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LUELLA

wenige Stunden zuvor...

Die Sonne brennt gnadenlos auf die Straßen der Stadt nieder. Der Sonnenschirm unter dem ich sitze, schirmt mich wenig von den heißen Strahlen ab. Es ist so unerträglich heiß heute. Selbst das Wasser in der Plastikflasche, die ich in meinen Händen halte, ist lauwarm. Der einzige Trost ist der Mond, der die Sonne langsam ablöst. Es muss neun Uhr sein. Eine Uhr habe ich nicht. Ich sitze mit den anderen Mädels im Innenhof des Bordells, inmitten von Santa Fé. Ich habe mir das nicht ausgesucht, sondern wurde hineingeboren. Vermutlich komme ich nie aus diesem Drecksloch heraus. Für Leute wie mich, gibt es keine Perspektive.
»Träumst du?«, fragt mich Ara, meine beste Freundin. Sie wischt sich die Hände an einem Handtuch ab und sinkt neben mich unter den schützenden Schirm. Ara kellnert an der Bar. Sie ist eine der wenigsten, die aus diesem Ort herauskommen. Sie hat eine hübsche Wohnung in einer halbwegs sicheren Gegend, außerhalb von Santa Fé.

»Nein, ich war nur in Gedanken«, murmle ich und blicke auf meine Flasche in den Händen. Ara legt die Füße auf einen der leeren Stühle und schiebt sich ihre Sonnenbrille tief ins Gesicht. »Das nennt man träumen, corazón.«
»Nenn es doch, wie du willst«, murmle ich weiter. Seufzend zieht sie sich eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche ihrer Schürze und reicht mir eine. Still nehme ich sie entgegen und lasse sie mir von ihr anzünden. Während das erste Nikotin meine Lungen füllt, schaue ich sie von der Seite an. Die dunkelhaarige hat ihre wilden Locken sorgfältig platziert und eine glitzernde Spange hineingesteckt. Wie jeden Abend funkelt der Lidschatten im Licht, als sie nach unten schaut. Ihre Lippen sind blutrot, so wie meine, da sie mir ihren Lippenstift immer leiht. »Hast du heute schon etwas vor?«
»Nein, heute ist niemand angemeldet«, schüttle ich den Kopf. Ich weiß wovon sie spricht. Sie klemmt sich ihre Zigarette zwischen die Lippen und hebt ihre Hand in meine Haare. Mit einer Bewegung streicht sie sie mir über die Schulter und betrachtet mich. »Du siehst heute gut aus.«
»Danke«, ausatmend dränge ich den Rauch aus meinen Lungen und zwinge mir ein knappes Lächeln auf. »Nein im Ernst kleine, das Outfit steht dir.«
»Es ist deins«, erinnere ich sie daran. Ara nickt und setzt sich ihre Sonnenbrille in die Haare. Endlich erkenne ich ihre sturmgrauen Augen im Schein der untergehenden Sonne. »Ich habe es dir geschenkt«, wendet sie ein und ihre Mundwinkel heben sich nach oben. Nickend sehe ich an mir hinab. Der schwarze Stoff des Bodys passt wie angegossen und verschwindet im Bund der knappen Jeansshorts. Die Enden der Hose sind ausgefranst, die Taschen schauen ein Stück heraus. »Ich bin mir sicher, das du mit dem Teil eine Menge Kohle machen wirst«, sagt sie zuversichtlich. Sie weiß genau wie ich, wie sehr ich das Geld brauche, das ich hier verdiene. Irgendwann will ich hier raus. Aber ohne Geld werde ich es nichtmal aus dem Viertel schaffen, geschweige denn aus dem Bordell. Für jedes Mädchen gibt es eine überteuerte Steuer, sollte sie wegwollen. Sie ist so unglaublich hoch, das sich das niemand von uns leisten könnte. Solange ich den Besitzer nicht auszahlen kann, werde ich nirgendwo hingehen. Das ist die bittere Realität.

Ara ist meine einzige Vertraute hier. Sie bewahrt mein Geld auf, da ich den anderen Mädels kein bisschen traue. Es gab schon öfters Fälle, in denen eine der anderen ausgeraubt wurde. Ara legt einen Teil meines Verdienstes, ohne das Wissen des Besitzers, für mich zurück. Aber im Moment habe ich nicht genug um abzuhauen. Sie hat mir versprochen mich aufzunehmen, wenn ich es schaffe. Ara ist meine Familie.
»Hoffentlich«, wispere ich vor mich hin. Als ich nach unten auf meine Zigarette schaue, fallen mir meine Haare ins Gesicht. Ara seufzt neben mir und streicht sie mir erneut zurück. Sie neigt sich ein Stück zu mir, ihre Lippen schweben nah an meinem Ohr. »Lass den Kopf nicht hängen, süße. Du siehst tausend mal besser als die anderen aus.«
Tatsächlich hebt das meine Stimmung etwas an. Ich sehe meiner besten Freundin in die Augen und nicke. »Danke«, lächle ich ihr zu. Ara grinst nur, zieht das letzte mal an ihrer Zigarette und drückt sie anschließend auf dem Beton aus. Der Rauch auspustend erhebt sie sich von dem Klappstuhl und richtet ihre Arbeitskleidung. Sie hat mehr an als wir alle zusammen. Eine lange Hose und ein Spitzenoberteil, das sich an ihre gebräunte Haut schmiegt. Ara stellt uns alle in den Schatten. Ich weiß das die Mädchen froh sind, das sie nur an der Bar arbeitet, denn sie könnte uns locker jeden Kunden wegschnappen. Wie auch immer sie diese Stelle bekommen hat, es ist mir ein Rätsel.
»O, es ist schon fest zehn Uhr. Ich muss vor«, fällt ihr auf und sie eilt nach drinnen. Auch ich erhebe mich und trete meine Zigarette mit meinen Flipflops aus. Anschließend betrete ich das Bordell und biege in Richtung meines privaten Zimmers ab. Dort muss ich mich noch etwas herrichten.

Die Tür knarzt als sie hinter mir ins Schloss fällt und ich den Riegel vor das Holz schiebe. Es gibt kein Schloss, daher ist es meine einzige Sicherung. Neben dem schmalen Bett unter dem Fenster, stehen meine hohen Schuhe. Ich trage sie jeden Abend von elf bis sieben Uhr. Danach tut mir alles weh. Die Absätze sind mörderisch, aber kommen gut an. Ich werde auch die Jacke los, die ich wegen der prallen Sonne getragen habe. Vor dem alten Spiegel komme ich zum stehen, schnappe mir den fast leeren Lippenstift vom Schränkchen daneben. Das Chanel Logo ist schon völlig zerkratzt und fast nicht mehr sichtbar. Ara hat ihn mir geliehen. Jeden Abend bringt sie ihn mir mit, damit ich ihn benutzen kann. Er färbt meine Lippen in einem dunklen rot, fast schon so tief wie Blut. Ich liebe es. Ara sagt, er passt zu meinen Augen.
Lippenbeißend mustere ich mich. Der Body und die knappen Shorts, die hohen Schuhe und meine offenen Haare. Ich sehe gut aus. Hoffentlich macht sich dieser ganze Aufriss in meinem Portmonee bemerkbar. Ich brauche das Geld.

Pünktlich elf Uhr stehe ich vorne am Eingang des Bordells. Auf der Straße ist schon einiges los. Es gibt kleine Läden, die Alkohol und Snacks verkaufen. Meistens gehen unter der Ladentheke auch noch Drogen weg. Persönlich halte ich nichts von Drogen. Ich hasse es. Da ist mir der Alkohol lieber.
»Hola chica«, grinst mich ein dunkelhaariger Mann Mitte zwanzig an. Er kann kaum älter als ich sein, vielleicht zwei Jahre. »Hey süßer«, begrüße ich ihn und zwinge mir ein Lächeln auf. Egal wie es mir geht, ich muss diese Rolle gut spielen. Sie müssen es mir abkaufen.
»Du siehst fertig aus, Lust auf eine Ablenkung?«, erkundige ich mich und klimpere mit meinen getuschten Wimpern. Der Kerl sieht nicht schlecht aus, muss ich zugeben. Besser als die anderen, die zu mir kommen. Er ist muskulös, seine Arme tätowiert. Vermutlich ein Gang Mitglied. Solange er zahlt ist mir das völlig egal.
»Was willst du denn dagegen tun, hermosa?«, fragt er mich. Seine Augen fahren gierig meinen Körper hinab. Ich trete ein Stückchen näher an ihn und schaue langsam auf. Meine lackierten Nägel streifen seine Brust. »Alles was du willst.«
»Wie viel?«
»Siebzig.«
Er verengt seine Augen. »Ganz schön teuer für eine Stunde«, merkt er an. Er hat recht. Für diesen Bezirk wirklich. Manche der Frauen hier machen es für zehn, um Stoff zu kaufen. Sie sind so verzweifelt, manchmal nehmen sie auch kein Geld im Tausch gegen Drogen. Ich bekomme mit die anderen Frauen ihn von der Seite ansehen und lächle ihn schnell breiter an. Meine Hand fährt hinauf in seinen Nacken, streift seine Haare. »Keiner dieser Mädchen kann dir das geben, was ich kann. Das willst du doch, oder? Mich?«, hauche ich ihm entgegen. Er atmet aus, ich spüre seine Ader unter meinem Daumen pochen. »Was bietest du mir denn an?«, raunt er erregt. Er zieht mich an meiner Hüfte näher gegen ihn und lässt seine Hand über meinen Arsch gleiten. »Alles was du willst, sagte ich doch«, grinse ich. Er nickt endlich. »Gut. Zeig mir dein Zimmer«, murmelt er. Siegessicher schnappe ich mir seine Hand und führe ihn mit einem knappen Blick an den anderen vorbei.

Wie immer führe ich meine Gäste zuerst an die Bar. Ara steht ihr und zapft gerade Bier. »Hey, gib uns zwei Vodka«, bestelle ich uns. Die Hand meines Kunden wandert wieder über meine Jeans. Ara nickt knapp, wirft dem Typen einen komischen Blick zu und reicht uns zwei volle Gläser. Als ich den großen tätowierten ansehe, merke ich, wie er Ara ebenfalls kurz mustert. War er etwa schonmal hier?
»Hier«, lenke ich ihn ab. Er nimmt das Glas entgegen und stößt es gegen meines. »Auf die besten sechzig Minuten deines Lebens«, hauche ich verführerisch. Mit wenigen Zügen leeren wir beide den Vodka. Die laute Muskeln dröhnt mir in den Ohren. Es ist voll hier drin. Einige der Mädchen räkeln sich an der Stange, andere sitzen zwischen Männern auf den Sofas. Ein paar laufen die Treppen nach oben. »Möchtest du noch etwas trinken, süßer?«, frage ich den dunkelhaarigen. Er lehnt ab. Also führe ich ihn an der Hand in Richtung des Zimmers in dem ich arbeite. Schon bald flattern die ersten Scheine in meine Tasche.

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