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NEO

Ein paar Stunden zuvor...

Die Nacht ist angenehm kühl und die Umgebung endlich nicht mehr so heiß wie den Tag über. Seit die Sonne den Platz mit dem Mond getauscht hat, ist ein Wind aufgezogen, der mir um die Ohren pustet und mich aufatmen lässt. Ich stehe im dunklen Garten auf der Wiese, halte eine Blutrote Maske in den Händen und starre auf die Stadt. Mein Herz klopft vor Aufregung. Nicht weil ich schiss habe, sondern weil ich mich auf das Ergebnis freue. Zugleich plagt mich die Frage, ob etwas schiefgehen wird, aber das darf es nicht. Niemand darf einen Fehler machen, besonders nicht Luella. Sie steht in ihrem langen blutroten Abendkleid neben mir und wartet gespannt auf meine Worte, auf eine Erklärung die ich ihr schulde. Der Schlitz am Kleid entblößt ein Stück ihrer gebräunten Haut und treibt mich fast in den Wahnsinn. Dieses teure Stück schmiegt sich an ihren kurvigen Körper wie eine zweite Haut und es fordert alle Kraft, mich nicht von meiner Lust leiten zu lassen. Gott, wieso habe ich ausgerechnet dieses Kleid gewählt?
Weil ich wusste, das sie damit die besten Chancen hat. Verdammt, wenn mich diese Nacht nicht umbringt, dann ist es sie.

»Ich habe dir all die Zeit verschwiegen was deine Aufgabe sein wird«, erhebe ich meine Stimme raunend und räuspere mich. In der Ferne zirpen die Grillen auf der Wiese und die Rasensprinkler des Vorgartens klicken im stetigen Takt vor sich hin.
»Bevor du heute Abend erledigen wirst, um was ich dich gleich bitte, musst du wissen das dies nur ein Job ist. Nicht mehr, verstehst du? Ich würde das nicht von dir verlangen, wenn ich nicht wüsste das du stark bist. Und verdammt, du bist die stärkste die ich kenne. Niemand mit deiner Geschichte würde heute neben mir stehen und auf eine Aufgabe warten. Niemand außer du. Ich habe dich damals dafür ausgewählt, weil ich von der ersten Sekunde wusste, das du anders bist«, erkläre ich ihr ehrlich. Ich will mich damit nicht rechtfertigen, aber irgendwie hört es sich danach an. Das hatte ich nicht beabsichtigt. Luella presst ihre roten Lippen aufeinander und streicht sich eine Strähne ihrer Haarpracht hinters Ohr. »Ich kann's mir schon denken«, murmelt sie und wendet ihr Gesicht ab. Sie blickt wie ich zuvor auf die Stadt hinab und wirkt dabei in Gedanken versunken. Wie? Sie kann es sich denken? Unmöglich.

»Weist du«, murmelt sie nachdenklich und legt den Kopf schief, »als ich klein war, hatte ich Träume. Aber als sie mich nach Santa Fé verschleppten und Hernández mich so lang seelisch ruinierte bis ich mich ihm fügte, da habe ich mir geschworen, das mein einziger Traum die Freiheit bleiben wird. Keine Ärztin, keine Polizistin, keine Politikerin. Denn die interessieren sich nicht für jemanden wie mich. Dem Bürgermeister und all diesen Leuten die für ihn arbeiten ist es egal, was mit den Mädchen passiert. Als du mich mit auf diese Demonstration genommen hast, ist mir das bewusst geworden. Ich bin nur ein weiterer Fall in ihrer Akte, die in einem alten Schrank einstaubt. Also was auch immer ich für dich tun soll, was auch immer es für ein Regierungsmensch ist, ich werde es tun, weil ich es nicht mehr länger ertragen kann, das Mädchen wie ich, an einen Ort wie Santa Fé kommen und niemand sich um sie schert.«

Sprachlos schaue ich sie von der Seite an. Die kleine Kolumbianerin hat mir die Sprache verschlagen. Ich hätte nicht damit gerechnet, das solche Worte aus ihrem Mund kommen werden. Nein im Gegenteil, ich dachte sie würde sich etwas sträuben und ich würde Überzeugungsarbeit leisten müssen. Ihre Worte verwundern mich und doch klingen sie so plausibel. Ich will mir nicht vorstellen, was diese Männer mit ihr gemacht haben, aber ich weiß, wie es dort abläuft. Ich weiß das Hernández sie vergewaltigt hat. Das tut er mir allen Mädchen die für ihn arbeiten. Er testet seine "Ware" gern selbst. Er ist mir schon lang ein Dorn im Auge. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich ihn eine Kugel in sein matschiges Gehirn jagen darf. Ich kann es kaum erwarten.

»Du überrascht mich«, gebe ich zu und falte die Hände, immer noch die Maske haltend.
»Ach ja?«, fragt sie und wischt sich unter den Augen entlang. Sie hat geweint.
»Ja«, bestätige ich und wende mich ihr ganz zu. »Den Bürgermeister hast du ja schon kennengelernt«, sage ich und Luella nickt einmal. »Soll ich ihn verführen?«, will sie wissen und diesmal bin ich derjenige, der ein Nicken rüberbringt.
»Wieso?«, hakt sie nach. Eine exzellente Frage. Luella ist ein kluges, aber auch neugieriges Mädchen. Das gefällt mir.
»Mein Vater wird im Gefängnis wie ein Hund behandelt, obwohl er zu unrecht dort sitzt. Ihm wird Mord vorgeworfen, aber er hat es nicht getan. Sie haben nur einen Grund gesucht um ihn zu verhaften«, erkläre ich und studiere ihre Blicke dabei. »Du meinst... er war es nicht?«
»Nein.«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil ich es war. Ich habe Pablos Bruder ermordet weil er ein Mädchen vergewaltigen wollte. Sie hatte noch nichtmal Titten, so jung war sie. Er bekam seine gerechte Strafe. Und mein Vater, den wollte die Regierung loswerden weil er der Anführer der Vipers war.«
Ich habe es satt, dass er weiter wie ein Hund behandelt wird. Er ist kein Engel, aber er ist mein Vater. Seit ich klein bin, hat er mir eingebläut wie wichtig die Familie ist, und dass ich sie nie hintergehen darf. Das er im Gefängnis sitzt, hat Arabella und mich entzweit. Sie gibt mir die Schuld, die ich gewissermaßen auch trage, weil ich diesen Kerl ermordet habe, selbst wenn er es verdient hat. Damit habe ich meine Familie in elend gestürzt. Ich bin ein Idiot gewesen, auch wenn es die richtige Entscheidung war ihn zu töten.

»Und ich soll mit dem Bürgermeister schlafen?«, fragt sie misstrauisch. Unsere Augen treffen sich und ihre glitzern im Mondschein. Zum ersten Mal sehe ich, das ihre Augen mit einem dunklen Ton angemalt sind, der ihren braunen Iriden schmeichelt. Sie ist eine Augenweide, das leugne ich nicht.
»Er kann meinen Vater begnadigen, das ist alles was ich will. Wenn du das für mich tust, bist du frei«, verspreche ich ihr. Es ist die Wahrheit. Ich reiche ihr die rote Maske und sie schaut Lippenbeißend auf meine Hand hinab. Sie zögert, was ich ihr nicht verübeln kann. »Ich sagte doch, das ich nicht frei bin«, erinnert sie mich leise an ihre Worte. Als hätte ich die vergessen. »Lass das meine Sorge sein, cariño«, wispere ich und zücke außerdem ein kleines Schächtelchen. Ich Klappe es auf und zum Vorschein kommt eine goldene Kette mit zarten Rubinanhänger. »Darin ist ein Peilsender und eine Wanze. Du sagst mir ein Safe Word und ich bin sofort da, wenn es brenzlich wird«, verspreche ich ihr. Ich lasse sie nicht auflaufen. Wenn sie das für mich tut, dann habe ich auch ihren Rücken.
»Einverstanden«, murmelt sie und nimmt beides entgegen. Erleichtert löse ich die Kette aus dem Polster und lege sie Luella an. Ich mustere sie ein letztes Mal und schlucke heftig. Fuck, was löst sie nur in meiner Brust aus?

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