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LUELLA

Ich bin was?
Er will mich wirklich gehen lassen, wenn ich diese Aufgabe für ihn erledigt habe? Das kann ich nicht glauben. Ich werde frei sein? Auch das will ich nicht begreifen. In meinem Leben bin ich noch nie eine freie Frau gewesen. Ich wurde als Kind einer Hure geboren, in eine Welt in der ich verdammt bin, auch eine zu werden. Hernández besitzt mich. Selbst wenn Neo mich gehen lassen würde, der Bordellbesitzer würde mich finden und mich umbringen. Ich bin seine Ware, diejenige, die ihm Geld einbringt. Ich kann mich nicht einfach freikaufen, weil mir das Geld dafür fehlt. So viel werde ich nie besitzen, jetzt da ich keinen Job mehr habe. Ich werde für immer eine Gefangene sein. Ein Vogel in einem Käfig. Trotzdem lasse ich Neo die Illusion. Ich will mich nicht mehr mit ihm streiten. Der heutige Abend war anstrengend und der Schweiß und Dreck klebt an meiner Stirn, den die Explosion der Autobombe hinterlassen hat. Ich kann nur hoffen, das niemand dabei zu schaden gekommen ist.

Müde steige ich aus dem Jeep als Neo in der Garage der Villa parkt. Die drei Rolltore sind geöffnet und so riecht es nach frischem Tropenregen, nassem Gras und Gewitter. Es blitzt und donnert stetig. Schweigsam folge ich dem Anführer der Vipers durch einen langen Flur in die Villa. Der Fernseher ist noch eingeschaltet und Toro sitzt rauchend auf dem Sofa, die große Schiebetür die zum Garten führt ist geöffnet. Es riecht verdächtig nach verbranntem Marihuana. »Verdammt Toro, ich hab dir schon tausend mal gesagt, das du nicht im Haus kiffen sollst!«, meckert Neo und nimmt seinem besten Freund den Joint aus den Fingern. »Hey!«, beschwert dieser sich aber bewegt sich kein bisschen, um ihn sich wiederzuholen. »Fuck man ich bin viel zu high um jetzt noch zu labern«, murmelt Toro mit belegter Stimme und lässt den Kopf in den Nacken fallen. Neo schimpft leise vor sich hin und schnippt den Joint hinaus in den Regen. Der glühende Stängel erlischt auf den nassen Terrassenplatten. »Steh auf, wir müssen noch besprechen was passiert ist«, fordert Neo und zerrt den Muskelprotz auf die Beine. »Ach ja? Ist doch alles nach Plan gelaufen, wir haben a-«
»Halt die Klappe wir sind nicht allein«, brummt Neo und legt sich Toros Arm um die Schultern, damit er stehenbleibt und nicht wieder aufs Sofa fällt. Neugierig wendet Neo den Kopf in meine Richtung. »Luella«, grinst er und Neo stöhnt genervt auf. Er zerrt ihn über den Teppich in meine Richtung. »Wie viel hast du bitte da rein gemacht?«
»Timeo hat-«
»Fuck der packt immer das doppelte rein, dass weißt du doch Toro.«
»Mhm«, brummt der große Kerl. Sie kommen nur schleppend voran.
»Was habt ihr gemacht während ich mit Neo unterwegs war?«, mische ich mich ein, auch wenn gleich eine Standpauke vom Anführer folgen wird, weil ich zu neugierig bin. Toro erwidert nichts auf meine Worte. Selbst zugedröhnt hält er dicht? Was treiben die Vipers, außer die Unruhen weiter anzuzetteln?
»Mach dich ins Bett Luella, das hier ist kein Hotel. Du bist kein Gast, vergiss das nicht«, erinnert Neo mich. Schluckend trete ich einen Schritt zurück und nicke. Er hat recht, ich sollte gehen bevor es unschön wird. Unser Sex ändert nichts daran das er eigentlich kalt zu mir ist. Das wir miteinander schlafen hat nichts damit zu tun. Er hat heute schon wieder die Kontrolle verloren und mich gefickt. Ich würde gern wissen was durch seinen Kopf geht, kurz bevor er sich gestattet die Kontrolle abzugeben, obwohl er es zu hassen scheint, dies zu tun. Ist der Drang nach mir so groß, dass er sich seiner Lust hingibt? Toro sagte damals im Bordell zu mir, dass es das schlimmste wäre, die Aufmerksamkeit von ihrem Anführer auf mich zu ziehen. Aber was bedeutet das? Das er mich mit in den Untergrund reißen wird? Mein Leben ist bereits die Hölle gewesen. Ich denke nicht, dass es einen schlimmeren Ort als Santa Fé auf Erden gibt. Nein, die Hölle ist das, was ich all die Jahre mein Zuhause genannt habe. Es ist ein Teil von mir. Ich werde immer Luella Marie Cortez bleiben, die kleine Prostituierte aus Santa Fé. Nichtmal die Vipers können daran etwas ändern.

»Gute Nacht«, wünsche ich den beiden aus reiner Höflichkeit. Toro erwidert etwas nuschelndes, das ich nicht verstehe und Neo antwortet gar nicht. Als ich die Treppe nach oben in den ersten Stock laufe, folgen die beiden mir und verschwinden in Neos Büro. Ich schlage die entgegengesetzte Richtung ein. Doch statt in mein Zimmer zu gehen, laufe ich ein paar Türen weiter und klopfe an Aras. Sie öffnet mir sofort und schaut mir überrascht entgegen.
»Hey, wie siehst du denn aus?«, murmelt sie müde und hebt ihre Hand zu meiner Stirn, um mir den Dreck abzuwischen. »Lange Geschichte, darf ich bei dir schlafen?«, hake ich ausgelaugt nach und hoffe, dass sie zustimmt. Ich kann eine Dosis meiner besten Freundin gerade sehr gut gebrauchen. Ara tritt antwortend einen Schritt zur Seite und bittet mich mit der Hand einzutreten. »Willst du duschen? Ich kann dir etwas zum anziehen von mir geben«, schlägt sie vor und ich nicke dankend. Ich habe keine Kraft, um in mein Zimmer zu laufen und mir selbst etwas zu holen, so nehme ich ihr Angebot an und lasse mich in ihr Badezimmer führen.
Das warme Wasser fühlt sich gut auf meiner Haut an. Bedacht das ich die Wunde an meiner Schläfe nicht treffen, die noch mit Tapes abgeklebt ist, trockne ich zehn Minuten später mein Gesicht mit dem flauschigen Stoff des Frotteehandtuchs ab. Anschließend meinen Körper. Ich bringe doch die Kraft auf um zurück in mein Zimmer zu laufen und mir von dort etwas zum anziehen zu holen, da ich ohnehin frische Unterwäsche brauche. Mit einem großen Shirt und einer kurzen Hose bekleidet laufe ich zurück zu Ara, die bereits auf mich wartet. Sie hat die Bettdecke zurückgeschlagen und klopft neben sich auf die Matratze. Die Einladung nehme ich liebend gern an.

Ausgelaugt kuschle ich mich neben meine beste Freundin in ihr Bett und Decke uns zu. Ara liegt hinter mir und hat ihre Arme um mich geschlungen. Ihre Finger streifen durch meine Haare, während der Regen gegen die Fensterscheiben prasselt.
»Alles in Ordnung bei dir?«, flüstert sie fragend in die Dunkelheit.
»Hm«, bestätige ich murmelnd und lege meine flache Hand unter meine Wange. »Alles Gut«, bestätige ich ihr wispernd, obwohl es nicht stimmt. Meine Gefühle fahren Achterbahn. Das erste Mal in meinem Leben bin ich mir unsicher, was einen Mann betrifft. Noch vor zwei Wochen lautete meine Devise, das Männer schwanzgesteuerte, hinterhältige Arschlöcher sind. Und nun? Neo hat alles in meinem Kopf durcheinandergebracht mit seinen heißen Küssen und dem Sex. Das verwirrt mich alles so...
»Ich bin für dich da«, holt Ara mich aus meinen Gedanken, selbst wenn sie keinen blassen Schimmer hat, das ich über ihren Bruder nachdenke. Dankbar lange ich nach ihrer Hand die um meinen Bauch lag und ziehe sie fest an mich. Meine Lippen streifen ihren Handrücken und ich umschließe sie fest, weil ich Angst habe, dass sie loslassen könnte. Ara streichelt mir beruhigend durch meine Haarpracht und seufzt hinter mir auf, während ich in den sicheren Schlaf abdrifte.
»Du kannst dich immer auf mich verlassen, Lu, vergiss das nie«, haucht sie mir zu und kuschelt sich an mich. Wir schlafen Arm in Arm ein, und im Moment fühle ich mich bei ihr am wohlsten, weil sie die einzige ist, der ich tausend prozentig vertrauen kann. Ara ist meine beste Freundin - meine Schwester, und sie wird mir niemals den Rücken kehren. Wenn es hart auf hart kommt, habe ich sie, und dass weiß ich zu schätzen. Sie ist eine echte Freundin. Eine die nie fortgehen wird, sich nie von einem abwendet. Ich liebe sie über alles. Sie ist das letzte Stück Familie das ich noch habe. Wie könnte ich sie einfach verlassen? Neo sagte, dass ich frei wäre, nachdem ich die Aufgabe für ihn erledigt habe. Aber kann ich Ara wirklich im Stich lassen? Nein. Hier bin ich am sichersten. Langsam muss ich Abwegen, wer mein wahrer Feind in diesem Spiel ist. Hernández oder die Vipers?

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