LUELLA
Ich fühle mich noch schmutzig, als ich aus der Wanne steige und mich in ein Handtuch wickle. Die letzte halbe Stunde habe ich im lauwarmen Wasser gesessen und über alles nachgedacht, aber vor allem über das was passiert ist. Neo hat mich so anders fühlen lassen in dem Moment. Er hat mir gezeigt, dass es nicht schlecht ist, das zu empfinden. Sex muss nicht immer schrecklich sein. Ich kann auch meine Befriedigung haben, selbst wenn ich sie nicht empfinde, wenn ich mit diesen Männern schlafe. Ich werde meine Vergangenheit nie hinter mir lassen können, denn sie ist ein Teil von mir. Ein Teil, den ich akzeptieren muss, selbst wenn es noch so wehtut, mir das einzugestehen. Vielleicht habe ich diesen Schubs von Neo gebraucht. Es ist als wüsste er genau, dass mich das weiterbringt. Was hat dieser Typ nur mit mir vor? Diego? Er mag es nicht mit seinem richtigen Namen angesprochen zu werden. Wieso? Weil er sich hinter dem Pseudonym versteckt, als wäre der Name Neo seine Schutzmauer? Ich verstehe ihn nicht, doch das würde ich so gern tun. Ich würde ihm so gern in den Augen ablesen können, was er von mir will. Es ist scheiße, nicht zu wissen was passieren wird. Das habe ich schon immer gehasst. Natürlich könnte ich Ara fragen, aber nach den Gesprächen, die ich von den beiden mitbekommen habe, können sie sich nicht sehr nahestehen. Wer also dann? Toro? Der wird sicher nicht seinen besten Freund verraten. Zumindest vermute ich, dass sie das sind. Die beiden wirken immer so vertraut, als könnten sie den Gedanken des anderen in zehn Kilometern Entfernung lesen.
Zum zweiten Mal an diesem Abend klopft es an meiner Tür. Diesmal ist es die von meinem Zimmer. Gerade frisch umgezogen in ein paar Shorts und ein enges Spaghettiträger-top, verlasse ich das Bad und öffne im Laufen den Dutt auf meinem Kopf. Meine Haare fallen mir über die Schultern und ich bleibe vor der Tür stehen, um sie zu öffnen. Im Flur steht kein geringerer als Toro, mit Kapuzenjacke und einem eisernen Ausdruck auf dem Gesicht. Was für eine Laus ist dem den über die Leber gelaufen?
»Was willst du?«, seufze ich und er nickt auf das Zimmer, das sich hinter meinem Rücken befindet. Er will Sex? Ich trete einen Schritt zur Seite und der Muskelprotz schiebt sich an mir vorbei. Er macht sich nicht mal die Mühe den Lichtschalter zu betätigen. Still kehrt er mir den Rücken und bleibt vor der großen Fensterfront stehen. Ich schließe die Tür hinter ihm und folge ihm nur zögerlich.
»Was kann ich für dich tun?«, möchte ich wissen und sinke auf die Seite meines Bettes, die am Fenster ist. Toro blickt durch das Glas hinaus in den großen Garten, hinweg über die Obstplantagen bis zur Stadt, die einem bunten Meer an Lichtern gleicht und heller als Millionen Sterne sind.
Er ist schweigsam.
»Ist etwas vorgefallen?«, hake ich nach und mein Herz macht einen Satz, doch der Kolumbianer schüttelt seinen Kopf verneinend und zieht eine Hand aus seiner Jackentasche, um sich die Kapuze vom Kopf zu ziehen. »Was dann? Weißt du, was Neo mit mir vorhat?«, frage ich neugierig. Toro wirft mir einen knappen Blick über die Schulter zu und verneint auch diese Frage. »Nein, er ist noch nicht dazugekommen, es mir zu erzählen«, erklärt er und ich winkle mein rechtes Bein auf dem Bett an, lege das linke über meinen Knöchel und lasse meine Schultern hängen. »Schade. Ich wüsste gerne was es ist«, gestehe ich und Toro wendet sein Gesicht wieder ab. »Hm.«
»Habt ihr diesen Mann schon gefunden?«
»Du meinst Pablo? Der kleine schmierige dicke der das Kokain immer abgeholt hat?«
»Ja genau der.«
»Der ist noch flüchtig. Wir arbeiten gerade daran seine Frau ausfindig zu machen. Meistens bekommen wir so die Männer.«
»Findest du es nicht traurig, dass sie zuhause auf ihn wartet, während er in ein Bordell geht?«
»Ich bin sicher sie wusste davon. Viele Männer tun das hier. Ihnen ist es egal«, erklärt er mir und ich finde es dennoch traurig. Hat sie ihn geliebt? Ich würde nicht wollen, dass mein Freund oder Mann in ein Bordell geht, während ich zuhause auf ihn warte. Mir ist dennoch bewusst das viele, wenn nicht sogar über die Hälfte meiner Kunden verheiratet waren. Nur ein weiterer Grund, wieso ich die Hoffnung auf die Liebe schon begraben habe. Ich glaube nicht, dass je mein weißer Ritter auf einem Pferd um die Ecke geritten kommt und mich mit seiner Liebe in einen Kokon aus Geborgenheit und Fürsorge wickelt. Nein, so naiv bin ich nicht.
»Alles okay bei dir?«, frage ich Toro zaghaft und lege meinen Kopf schief. Er erwidert nichts. »Toro? Was kann ich für dich tun?«
Was will er? Wieso ist er hergekommen zu so später Stunde? Ich wünschte er würde mir sagen, was ihm fehlt. Er scheint mir kein schlechter Kerl zu sein. Okay, eine verdorbene dunkle Seite hat er an sich, aber Toro scheint das meiste Mitgefühl von den Vipers zu hegen. Vielleicht möchte ich das aber einfach nur glauben, weil er nett zu mir war.Seufzend erhebe ich mich und nähere mich den dunkelhaarigen. Im Stehen gehe ich ihm nicht mal bis zur Schulter. Er ist so groß wie Neo, aber ein bisschen breiter und tätowierter als er. »Soll ich mich um etwas kümmern?«, wage ich es erneut. Damit meine ich natürlich nichts Geringeres als seine Lust. Er scheint mit sich zu Ringen. Ich erkenne den Kampf, den er innerlich mit sich austrägt und ihn zu verlieren scheint. »Leg dich auf den Bauch«, weist er mich an und ich tue was er sagt. Was auch immer in dem Muskelprotz vorgehen mag, ich sehe das es ihm nicht gut geht. Auf dem Bett liegend warte ich was er tut. Das Ratschen eines Reißverschlusses ist zu hören, das Klicken eines Gürtels folgt. Er zieht mich an dein Knöcheln bis zur Kante, sodass meine Füße den Boden berühren. Er schiebt meine Unterwäsche beiseite. Die Hose bin ich schon längst losgeworden. Als ich spüre, wie er in mich eindringt schließe ich meine Augen. Es fühlt sich anders als mit Neo an. Und genau das macht mir Angst. Denn mir wird klar, dass das was ich für Neo empfinde, nicht verschwinden wird. Er bringt mein Herz zum Klopfen und meinen Puls zum rasen, wie kein anderer es schafft, obwohl er so ein Arsch zu mir ist. Dennoch war er der erste Mann, der mir gezeigt hat, wie es sein kann, selbst Befriedigung zu erfahren.
~
Am nächsten Morgen steht die Sonne bereits hoch am Himmel als ich unten auf der Terrasse frühstücke und von den Männern nichts in Sicht ist. Ara sitzt mir gegenüber und ich spüre, dass dies der richtige Moment ist um mit ihr über die ganze Bruder Schwester Sache zu sprechen. Kauend grüble ich darüber nach, wie ich das Thema am besten anscheinend soll. Dabei lenken mich die Arbeiter ab, sie fleißig einen halben Kilometer hinter Ara die Früchte auf der Plantage pflücken.
»An was denkst du?«, möchte meine beste Freundin wissen und rührt ihren Joghurt um, in den sie Banane und Schokoflakes gegeben hat. »Daran das Neo dein Bruder ist«, nuschle ich mit vollen Mund und beiße ich das süße Brötchen mit Aprikosenmarmelade. Ob die auch frisch von der Plantage stammt?
Ara schielt auf und hebt die Schüssel umrührend an. Sie lehnt sich zurück, zieh ihr rechtes Knie auf den Stuhl und beginnt zu essen. »Hm, ich... Ich wusste nicht wie ich es dir sagen soll«, gesteht sie und schiebt sich einen Löffel Joghurt in den Mund. »Weist du, es war nie leicht die Schwester von ihm zu sein. Geschweige denn die Tochter meines Vaters. Ich fand nie gut was er tat und das tue ich auch heute nicht. Ich wollte mich von ihm und den Vipers distanzieren, als ich mich bei Hernández um den Job an der Bar beworben habe. Hätte er gewusst, wer ich bin, dann hätte mein Leben jetzt ganz anders ausgesehen. Außerdem hätte ich dich dann nicht kennengelernt«, erzählt sie und ich verstehe sie. Das tue ich wirklich. Es kann nicht leicht für sie gewesen sein, das all die Zeit zu verheimlichen. Das mit ihrem Vater und ihrer Mutter wusste ich ebenfalls nicht. Sie hat nie etwas über ihre Familie erwähnt und nun wird mir auch klar wieso sie all die Zeit schwieg.
»Dachtest du, ich will dann nichts mehr mit dir zu tun haben?«
»Ja«, gibt sie ehrlich zu und versenkt den Löffel im Joghurt, »noch dazu wollte ich dich vor dem was passiert ist beschützen. Dir ging es so schlecht als wir uns kennenlernten und ich wollte es nicht noch schlimmer machen...«Das denkt sie also? Gott, ich liebe Ara wie eine Schwester, von der ersten Sekunde, seit wir uns kennen. Nichts und niemand hätte das ändern können. Nichtmal Neo und die Vipers. Ich bin keinesfalls sauer das sie es mir verschwiegen hat, nur enttäuscht. Sie denkt, dass ich ihr den Rücken gekehrt hätte. Das ich nichts mehr mit ihr zutun haben wollte. Es verletzt mich sehr. Ara ist die einzige, der ich alles anvertrauen würde. Das sie mir diesen Teil ihres Lebens verschwieg, schmerzt, selbst wenn ich es nun nachvollziehen kann.
»...Aber mein Bruder ist kein schlechter Mensch, weil er schlechte Dinge tut«, fährt sie dort, »Ich komme nur einfach nicht mit all dem was passiert ist, klar. Ich hab schon meine Mutter verloren und meinen Vater seit Jahren nicht zu Gesicht bekommen. Seit die Polizei ihn geschnappt hat, sitzt er in irgend einer dreckigen Zelle und das hat mich so fertig gemacht. Ich wollte nicht, das Neo mir noch die letzte Person nimmt, die ich liebe.«
Mir kommen die Tränen, ich bin so gerührt von ihren Worten das ich mein Frühstück auf den Teller legen muss um mir mit einer Serviette über die Wangen zu wischen. Schniefend sitzt mir meine beste Freundin gegenüber und ich muss mich zusammenreißen nicht hemmungslos zu heulen. Ich erhebe mich, laufe wenige Schritte um den Tisch und schlinge meine Arme um ihren Hals. »Ich bin nicht sauer Ara, natürlich nicht. Ich wollte es nur verstehen«, wispere ich und spüre wie ihre Tränen mein Shirt durchnässen. »Ich hab dich lieb Luella.«
»Ich dich auch Ara... ich dich auch.«
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VIPERS
RomanceDie Prostituierte Luella weiß nichts über die Gang, die Nachts ihr Unwesen in den Straßen von Bogotá treibt. Das ändert sich, als Sie im falschen Stadtteil, zur falschen Zeit ist und eine Begegnung mit dem Kopf der Bande hat, der sie unheimlich attr...