19: Das Opfer der Überzeugung

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„Ilaria Midori Anali, die rote Drachenseele." Sein Griff um mein Kinn wird enger. „Du siehst aus wie deine Mutter", raunt der ältere Mann und dreht mein Gesicht grob von einer Seite zu anderen. Dann hebt sich sein rechter Mundwinkel und er schnaubt amüsiert. „Genauso verängstigt, wie in dem Moment, in dem ich mein Schwert durch sie rammte."

Mit einem Schlag fällt die Furcht ab.

Ein Wimpernschlag vergeht, um sicherzugehen, dass ich die Worte nicht missverstanden habe. Dann überfällt mich Wut. Im selben Atemzug löse ich mich von Azarias und springe auf den König.

Der Versuch ist nicht nur aufgrund meiner Schwäche, Erschöpfung und Unterlegenheit aussichtslos. Kaum dass ich den König berühre, durchzieht mich ein Schmerz, der mich in den Tod zu reißen versucht.

Mein Aufschrei hat mich noch nicht ganz verlassen, als Azarias mich von dem Mann zerrt, der gerade zugegeben hat, am Tod meiner Mutter Schuld zu tragen. Dieser lacht, als habe er einen Scherz gehört, der in die Geschichte eingehen wird.

„Töricht wie deine Mutter. Muss wohl an dem roten Drachen liegen", kommentiert er, während ich versuche mich von Azarias zu lösen, um den Mann erneut anzuspringen. Doch der Griff um meine Mitte ist unbezwingbar, wie ein Fels in der Brandung. Wie Welle zerschlagen meine Befreiungsversuche kläglich daran.

„Ich werde keine Drachen für dich erwecken! Ich werde dich töten!", schreie ich und zerre an dem junge Mann.

Ein Schlag ins Gesicht lässt mich erstarren und den Atem anhalten. Der zweite zwingt Tränen in meine Augen. Der dritte scheint auch Azarias wach zu rütteln, denn für den Vierten wendet er mich so, dass die Hand des Königs mich verfehlt. Dafür trifft sie den jungen Mann; gefolgt von einem Fausthieb, der seinen Griff, um mich löst.

Da ich mit dem abrupten Verlust des Halts nicht gerechnet habe, sacke ich zusammen. Der junge Mann taumelt einige Schritte zurück und blickt mit aufgerissen Augen zu dem Mann, der ihn anscheinend großgezogen hat.

„Sei nicht töricht, mein Junge! Lass dich nicht von der roten Drachenseele einwickeln. Sie ist manipulativ, gerissen und verrät dich!"

Dann wendet der König sich erneut zu mir. In seinen schwarzen Augen sehe ich mein verängstigtes Spiegelbild.

„Du wirst keine andere Wahl haben! Und in ein paar Jahren, nachdem du mir eine Tochter gebärst, wirst du mich anflehen, mir jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Zumindest war das der Plan mit deiner Mutter. Aber wir lernen aus Fehlern. Dieses Mal wird es mein Kind." Ein tiefes Lachen rollt von den Wänden und die Luft scheint mit einem Schlag abzukühlen.

„Ich werde dir sicherlich kein Kind gebären!"

„Wie unschuldig du doch bist. Glaubst du, du hast eine Wahl? Du, meine Liebe, wirst dich noch herrlich in meinem Bett amüsieren." Erneut hallt ein tiefes Lachen von den kahlen Wänden, das mir den Atem raubt. „Und ich bin dein KÖNIG! Sprich mich mit dem Respekt an, der mir gebührt!"

Er ist nicht mein König!

Er ist der Mörder meiner Mutter!

„So weit muss es nicht gehen. Ich werde sie bändigen. Ich kann sie überzeugen! Mein König, Ihr habt mir versichert, Ihr würde nichts geschehen", meldet sich Azarias zum ersten Mal zu Wort und tritt vor mich. Bei Notzucht scheint auch er eine Grenze zu setzen.

Ob er wusste, dass der König meiner Mutter ein Schwert in den Leib gerammt hat?

„Du, mein Junge, bist beinah so naiv wie das Mädchen. Ich habe schon befürchtet, dass Euer Seelenband in den Weg kommt. Aber vergiss nicht, wer dich aufgezogen hat, Junge. Und wer es war, der dich zurückgelassen hat. Allein. Mit Schmerzen. Ein kleines Kind."

Der König legt seine Hand auf Azarias' Schulter. Für einen Außenstehenden könnte es väterlich wirken. Doch ich sehe die Veränderung im blauen Drachenflüstern. Wie es panisch um den schwarzen Rauch kräuselt. Hat der König eine Drachenseele? Eine schwarze? Aber Azarias hat nur von rot und blau gesprochen.

„Wenn du sie dir nehmen willst, mein Junge, ist mir das auch recht. Ein roter Drache - geborgen von einem blauen. Was das wohl ändern würde?"

Der König legt den Kopf schief, als denke er tatsächlich darüber nach, seinen Ziehsohn zur Notzucht aufzufordern.

„Wir sollten es versuchen. Du hast meinen Segen, Azarias." Der König klopft ihm auf die Schulter. Die Wut ist mit der aufgebrachten Röte gewichen und Vorfreude blitzt in seinen Augen.

Mein Körper wird mit jedem Wort weiter gelähmt. Meine Gedanken kreisen so schnell, dass mein Körper nicht länger meiner Kontrolle obliegt. Fordert er Azarias zu Notzucht auf? Droht er mir, mich selbst zu misshandeln? Wie verdorben muss ein Mensch sein, bei solchen Worten auch noch zu grinsen? Wie konnte ich glauben, dies sei ein Spiel, für das ich gewappnet bin?

Drohe ich mich zu verbrennen?

„Du hast die Wahl, Mädchen! Du wirst Drachen erwecken, bis deine Tochter es kann!"

Der König zerrt mich an den Haaren auf die Beine. Mit der Paralyse bleibt auch der Schmerz aus. Weshalb ich nicht erneut zu Boden stürze, kann ich nicht sagen.

„Du kannst wählen, ob du es unter Folter und Qualen tust, oder die Vorzüge des Palastes genießt - wie deine Mutter es zu Beginn tat und hätte weiter tun sollen." Der ältere Mann leckt sich über die Lippen und ein Funkeln, dass dem von Riker gleicht, lässt mich schlucken. „Deine Verpflichtung einer Tochter kann mit Fesseln oder Liebkosungen geschehen. Mit meinem Jungen ... oder mir. Wähle. Aber denk daran, du wirst Drachen erwecken!"

„Nein!", schreie ich mit ganzer Kraft und kann erahnen, welches Schicksal ich soeben unterschrieben habe. Wenn meine Mutter sich nicht dem Willen dieses Monster untergeben hat, vor dem Palast floh und mich warnte kein Drachen zu erwecken, was wäre ihr Opfer wehrt, wenn ich ihre Überzeugung mit den Füßen trete. Sie muss Gründe gehabt haben. Gründe, die ich noch verstehen muss.

***

Ich dachte damals auf der Lichtung, dass Schläge nicht brutaler sein könnten. Glaubte, dass die Bewusstlosigkeit mir helfen würde. Doch wenn ich jemals Erlösung durch sie brauchte, ist es jetzt. Wenn der Tod jemals so verlockend war, dann jetzt.

Erneut schellt eine Peitsche auf meinen Rücken. Kleine Widerhaken an dessen unzähligen Enden geben mir das Gefühl, dass die Haut bei lebendigem Leib abgerissen wird.

Die Fesseln, in denen ich hänge - da ich mich schon lang nicht mehr auf den Beinen halten kann - schneiden tief in mein Fleisch. Scheinen die Gelenke aus ihren Fassungen zu zerren. Mein Körper ist so schwach, dass ich seit geraumer Zeit nicht mehr schreie. Selbst ein gequältes Stöhnen bricht nicht länger aus mir. Lediglich Speichel und Blut tropft aus meinem Mund, in dem der metallische Geschmack mich nicht länger zum Würgen bringt. Trotz meiner geschlossenen Lider blitzen Sterne vor meinen Augen.

Innerlich flehe ich um Erlösung. Die Bewusstlosigkeit - selbst den Tod.

Ein erneuter Hieb der Peitsche, ein Schlag ins Gesicht und Salzwasser, das über meine Wunden geschüttet wird, beweisen mir, dass mein Bewusstsein, wie mein Leben, nicht vor haben loszulassen.

Die Folter dauert inzwischen mehrere Stunden. Doch ich glaube, bereits Wochen hier zu hängen. Zu leiden. Zu sterben. Nicht einmal der Gedanke an Keir, hält mich noch am Leben. Ich bin bereit. Bereit loszulassen. Doch die Männer treiben mich nur bis an die Schwelle des Todes. Nur bis kurz davor, bevor sie mir einen Moment zum Aufatmen geben.

Denn töten dürfen sie mich nicht.

Noch nicht.

Nicht, solange mein Leib kein Kind getragen und ein Mädchen geboren hat. So lange wird mein Leben kein Ende finden dürfen. Die Folter einen Grund haben. Und dies ist nur der erste Tag meines zukünftigen Lebens. Im ewigen Schach und das Schachmatt unausweichlich.

Ich sollte kein Spiel spielen, das ich nicht gewinnen kann.

Sonst verbrenne ich mich. Und das habe ich.

DrachenflüsternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt