchtert von meiner Drohung. Doch wenden sich ab, um ihre Pferde am Fluss, dem wir seit Tagen folgen, zu tränken. Wenn ich ihnen nachts die Kehle aufschneide, lachen sie nicht mehr!

„Wieso hat er dich Drachenprinz genannt?" Es ist nicht das erste Mal, dass Azarias so genannt wird. Sonst war es jedoch nur ein Flüstern.

Der junge Mann schnauft und schüttelt den Kopf. Er streicht ein paar seiner schwarzen Locken, die ihm während des rasanten Ritts ins Gesicht gefallen sind, beiseite und wendet die Augen auf einen undefinierten Punkt.

„Sie wissen vom Drachenflüstern?" Azarias schnalzt mit der Zunge und blickt zu den Männern.

„Sie spüren es. Es liegt am Drachenblut. Deshalb verstehen sie auch die Drachensprache."

„Haben sie durch das Blut in der Rüstung auch Drachenseelen?" Die letzten Abende hat er mir mehr über die Drachenseele und mein Dasein erklärt. Langsam, aber sicher sickert das Ganze in mich ein.

„Es ist nicht das Blut der Rüstung. Es ist das Blut in ihren Adern. Aber nein. Es erlaubt ihnen nur die Rüstung zu tragen und das Schwert zu führen. Es ist der Grund für die grauen Augen."

„Sie haben sich Drachenblut in die Adern gespritzt?" Azarias nickt.

Sprachlos starre ich zuerst den jungen Mann und dann die Wächter an.

„Bleibt hier sitzen, ich bring das Pferd zum Wasser." Ich nicke dankbar, da der Schwindel noch nicht ganz abgelassen hat. Und lasse mich ins Gras fallen.

Das Murmeln der Männer wird vom Lied der Vögel, dem Summen von Bienen und dem Rauschen des Wassers übernommen. Seit langem fühle ich mich freier, obgleich ich noch eine Gefangene bin. Ich schließe die Lider und nehme tiefe Atemzüge der frischen Luft, um mein Inneres zu beruhigen.

Ein Flüstern bricht durch die Stille.

Eine Sprache, die ich aufgrund der Kette mit der goldenen Murmel nicht hören sollte. Aber mir einen Frieden schenkt.

Ich öffne die Lider und sehe mich um. Die Wächter schenken mir keinerlei Beachtung und Azarias blickt über die Schulter zu mir. Als ich ihn anlächle, wendet er sich erneut dem Pferd zu.

Meine Aufmerksamkeit schweift in die andere Richtung und fällt auf goldblitzende Augen tief im Dickicht. Der Drache. Mein Herzschlag erhöht sich leicht und meine Atmung stockt für einen Atemzug. Ich überprüfe, ob Azarias' Blick wieder auf mir liegt und stemme mich dann auf. Zögerlich schleiche ich zu dem Tier, das sich tiefer in den Wald verkriecht.

Ein letzter Blick über die Schulter und dann verschwinde ich selbst darin.

„Bist du der Drache, der mir helfen wollte?", frage ich das schwarze Tier, das beinah mit dem Schatten verschmilzt und immer tiefer in den Wald tritt.

Das Wispern verändert sich.

„Es tut mir leid, aber ich ... spreche keine Drachensprache." Rede ich wirklich mit einem Drachen? Das Tier legt den Kopf schief und bleibt stehen.

Ein einzelner Sonnenstrahl, der sich durch die Baumkronen kämpft, fällt auf die schwarzen Schuppen des Tieres, die gefährlich glänzen. Sie packen mich in eine Faszination, sodass ich ohne Angst nähertrete. Der kleine Drache zieht den Kopf ein Stück tiefer und drückt die Flügel enger an seinen Körper. Er ist bei weitem nicht so angsteinflößend, wie ein Pferd und so viel schöner.

„Du brauchst vor mir keine Angst zu haben."

Der warme Atem des Tieres kitzelt meine Haut. Einen Schritt vor dem majestätischen Drachen bleibe ich stehen. In seiner geduckten Haltung sind wir auf Kopfhöhe. Ich müsste meine Hand nur heben und ich könnte seinen Kopf streicheln, wie den eines Hundes.

„Du tust mir aber auch nichts, oder? Also ich meine wegen meiner Drachenseele und so ... oder? Ich weiß nicht, wie das alles funktioniert. Aber ich glaube nicht, dass du mir etwas tust, oder? - Du wolltest mir damals helfen. Du wusstest, dass die Wächter kommen! Du wolltest mich in der Höhle verstecken." Der Drache legt den Kopf auf die andere Seite, sodass seine goldenen Augen das Licht einfangen und wie ein Diamant in sich brechen. „Vielleicht kannst du mich auch nicht verstehen."

Mein Blick schweift über den Körper des Tieres bis hin zur Schwanzspitze und zurück über seinen Bauch, an dem die Schuppen anders schimmern. Kraftloser. Beinah wie eine Narbe. Ich erinnere mich an die Schwerthiebe der Wächter und schlucke schwer.

„Es tut mir leid, dass dir meinetwegen weh getan wurde." Ich strecke mich nach dem Tier. Um es zu trösten. Aber auch, weil der Drang in mir aufsteigt herauszufinden, wie sich die Schuppen anfühlen.

„Amaya, nicht!", schreit Azarias in dem Moment, in dem meine Hand die schwarze Haut des Drachen berührt. Die hart, aber überraschend weich ist. Wie fellüberzogene Knochen. Warm wie Azarias Berührung. Aber leicht feucht.

Dann ändert sich alles schlagartig.

Die Luft wird aus meinen Lungen gepresst, meine Haut flammt auf, meine Sicht wird schwarz. Mein Bewusstsein verliert sich.

Als rausche es durch einen Feuertunnel, wird es durch etwas gezogen. Flammen, die nach mir schnappen; mir nicht erlauben aufzuatmen.

Dann pralle ich hart auf und alles wird schwarz.

DrachenflüsternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt