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LUELLA

Ausgelaugt warte ich, bis der Kerl sich endlich von mir runter schert. Er stöhnt lustvoll auf, während ich auf den Laken liege und mich frage wann es endlich vorbei ist. Er ist mein fünfter Kunde heute. Leider ist es erst drei Uhr und ich werde noch vier weitere Stunden damit verbringen mit Männern zu schlafen. Ara hat mir zwischendurch ein Glas Cola eingeschenkt, auf das sie gerade aufpasst. Von Energy Drinks halte ich nichts. Cola hilft gegen die Müdigkeit. Hunger habe ich auch. Bis jetzt habe ich ein bisschen über zweihundert eingenommen. Mit dem hier werden es dreihundertzwanzig sein. Manche Nächte läuft es besser als andere. Je abgefahrener desto mehr Geld bekomme ich.
Ich spüre wie er sich immer wieder in mich schiebt. Der Typ widert mich an. Er stinkt nach Alkohol und Zigaretten. Aber sein volles Portmonee liegt neben mir auf dem Bett. Ich starre es die ganze Zeit an, während er mich fickt. Als er endlich einen Schrei ausstößt und kommt, keimt Hoffnung in mir auf. Er zieht sich zurück und ich erhebe mich sofort, schlinge mir den Bademantel um meinen Körper und stehe vor dem Bett. »Das macht siebzig, süßer.«
Er zieht sich wieder an und reicht mir dann mein Geld. »Hier, schönen Abend noch«, verabschiedet er sich. Ich erwidere es knapp und warte bis er weg ist. Im Badezimmer schäume ich mich sofort mit Duschgel ein und wasche mich. Das ist mein Ritual. Ich muss alles von meinem Körper waschen, sonst drehe ich noch durch. Erst nach endlosen Minuten voller geschrubbe kann ich aufatmen und mich abtrocknen. Meine Zähne folgen. Ich putze sie solange bis der widerliche Geschmack weg ist, Spüle mit Mundwasser nach. Ich glaube nicht das es hier einen Menschen gibt, der sich so oft wie ich die Zähne putzt.
Erneut ziehe ich mir den Body und die Schuhe an. Meine Hose trage ich schon seit Stunden nicht mehr. Je mehr du zeigst, desto mehr sind sie an einem interessiert. Das habe ich mir bei den anderen abgeguckt.

Mit einem schmerzenden seufzen sinke ich wieder vor Ara auf einen Barhocker. »Hier, ich habe gut darauf aufgepasst«, sagt sie und reicht mir mein Glas Cola. Nach den vier Gläsern Vodka bin ich so voll, das es mir fürs erste reicht. Es nimmt mir meine Gedanken und lindert die Schmerzen. Ohne Alkohol würde ich es nicht aushalten. »Danke, was würde ich nur ohne dich tun...«, bedanke ich mich und lächle sie an. Meine beste Freundin erwidert es ehrlich. Sie legt ihre Hand auf meine, die auf der Platte der Bar liegt. Ihre Finger streichen behutsam über meine. »Wir müssen doch zusammenhalten. Ich habe dir gesagt das ich für dich da bin«, erinnert sie mich. Nickend sehe ich hinab auf unsere Hände. Sie ist wie eine große Schwester für mich. Ich weiß das sie mich hier rausholen würde, wenn sie könnte. Daran zweifle ich nicht. Aber Ara besitzt kaum mehr Geld als ich. Sie hat nur Glück, nicht als Prostituiere zu arbeiten. Der Job hinter der Bar ist gut. Vermutlich werde ich aber nie auf der anderen Seite stehen. Ich bin eine Resource für den Besitzer, so wie all die jungen Frauen hier.

Meine Augen wandern durch den Klub. Bevor ich mir einen neuen Freier suche, muss ich etwas durchatmen. »Wann hast du Pause?«, frage ich meine beste Freundin über die laute Musik hinweg. Sie presst ihre Lippen aufeinander. »Sorry... hatte ich erst als du im Zimmer warst. Ich wollte auf dich warten, aber-«
»Schon Gut. Hast du wenigstens eine Zigarette für mich?«, hake ich nach. Selbstverständlich zückt sie ihre Schachtel und reicht sie mir über den Zapfhahn. »Danke«, rufe ich und erhebe mich. Das Feuerzeug schnappe ich mir ebenfalls aus der Schachtel und schlängle mich durch die vielen Menschen hindurch. Ich brauche etwas frische Luft und Ruhe. Der Hinterhof ist perfekte Ort dafür. Ich laufe an den Sonnenschirmen vorbei und  lasse mich auf einem der Stühle unter freiem Himmel nieder. Die Musik dringt gedämpft aus dem Gebäude und geht in den Hupen und Autos unter, die passieren. Das Feuerzeug erhellt klickend mein Gesicht für den Bruchteil einer Sekunde. Ich ziehe kräftig an der Zigarette und überschlage meine Beine. Noch immer ist es lauwarm draußen. Zwischen den Häusern staut sich die Hitze. Es müssen mindestens zwanzig Grad sein. Mit einer Hand Reibe ich mir über meinen schmerzenden Hinterkopf. Mein erster Kunde war ziemlich rau. Dennoch geht es noch rauer. Manchmal höre ich, was die anderen Mädchen für Geschichten erzählen. Ich kann froh sein, das mir noch nie sowas passiert ist. Vermutlich könnte ich mich sonst nie wieder im Spiegel anschauen vor Scham.
Mit jedem weiteren Zug sinken meine Schultern etwas nach unten, mein verkrampfter Nacken entspannt sich und die Füße beginnen zu schmerzen. Ich kicke mir meine Schuhe ab und ziehe meine Beine auf den Plastikstuhl. Oben im Büro des Besitzers brennt Licht. Vermutlich wickelt er krumme Geschäfte ab. Ich sehe ihn nicht oft. Nur eine Handvoll Male hat er sich mit mir unterhalten. Er ist gelegentlich unten wenn es Stress gibt, oder eine neue eintrifft. Er testet die Frauen gerne als erster aus. Dieser Kerl ist ein Schwein. Heute kann ich mich kaum noch an mein erstes Mal hier erinnern. Ich bin schon fast zehn Jahre hier. Lippenbeißend starre ich auf meine roten Nägel. Der Mond lässt sie wie Blut leuchten.

Ein Knall durchbricht meine Gedanken. Erschrocken zucke ich zusammen und höre gleich darauf mehrere Stimmen. Verdammt, was ist da los?
Meine Neugier ist größer als meine Vernunft, was am Vodka liegt, den ich intus habe. Wie von selbst führen mich meine nackten Füße über den Beton des Hofes, bis zum Tor. Ich schiebe es auf und erhasche einen Blick auf die düstere Nebenstraße. Hier ist kaum etwas los. Ein paar Schritte laufe ich auf den Gehweg und schaue mich zu jeder Seite um. Wieder nichts. Da ertönt ein weiterer Schuss und mein Körper zuckt erneut zusammen. Ich höre etwas hinter mir, fahre herum und sehe, dass das Tor ins Schloss gefallen ist. Verdammter Mist. Verzweifelt rüttle ich an den Eisenstäben des Tores, dabei fällt mir meine Zigarette aus den Händen. »O Nein, nein, nein...«, murmle ich verzweifelt und schlage gegen das rostige Eisen. Nichts tut sich. Im Hof ist keine Menschenseele zu sehen. Das muss doch wohl ein Witz sein. Was jetzt? Die Straße mündet nach zweihundert Metern in der aus der ich gekommen bin. Ich muss mich nur trauen loszulaufen. Es ist dunkel hier. Ein kalter Wind peitscht durch die Gassen, den die Hauswände zuvor abgefangen haben. Mir bleibt nichts anderes übrig als mich zu beeilen.

Es knallt wieder und mein Puls beschleunigt sekündlich. Das sind Schüsse, die ich da höre. Und sie kommen näher. Leider kommen sie aus der Richtung, in die ich muss. Als ich mehrere dunkle Gestalten in der Ferne erkenne, stolpere ich ein paar Schritte nach hinten, bevor ich laufe. »Na sieh mal einer an«, ertönt plötzlich die Stimme des einen. Es sind Männer, die auf mich zukommen. Als sie ins Licht der Laternen treten erkenne ich das Blut an ihrer Kleidung kleben. Mein Herz setzt beinahe aus. »B-bitte«, stottere ich panisch. Meine Hände tasten die Mauer entlang, an die ich mich drücke. Ich kann nur beten, das sie mich nicht vergewaltigen und dann töten.

Einer der Männer tritt vor. Der Lichtkegel der Laternen erhellt sein markantes Gesicht. Sein Blick ist finster und böse. Fast schon teuflisch. Seine Augen graben sich stechend in die meine. Sie sind so dunkel wie die Tore zur Hölle. Ist er der Anführer?
Er tritt noch einen Schritt vor, erst jetzt erkenne ich seine schwarzen Haare, von denen ihm Strähnen in die Stirn hängen. Seine muskulöse Brust hebt und senkt sich, als hätte er sich gerade körperlich betätigt. An seinem grauen Shirt klebt Blut. Es ist nicht seines, das sehe ich sofort. »Was für ein hübsches Exemplar haben wir denn hier?«, sagt er und mustert mich von oben bis unten. Seine angespannten Arme lassen ihn noch angsteinflößender aussehen. Er schaut aus wie jemand, der mich locker wie eine Fliege zerquetschen könnte. »Püppchen, was hast du gesehen?«
»I-ich? Gesehen?«, frage ich mit zitternder Stimme nach. Auf meinen Armen macht sich Gänsehaut breit. Es ist schrecklich kalt in dem schwarzen Spitzen Body, den ich trage. Gott, wieso habe ich mir keine Jacke mitgenommen?
»Nichts«, beteure ich. Meine Augen gleiten zu den Waffen in den Händen der Männer. Sie müssen diejenigen sein, die geschossen haben. »Ich schwöre es...«, wispere ich ängstlich. Ich will nur noch hier weg. »Bitte, ich will nur wieder zurück in den Klub«, flehe ich sie an. Der große Anführer mit den breiten Schultern schnalzt mit der Zunge. »Wie ist dein Name, cariño mío?«
Ich antworte nicht. In meinen Ohren rauscht es so laut, das ich mein Herz schlagen höre. Es droht mir fast aus der Brust zu springen.
»Wie heißt du?«, schreit er mich an und tigert auf mich zu. Ich zucke weg bevor er bei mir ist. Immer noch nicht traue ich etwas zu sagen. Ich öffne meinen Mund aber kein Wort kommt mir über die Lippen. Ein weiterer Mann tritt aus dem Schatten der Lampen. Ich kenne ihn. Als er sich zu seinem Anführer wendet, weiß ich auch woher.
»Luella. Ihr Name ist Luella

VIPERSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt