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LUELLA

Ich werde in eine Art Keller wach. Es ist kalt, die Luft trocken. Mein Kopf schmerzt, so wie der Rest meines Körpers. Ich trage nur den aufreizenden Body, obwohl es eisig kalt hier unten ist. Meine Fingerkuppen sind bereits taub, sie kribbeln unangenehm. Ängstlich setze ich mich auf und krieche in die Ecke schräg hinter mir. Ich erkenne nichts im Schwarz des Raumes. Nichtmal meine eigene Hand. Mit angezogenen Knien kauere ich dort auf dem Boden, die Arme um die Beine geschlungen und den Kopf auf meinen Knien gebettet. Bibbernd presse ich meine Lippen aufeinander und kneife meine Augen keuchend zu.
Ob Ara schon nach mir sucht? Natürlich tut sie das. Wir sind beste Freunde - Schwestern, wenn auch nicht Blutsverwandt. Wir würden alles füreinander tun.
Was habe ich mir nur dabei gedacht, ihm vor die Schuhe zu spucken und zu rennen? Vielleicht hätten sie mich vergewaltigt, aber wäre das schlimmer gewesen als die Hölle, die mich hier erwartet? Es ist nicht das erste mal, das ich verschleppt werde. Meine Mutter ist in die Fänge von Menschenhändlern geraten, da war ich noch in ihrem Bauch. Ich bin in Bordellen aufgewachsen, bis sie mich selbst entrissen haben, als ich fünfzehn war. Seitdem habe ich sie nie wieder gesehen. Ich weiß nichtmal ob sie noch lebt, geschweige denn wer mein Vater überhaupt ist. Es könnte jeder sein.

Das Adrenalin in meinen Adern klingt langsam ab und macht Platz für die Angst, die durch meinen Körper schleicht. Ich lechze nach etwas Wasser und einer Decke. Schniefend wische ich mir über meine kalte Wange. Ich komme mir so elendig vor. Wird überhaupt jemand die Tür öffnen? Oder werde ich in diesem Raum schmoren bis ich verhungert bin?
»Gott...«, wispere ich haareraufend, »bitte lass diesen Albtraum endlich vorbei sein.« Flehend verstecke ich mein Gesicht hinter meinen schmutzigen Händen. Ich will nur noch hier raus... Ara muss mich suchen kommen. Betend erschüttert mich ein weiterer Schluchzer. Und bevor ich mir die Tränen von der Wange wischen kann, entriegelt jemand die schwere Tür, die ich bis eben nicht ausmachen konnte. Sie ist genau gegenüber von mir.

Eine Gestalt tritt ein, angestrahlt durch die düsteren Lichter aus dem Flur. Erst als er nähertritt erkenne ich die Schuhe und die Hose, die er trägt. Es ist der, der bei mir war. Sein Name war Toro, glaube ich. Er kniet sich mucksmäuschenstill zu mir hinunter. Im Hintergrund sehe ich Menschen vorbeilaufen. Als Toro nach mir greift, folge ich seiner Hand mit meinen Augen. Erst jetzt entdecke ich die eisernen Fesseln um meinen Handgelenken. Erschrocken rüttle ich an ihnen und schüttle meinen Kopf. »Nein, nein«, murmle ich voller Todesangst. »Bitte mach mich los!«, flehe ich. Toro verzieht keine Miene. Er legt mir eine Decke auf die Beine und erhebt sich wieder. »Bitte!« Ich versuche nach ihm zu haschen, aber er ist schneller und tritt noch ein paar Schritte zurück. »Lass mich hier nicht sterben! Es tut mir doch leid!«, krächze ich. Meine Kehle ist trockener als die Sahara. Der muskulöse Kolumbianer schnaubt nur und dreht sich herum. Er marschiert auf die Tür zu, während ich mit aller Kraft versuche meine Fesseln zu lösen. Erst im Türrahmen dreht er sich mir zu und schenkt mir einen letzten Blick. »Schlaf gut Luella«, spricht er mir tiefer Stimme. Verzweifelt beginne ich wieder zu weinen. Bei jeder Bewegung klirren die Ketten. Toro verriegelt die Tür doppelt und geht. Als seine Schritte auf dem Boden verklingen stoße ich einen Schrei aus, bis mir die Stimme bricht. Inzwischen ist mir so kalt, das ich es nicht mehr spüre. Das ist kein gutes Zeichen. Ich schlinge mir die braune Wolldecke eng um den Körper, setze mich darauf und ziehe die Beine an. Sie umhüllt mich wie ein Kokon und trotzdem dämpft sie die Kälte nur wenig, die hier unten herrscht. Minütlich werde ich erschöpfter, mein Kopf sinkt wieder auf die Knie. Bevor ich einschlafe sehe ich das rote blinken einer Kamera, direkt neben der Tür. Sie beobachten mich. Sie wollen mich brechen.

~

Ich habe keinen Schimmer wie viel Zeit verstrichen ist, als ich aufwache und feststelle, das ich mich noch immer in diesem Kellerraum befinde. Wo sonst ist es in Kolumbien so kalt? Ausgelaugt sackt mein Kopf wieder auf meine Knie. Mein Nacken und Rücken schmerzen inzwischen und lenken nur wenig von den Fesseln ab, dessen Metall sich in meine Haut gräbt. Noch dazu habe ich weder Wasser noch etwas zu essen. Mein Magen grummelt schmerzhaft und nimmt mir auch noch das letzte bisschen Hoffnung.
In der Dunkelheit sehe ich nur schwach das rote Piepen der Kamera. Sie strahlt jeden Millimeter dieses Raumes aus und ich bin mir sicher, dass der Anführer dieser Bande, dahinter sitzt und mich beobachtet. Darauf würde ich wetten. Doch fürchte ich mich davor.
Müde ziehe ich meine Knie noch enger und schlinge die Decke noch ein bisschen mehr um meinen leichtbekleideten Körper. Wie viel Zeit schon verstrichen ist? Ein, zwei Tage? Mein Zeitgefühl ist im Arsch.
Gott, Ara muss krank vor Sorge sein. Sie weiß, dass ich nicht einfach so abhauen würde. Noch dazu ohne sie. Nein, das würde ich nie tun. Ara ist doch die einzige, die ich noch habe.

Die schwere Tür öffnet sich wieder und diesmal sind es nicht die Schritte dieses Typs, der als Kunde bei mir war, sondern die des Anführers. Ich erkenne seine mächtige Statur, die schweren Schritte und die Art wie er sich fortbewegt sofort wieder. Hinter ihm fällt ein schwacher Lichtkegel in den Raum. Es muss bereits wieder Tag sein, denn die Neonröhren an der Decke sind ausgeschaltet. Aus dem Flur dringt außerdem Wärme in den Raum und stoppt fürs erste mein zittern. Der Unbekannte bleibt vor mir stehen und schaut auf mich hinab. Mit ihm schwingt der Geruch von Blut und Tod. Er trägt es fast wie ein Parfüm auf der Haut. Wieder trifft mich ein Kälteschauer.
»Luella«, erhebt er seine raue Stimme melodisch. Mein Name rollt ihm nur so über die Zunge. »Wer hat sich den einfallen lassen?«
»Was?«, krächze ich und blicke auf. Direkt in die Augen des Teufels. Ich kann die Tore der Unterwelt in ihnen lodern sehen.
»Deinen Namen«, spricht er mit tiefer Stimme. Schluckend lasse ich meinen Kopf wieder hängen. Wenn ich etwas gelernt habe, dann den Männern die die Kontrolle über mich haben, nicht zu lange in die Augen zu schauen.
»Weiß ich nicht«, antworte ich leise und vergrabe meine Nase in der dicken Decke. Der Fremde tritt einen Schritt näher. »Bullshit. Aber nun zum eigentlichen Thema meines Besuchs. Ich weiß, dass du in dem Laden arbeitetest, neben dem wir dich gestern aufgegabelt haben. Ich will dass du etwas für mich tust, cariño mío«, sagt er und kniet sich zu mir hinab. Seine behandschuhte Hand packt mein Kinn und zieht es ruppig nach oben, so schnell das mir der Nacken schmerzt und ich einen Schrei ausstoße, der im nichts untergeht. Das grinsen das sich auf seine vollen Lippen schleicht, bringt seine Augen finster zum leuchten, wie das Höllenfeuer das in ihnen lodert. »Willst du mich garnicht fragen, was es ist?«, hakt er nach und schließt seine Finger so fest um mein Kinn, dass der Schmerz sich bis in den Kiefer breit macht. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blicke ich auf seine Brust. Ich kann diesem Mann nicht länger in die Augen schauen. In der Finsternis des Raumes erkenne ich nichts mehr. Es ist als würde ich in die pure schwärze blicken.
»Wa-was ist es denn?«, stottere ich unbeholfen. Im Augenwinkel sehe ich das grinsen das nun an seinen Mundwinkeln zupft. Ein gefährliches.
»Toro hat mir fast nicht von eurem kleinen Rendezvous erzählen wollen. Du musst schon sehr gut sein, wenn der bullige Toro nicht über dich spricht. Das hat mich auf eine kleine Idee gebracht«, erzählt er und bei jedem seiner Worte läuft mir ein eisiger Schauer über den Rücken. Was wird wohl nun über seine Lippen kommen? Wird er mich als seine persönliche Nutte hier gefangen halten? Dann wäre mir doch eine Kugel lieber die er zwischen meine Augen jagt. Dieser Mann... er ist keiner der guten. Ara hat mich vor seiner Gang gewarnt und ich habe mich direkt in ihr Schlangennest bringen lassen. Fuck, ich bin so dumm gewesen.

»Welche Idee?«, frage ich zitternd, inzwischen habe ich gemerkt das er es nicht mag, wenn ich nicht antworte. Der mit den teuflischen Augen und den Unmengen an Tätowierungen, zwingt meinen Kopf in den Nacken und packt mich an den Haaren. Vor lauter Schmerz reiße ich meine Lippen auf und stoße ein schmerzverzerrten Laut aus. »Du wirst für mich ein paar Päckchen weiterreichen. Toro wird jeden Abend Nachschub bringen und du wirst sie dem Kunden der nach Toro kommen wird geben, ist das klar?«
Ich soll zu seiner Drogenkurierin werden? Verdammt, wo bin ich da nur hereingerutscht? Seine Hände ziepen so fest an meinen Haaren das es mir glatt Tränen in die Augen treibt. Er ist ein grausamer Mann. »Klar?!«, herrscht er und reißt meinen Kopf bis zum Anschlag zurück. »Ja!«, wimmere ich und versuche meine Hände gegen seine Brust zu drücken, in der Hoffnung das er mich gehenlässt, aber sein Körper ist so hart, das er eisern an Ort und Stelle hocken bleibt.  »Wenn du jemandem davon erzählst werde ich meine Jungs nach dir schicken«, warnt er mich ein letztes Mal, »dann hättest du dir gewünscht, dass ich dir eine Kugel in dein hübsches Gesicht gejagt hätte«, spuckt er mir entgegen und ich zucke bei jedem seiner Worte zusammen. Seine großen Hände halten mein Gesicht fest und hinter ihm kommt dieser Toro aus der Dunkelheit zum Vorschein. »Nein!«, flehe ich panisch und rüttle an den Fesseln. Die zweite Hand des Anführers legt sich um meine Kehle und ich schnappe erschrocken nach Luft. »Bitte nicht! Ich sage kein Sterbenswörtchen!«, flehe ich weinend und trete um mich. Sie kesseln mich ein, Toro presst ein stinkendes Tuch auf mein Gesicht und ich werde langsam bewusstlos. Bis zur letzten Sekunde Kratze und trete ich sie, doch die beiden bulligen Latinos sind zu mächtig um jemanden wie mich entkommen zu lassen. Während der Anführer mir die Luft abdrückt und Toro mir das Tuch auf die Nase, kullern mit Tränen auf seine Finger. Die Hand auf meinem Hals lockert sich und ich lechze nach Luft, atme einen mächtigen Schwall der stinkenden Luft ein und werde ohnmächtig. Mein Körper sackt zusammen und meine Finger kratzen ein letztes Mal über die Arme des Anführers, bevor ich zur Seite kippe und niemand mich auffängt.

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