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LUELLA

»Hast du schonmal darüber nachgedacht, wie lukrativ das Drogengeschäft ist?«
Neo spaziert vor mir auf der Wiese der Villa herum und hat die Hände hinter dem Rücken gefaltet. Im Mondschein erkenne ich nur schwach den Kopf einer Schlange auf seinem Nacken, so als wolle er mir sagen, das er mich beobachtet, selbst wenn er sich mir abgewandt hat.
»Nein, habe ich nicht«, gebe ich zu und lege den Kopf schief. Was das hier soll, weiß ich nicht. Will er mich für die Sache gewinnen? Vermutlich. Wieso das alles? Er könnte einfach ein paar Leute auftreiben, die für ihn arbeiten. In den Barrios gibt es genug die Freiwillig alles für ein bisschen Geld tun. Die würden die Drogen sogar in ihrem Magen über die Grenze schmuggeln.
»Nun ja, es ist äußerst lukrativ. Wie denkst du, könnte ich sonst all das finanzieren?«, fragt er und deutet mit einer ausladenden Geste auf das Haus und den Garten. Die Obstplantagen scheinen nur eine Tarnung zu sein. Eine Stimme geht mir nicht aus dem Kopf. Die Person die vorhin im Raum war, hat etwas von Bürgermeister erzählt, worauf Neo eine Halle räumen lassen wollte am Hafen. Nur gibt es in der Stadt offensichtlich keinen, da sie inmitten des Landes liegt, was bedeutet das einen in einer anderen Stadt meinen muss. Hat er dort seine Drogen gelagert? Die die Toro mir mitbringt? Das verwirrt mich alles...
»Was... was soll das werden?«, hake ich leise nach. Ich sollte lieber die Klappe halten, aber die Frage liegt mir schon seit wir hier her gelaufen sind, auf der Zunge.

Neo hält vor den Obstplantagen inne und dreht sich zu mir herum. Sein Blick ist berechnet, eiskalt und doch macht ihn das mysteriöse für mich so interessant. Der Mann mit dem merkwürdigen Namen ist mir ein einziges Rätsel.
»Willst du mich einschüchtern? Mir sagen dass du Leute hast um mich zu schweigen zu bringen?«
»Das wäre dumm von mir, Luella. Ich bin nicht dumm. Sieh mal... stell dir vor du spielst Poker. Du kannst bluffen, du kannst es nicht tun, aber du würdest nie deinen größten Trumpf preisgeben. Du hebst ihn dir bis zum Schluss auf und schaust, wie sich das Spiel entwickelt«, erklärt er mir in ruhiger Tonlage. Ich lege meinen Kopf schief und beiße mir auf die Unterlippe. »Ist das, was sie im Fernseher zeigen, auch ein Spiel?«

Das Grinsen auf seinen Lippen erstirbt. Neos Augen ziehen sich zu Schlitzen zusammen und ich kann bereits den Biss der tätowierten Schlange auf meiner Haut spüren. Ich weiß einfach nicht, wann ich meine Klappe halten muss. Der Anführer der Vipers starrt mich an wie ein Raubtier seine Beute und ich bin mir sicher, das er mehr als einmal darüber nachgedacht hat, mich umzubringen, seit wir uns kennen.
»Das was sie im Fernseher zeigen, ist nicht mein Kampf«, spuckt er mir entgegen und kommt meinem Gesicht so nah, dass ich seinen Alkohol geschwängerten Atem auf meinen Lippen spüre. »Vielleicht solltest Du weniger Fernsehen und dafür mehr arbeiten, cariño«, rät er mir und schnalzt missbilligend mit der Zunge. Er schnipst mit dem Finger und aus der Dunkelheit heraus tritt ein Mann in schwarzer Kleidung und Kapuze. Ich identifiziere ihn als Toro, als er neben seinem Anführer zum stehen kommt. Schluckend schaue ich mit klopfendem Herzen zwischen den beiden umher. Was haben sie nun vor? Ich kann keinen von ihnen einschätzen. Mädchen wie ich sind nur Bagatellschäden, wenn uns etwas zustößt. Vermutlich würde Hernández eine preisliche Abfindung bekommen und ich würde im Dschungel verscharrt werden. Keiner würde in einer Woche mehr an mich denken, weil ich nur ein weiterer Punkt im System bin, die den Behörden entgangen ist. Nur eine weitere Prostituierte aus Santa Fé, die den Gangs zum Opfer gefallen ist.

»Toro, sag mir was ich mit dieser Widerworte gebenden Hure tun soll. Sie den Jungs überlassen? Sie in den Keller sperren? Sie ficken?«
Ich schlucke erneut und trete einen Schritt zurück. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und es rast so schnell in meiner Brust, das ich Todesangst bekomme. Ich schüttle den Kopf, schaue zwischen Neo und Toro her. Das ist mein Todesurteil, oder? Mein letzter Atemzug, mein letzter Augenblick. Schon bald liegt mein kalter Körper auf dem Tisch in der Gerichtsmedizin, falls man mich findet.
Mein Gehirn setzt aus und meine Beine übernehmen. Ich stolpere rückwärts über den Rasen, blicke ein letztes Mal in die entzürnten Augen des Anführers und renne. »Hol sie wieder!«, blafft er seinen Freund an und ich hetze über den feuchten Rasen, Rutsche aus den hohen Schuhen heraus und biege um die Ecke des Hauses. Die hellen Lichter lassen mich nicht unentdeckt und so ziehe ich die Aufmerksamkeit der bewaffneten Torwächter auf mich, die sofort reagieren und ihre Waffen auf mich richten. Ich renne durch die Rasensprinkler, schweratmend und außer Puste, stoße ein weinerliches wimmern aus und wage es einmal zurückzuschauen. Toro ist mir dicht auf den Fersen und es gibt kein Ausweg. »Bleib stehen!«, brüllt der große Kolumbianer mir hinterher und ich beschleunige. Meine Füße tragen mich weiter über die Wiese und inzwischen haben mich die Sprinkler klitschnass geregnet. Ich renne um die Villa und an den Autos vorbei die in der Einfahrt parken, zwischen den Bäumen hindurch. Doch es gibt kein entkommen. Mit Entsetzen stelle ich fest, dass eine hohe Mauer das Grundstück umgibt. In dem Moment rutsche ich auf dem nassen Rasen aus und jemand gibt mir von hinten den Rest. Toro geht mit mir zu Boden und mein Körper schlägt auf der nassen Wiese auf, rollt ein paar Meter weiter bis ich das Bewusstsein für ein paar Sekunden verliere.

Schwer atmend blinzle ich gegen die aufkommende schwärze an und höre das klicken einer Pistole. Toro rafft sich neben mir auf aber Neo ist es, der den Lauf seiner Waffe gegen meine Stirn drückt und die Zähne fletscht. »Reicht es dir nicht, das ich so großzügig war und dich in meine verfickte Villa eingeladen habe? Nein? Gut, ich kann auch unfreundlich werden, aber glaub mir, das willst du nicht erleben, Luella!«, keift er und kommt meinem Gesicht gefährlich nahe. Weinend liege ich am Boden, die Arme neben meinem Kopf und blicke in die Augen dieses Monsters. »Es tut mir leid...«, wimmere ich ehrlich und schniefe einmal. Mein Schädel brummt und mein Knöchel schmerzt, doch das scheint niemanden zu interessieren. Neo schnaubt verächtlich und übt mehr Druck auf meine Stirn aus. »Fick dich, ich hätte dich längst abknallen sollen!«, spuckt er und ich zucke bei jedem seiner Worte zusammen. »Wieso hast du es dann nicht?«, stelle ich die Fragen aller fragen. Der Anführer der Vipers stiert mich giftig an. So intensiv, als wäre er kurz davor seine Beherrschung zu verlieren. »Weil du mir lebend mehr nützt als Tod. Solange ich dich brauche darfst du leben, aber sei gewarnt Luella, ich kann es beenden wann ich will und wo ich will. Wir stellen ein paar regeln auf und du wirst ganz genau zuhören, denn ich erkläre sie genau ein-verdammtes-mal

Neo packt ruppig mein Kinn und zwingt mich ihn anzuschauen. Ich halte es aber nicht länger aus, ihm in die Augen zu schauen. Würde ich stehen, würden sie mich in die Knie zwingen. Seine Blicke sind so tödlich dass ich mich unter ihnen winde. Dieser Mann ist die Ausgeburt des Teufels.
»Erstens«, fährt er mich an und bohrt den Lauf der Waffe tiefer in meine Stirn und die Kälte des Metalls frisst sich in meine Knochen wie Eis aus der Antarktis. »...du stellst keine Fragen mehr sondern nimmst das Koks, übergibst es an den nächsten und findest dich damit ab. Zweitens, sollte ich auch nur ein Wort über mich oder die Vipers aus deinem Mund hören, bin ich schneller im Bordell als du zählen kannst. Drittens, stell mich verfickt nochmal nie wieder in frage, kapiert?«, macht er mir boshaft klar und ich nicke weinend. Habe ich denn eine andere Wahl? Wohl kaum. Neos fester griff um mein Kinn lockert sich endlich und der Lauf der Waffe an meiner Stirn verschwindet. Ich schnappe nach Luft als er sich erhebt und blicke in den düsteren Nachthimmel. Der Kopf der Vipers schaut auf mich hinunter, stopft die Pistole in seinen Gürtel und deutet endlich den schwerbewaffneten Männern vom Tor, abzutreten. Sie hatten ihre Waffen auf mich gerichtet, als würden sie nur auf sein Kommando warten um abzudrücken. Diese Männer sind skrupellos und eiskalt. Ein Blutfleck auf ihrem Rasen würde sie wenig kümmern.
»Toro, zeig ihr den Keller und dann kommst du wieder zu mir, wir müssen noch etwas besprechen«, fährt Neo ihn an und kehrt auf der Stelle um.
»Nein! Bitte!«, flehe ich, doch Toros große Hände zwingen mich auf die Beine. Mit sacken die Knie weg und ich falle, klitschnass wie ich bin, zurück unter die Rasensprinkler. Weinend währe ich mich gegen die Griffe des Kolumbianers aber er macht kurzen Prozess und schmeißt mich über seine Schulter. Ich trommele auf seinen harten Rücken ein, stoße einen Schrei aus aber das kümmert ihn überhaupt nicht. Er steigt die Stufen in den Keller mit mir hinab, reißt die Tür zu dem Raum auf, in dem sie mich gefangen hielten und schmeißt mich achtlos auf den harten und kalten Boden. »Bitte!«, rufe ich ihm flehend nach, doch alles was ich bekomme ist das laute scheppern der Tür und das klicken, als sie zweimal verriegelt wird. Ich krieche bis zu ihr hin, trommle mit meinen Händen gegen das Metall aber die Kälte übernimmt meinen Körper und ich bin nach wenigen Schlägen zu unfähig etwas zu tun. Ich krieche in die hinterste Ecke des stockfinsteren Raumes und schlinge meine Arme um die Knie. Das rote Lämpchen in der Ecke an der Kamera blinkt bereits wieder und ich bin mir sicher, das Neo mich beobachtet. Ich weiß es sogar.

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